Angela Davis: Eine Frau schreibt Geschichte
Klaus Steiniger hat über Angela Davis ein Buch geschrieben. Als Korrespondent des Neuen Deutschland hat er 1972 den auf einer konstruierten Anklage basierenden Prozess gegen sie beobachtet, bei dem es um Leben und Tod ging. Angela Davis repräsentiert "das andere Amerika", das um seine Freiheit kämpft.
Hier eine Rezension von Dr. Ernst Heinz, übernommen von http://ddr-kabinett-bochum.blogspot.de/2012/03/ddr-kinder-sandten-angela-davis-eine.html
Nicht wenige Leser oder deren Kinder, vielleicht sogar Enkel werden sich erinnern: Sie hatten 1972 Postkarten mit selbstgemalten roten Rosen und den Worten "Freiheit für Angela!" in die USA geschickt. Eine Million Rosen wurden "zu Schlüsseln, die meine Zellentür öffneten", sagt Angela Davis heute.
Berlin, Erich Honecker empfängt Angela Davis, ADN-ZB / Koard 11.9.72 Deutsches Bundesarchiv Bild 183-L0911-029 |
Aufgewachsen in einer afroamerikanischen Lehrerfamilie in Birmingham (Alabama), erlebte sie schon in der Kindheit Sprengstoffanschläge des Ku Klux Klan auf Schwarze und Bürgerrechtskämpfer. Später schloß sie sich in New York einer marxistischen Jugendgruppe an. Als Studentin flog sie zu den Weltfestspielen in Helsinki. Nach ergänzenden Studien an der Pariser Sorbonne und der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo sie in Kontakt mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) kam, wurde Angela Davis in den Lehrkörper der Universität von Kalifornien, Campus Los Angeles, aufgenommen. Vor 2000 begeