Ägypten: Welche Rolle spielt die Arbeiterbewegung ?

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

Über die Rolle des Internets, der arbeitslosen Akademiker, der Muslim Bruderschaft und des Militärs war in den letzten Wochen seit Beginn des Aufstands in den westlichen Medien einiges zu erfahren. Dass die Proteste auch von Streiks begleitet waren, kam eher am Rande vor. Hier ein Text von Horst Hilse, der auf den Stand und die Rolle und mögliche Perspektive der ägyptischen Arbeiterbewegung eingeht:

 

"Der ägyptische Staat hatte bis in die 70er Jahre hinein große moderne Erdöl- und Erdgasanlagen errichtet und der Staat garantierte den Beschäftigten dieser Industrien eine gewisse Sicherheit. Das ist auch der Grund, weshalb sich die ägyptischen Gewerkschaften (mit ihren Millionen zählenden Mitgliedern) mit dem Staat mehrheitlich arrangierten. Diese staatliche Beschäftigungspolitik wurde mittels aufgeblähter Polizei und Bürokratie auch in andere Bereiche übernommen und fortgeführt.

Das Bündnis zwischen Staat und Arbeiterbewegung wurde erst brüchig, als im Zuge der neoliberalen Offensive des Weltkapitalismus ab 1971 soziale Errungenschaften zunehmend abgebaut wurden und daraufhin ein Radikalisierungsprozess in der Gewerkschaftsbewegung einsetzte, so dass in den Gewerkschaftswahlen immer häufiger radikale Vertreter in Gremien gewählt wurden.

Radikale Streiks häuften sich in den 90er Jahren und auf die sich religiös formierende Opposition reagierte das Regime mit Wahlfälschung, Repression und Unterdrückung. (lobend unterstützt von den europäischen Demokratien)

2008 wurde das Land ebenso wie Indien, Haiti, Senegal, Mauretanien etc... von ausgedehnten Hungeraufständen aufgrund der weltweiten Nahrungsmittel- Börsenspekulation erschüttert.

Um der zunehmenden Radikalisierung größerer Bevölkerungsteile einen Riegel vorzuschieben und die potentiell bedrohliche organisierte Opposition in den Gewerkschaften zu zerstören, beging das Mubarak-Regime 2009 einen folgenschweren Fehler mit dem „Gesetz 100“. Dieses Gesetz bestimmte, dass alle gewählten Gewerkschaftsvertreter von staatlichen Institutionen bestätigt werden müssten.
Damit hatte das System seine einzig verfügbare Massenbasis zerstört und die Spaltung der Gewerkschaften eingeleitet.

Wenn unter diesen Umständen die Belegschaften der modernen Industrien geschlossen in die Streiks zum Sturz des Regimes eintraten, so war das zugleich der Todesstoß für die Kungelgewerkschaften. Wie ich bereits in meinem früheren Beitrag herausstellte, ist auch das Verhalten jener Arbeiter wichtig, die in der „verlängerten Werkbank“ von Mercedes, BMW, VW, Telekom etc. arbeiten und die kaum von den Gewerkschaften erfasst werden. Die Belegschaften vieler Erdöl- und Erdgasfirmen belagerten in den vergangenen Wochen in Nasr City in Kairo das Erdölministerium.
Dazu schreibt der ägyptische Blogger Hossam el-Hamalawy: “Die Arbeiter haben etliche ökonomische und politische Forderungen. Sie wollen ein Ende der entwürdigenden Praktiken des Managements wie der Entlassung von Arbeitern, die für ihre Rechte eintreten. Sie fordern die Wiedereinstellung Entlassener, die Anhebung der Entlohnung, die 400 ägyptische Pfund (umgerechnet etwas mehr als 50 Euro) beträgt.Sie verlangen eine unabhängige Gewerkschaft und ein Amtsenthebungsverfahren gegen Ölminister Sameh Fahmy und den Stopp der Erdgaslieferungen an Israel.“

....

Ist für die Staaten dieser Region mit ihrer starken Einbindung in die Bedürfnisse der europäischen Konzerne sowie ihrer Rolle im Finanzmarkt ein gangbarer Weg zu einer halbwegs funktionierenden bürgerlichen Gesellschaft möglich?

Kann das europäische Kapital den Aufbau einer dem nationalen Wählerwillen verpflichteten Elite dulden oder gar fördern, während es doch selbst in seinen Kernbereichen aktuell große Probleme mit der durch die Brüsseler Finanzoligarchie (siehe Griechenland) vorangetriebenen Wählerentmachtung hat?

Wenn ja, dann doch wohl nur, um die dortige arabische Elite als Co- management bei der Ausbeutung in den Imperialismus zu funktionalisieren. Dadurch aber würde die Konfrontation mit einer politisch erwachten Bevölkerung nur eine Frage der Zeit sein. Die erwachende Arbeiterbewegung wird aus den bisherigen Erfolgen mit größerem Selbstbewusstsein hervorgehen und sich weniger als zuvor für fremde Interessen instrumentalisieren lassen. Damit aber wird sie in die Rolle geraten, eine antiimperialistische Kraft sein zu müssen.

Als europäische Linke werden wir gefordert sein, die notwendige Solidarität mit unseren dortigen Kolleg/innen und Genossen zu organisieren. Dabei stoßen wir bei uns auf die Verteidiger des europäischen Kapitalinteresses in Politik und Medien. Täglich betreiben sie aktive Propaganda für einen Demokratievorbehalt zu westlichen Gunsten.

Die vor wenigen Monaten abgehaltene ägyptische Wahlfarce hat in hiesigen Medien keinerlei Kritik hervorgerufen, sicherte sie doch westliche Interessen. Während die Reaktionäre lauthals ihre Klasseninteressen medial zur Geltung bringen, ...
(siehe meinen vorigen Beitrag: Es lebe die arabische Revolution) ... steckt die Formulierung linker Politik zur Unterstützung der sich entwickelnden arabischen Revolution noch in ihren Anfängen und wird zudem durch ein unangemessenes behäbiges rein nationales Selbstverständnis hiesiger Linker erschwert.

Demzufolge mangelt es auch an Verständnis für Erhebungen im globalisierten kapitalistischen Weltsystem und es werden einzelne Erscheinungen zu Erklärungsmustern verdichtet. So wird z.B. die Rolle des Internets weit überschätzt, da von den 84 Millionen Ägypter nur knapp 5 Millionen  (in Deutschland dagegen 82% der Bevölkerung) Zugang zu Netzen haben.
Der Netzzugang spielte dagegen bei der Revolte der Rothemden auf den Philippinen eine wesentlich größere Rolle, da dort ein flächendeckendes Netz existiert. (was hier wiederum kein Thema war)
Aktuell kaum thematisiert wird dagegen der Zustand einer 20-Millionen Metropole wie Kairo, wo ein Stadtteil bereits soviel Einwohner hat, wie ganz Köln zusammengenommen. Sind in einem solchen "Viertel" auch noch 40% arbeitslos und der Hunger eine reale Bedrohung, so wird die "Volkswut" verständlicher. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die arabischen Erhebungen eher in Indien als in Europa ein breites Echo fanden und dort große Solidaritätskundgebungen stattfanden.

Man muss nicht Peter Scholl Latour zustimmen, der den Europäern und Amerikanern ein völliges Unverständnis für die heutigen Gesellschaftsstrukturen in der Welt attestiert und vom "Untergang des weissen Mannes" spricht, - obwohl darin auch viel Wahres stecken mag."

 

VON: HORST HILSE


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Quelle: Der Artikel steht bei scharf links. Ich habe die Stellen weggelassen, an den Hilse sich auf eine Diskussion mit Antom Holberg bezieht. Der ganze Text kann hier nachgelesen werden: http://www.scharf-links.de/57.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=14702&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=71cc1c386e 

 

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update 18.2.2011:

 

Ecoist  hat in einem Kommentar auf diesen Link verwiesen, der mir sehr informativ zu sein scheint:

 

[Arabrev] Ägypten: Waht about the working class?





Veröffentlicht in Afrika

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E
<br /> <br /> Hinweis auf eine kleine Materialsammlung (de/en) zur Thematik:<br /> <br /> <br /> [Arabrev] Ägypten: Waht about the working class?<br /> <br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Danke für den Link. Ich hab den Inhalt bisher nur überflogen, scheint aber sehr interessant zu sein. Ich stell ihn als update zum Text.<br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> <br /> Wie ich eingangs geschrieben habe, weltweit ausreichend Lokalitäten mit wachsender Nachfrage zu bedienen, d.h. China und Ägypten werden die weltweit z.V.<br /> stehenden Nahrungsmittel je länger desto mehr mit immer mehr Menschen teilen müssen oder im Gegenzug Defizite legal am Weltmarkt besorgen, wenn sie nicht auf Raubzüge gehen wollen. Heute z.B. hat<br /> China eine aufstrebende Industrie, wodurch es mit ausreichend Devisen versorgt wird, um sich am internationalen Markt einzudecken, z.B. kümmert sich China schon heute um umweltschonende<br /> Produktionsweisen, weniger der Umwelt wegen sondern weil es weiss, dass es soviel Energie wie es braucht mittelfristig nicht produzieren kann, z.B. bedient sich China erst seit<br /> vergleichsweise kurzer Zeit ertragssteigernder Methoden als es da z.B. eingesehen hat, dass eine Umstellung von Reis auf Weizen einen Mehrertrag einbringt, weshalb übrigens auch<br /> Übergewichtsprobleme Einzug halten, z.B. ist China anders als Ägypten kein schmaler und noch dazu vergleichsweise kurzer Streifen Überschwemmungs-Landwirtschaft, etc. etc. Nebenbei bemerkt,<br /> erkauft sich China die Bewältigung seines Wachstumsrauschs mit z.T. horrenden Umweltverschmutzungen. Was China auch unternehmen wird, es kann nicht verhindern, dass es die Grenzen des Wachstums<br /> zu spüren bekommen wird, weil die Legende von Ikarus eine Metapher für viele Fehlentwicklungen ist, je höher der Aufstieg desto tiefer der Fall. China hat das ja schon früh eingesehen und die<br /> Einkindpolitik versucht umzusetzen, allein die Masse war daran nicht interessiert, sonst wäre sie nicht gewachsen. Nur Geduld, der Ferne Osten wird noch früh genug crashen.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Ich verweise u.a. auf die vielen Gelegenheiten in der Vergangenheit, während derer es nachweislich massive Rückschläge erlitten hat. Dieser Fragekomplex kreist um langfristige, natürliche (!)<br /> Klimaschwankungsmuster, die zu teilweise massiven Ausfällen an Ernte und entsprechend Menschen über Jahre / Jahrzehnte führen können und somit die landwirtschaftliche Tragfähigkeit einer<br /> Agrarökonomie definieren. Jeder zusätzliche Ertrag muss auch in der Zukunft gehalten werden können um das zusätzlich Bevölkerungswachstum zu kompensieren. Sowohl China als auch Ägypten haben<br /> gemeinsam, dass vergangene Dynastien an verheerenden Dürreperioden gescheitert sind und durch Nachfolgedynastien ersetzt wurden, d.h. eine Regierung löste die nächste ab. Mubarak lässt grüssen.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Das eigentlich Probleme können wir somit nur verschieben, wir können z.B. die gegenwärtig existierende langfristig stabile Strategie durch neue Methoden auf ein höheres Niveau heben, aber dort<br /> stellen sich die gleichen Fragen eben nur auf einem höheren Niveau. In diesem Wissen habe ich geschrieben "heute basteln wir eine humanitäre Katastrophe" und auf die mit den Wertschriftenbörsen<br /> vergleichbare Insolvenzverschleppung analog Bankster aufmerksam gemacht.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Grüsse<br /> <br /> <br /> kosh<br /> <br /> <br /> <br />
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K
<br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Neuer Versuch: -> http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=201766<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> -> 4 Bilder. Ganz unten die Reproduktions-"Spekulation der Masse" an der Börse des Lebens. Auch hierbei handelt es sich um eine Wette auf die Zukunft,<br /> insbesondere unter Berücksichtigung der 3 vorhergehenden Bilder: Weizenimporte, Ölexporte und forecast.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Erinnert mich an Sendungen vom Format: Liebe Kinder, heute basteln wir eine humanitäre Katastrophe. Es werden übrigens schon Zahlen um die 100Mio herumgereicht mit<br /> der Begründung, Söhne vorzugsweise nicht mehr zu melden um eine Einberufung in die Armee oder Polizei verhindern.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> http://www.rp-online.de/politik/ausland/Wie-eine-Prophezeiung-fuer-Aegypten_aid_964352.html<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Grüsse<br /> <br /> <br /> kosh<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Jetzt versteh ich, was mit "Spekulation der Massen" gemeint ist. Wenn es sich aber um ein Problem der "Überbevölkerung" handeln würde - wie gelingt es dann in China, dass sich 1.3<br /> Milliarden Menschen ernähren können, und zwar von Jahr zu Jahr besser ? Vielleicht liegts doch nicht an der "Spekulation der Massen", sondern an der wirklichen Spekulation und dem, was diese<br /> hervorbringt - die kapitalistische Gesellschaftsordnung, in der die Arbeitenden ein "Kostenfaktor" sind und sich alles um den Profit der Kapitalisten dreht ? <br /> <br /> <br /> <br />
K
<br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Bei aller Solidarität, welches Schweinderl hätten'S denn gerne? Tatsächlich erschütternd, aufgrund der weltweiten<br /> Nahrungsmittel- Börsenspekulation erschüttert. Yin und Yang! Erschütternd auch die Spekulation der Masse, der Verzicht auf Nahrungsmittel- Börsenspekulation könnte das Phänomen der unbegrenzten Reproduktion auflösen, zumal es, wie<br /> im Artikel beklagt, weltweit ausreichend Lokalitäten mit wachsender Nachfrage zu bedienen gilt. Darin steht die Masse dem Insolvenzverschleppungsgebahren der Bankster in nichts nach.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Einzelne Erscheinungen zu Erklärungsmustern verdichtet,<br /> bitteschön, vielleicht nur verpasst, aber eine Informationsgestaltung in dieser Dichte habe ich zu den Ursachen der Papyrusrevolution bislang noch nicht gesehen<br /> <br /> <br /> -> http://www.dasgelbeforum.net/forum_entry.php?id=201766.<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> Die Amis auf Kurs <br /> <br /> <br /> Grüsse <br /> <br /> <br /> kosh<br /> <br /> <br />  <br /> <br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Hm. Ich fürchte, ich versteh das nicht. "Spekulation der Masse" ? Spekulieren die Armen an den Börsen ?? Der angegebene Link funktioniert übrigens nicht.<br /> <br /> <br /> <br />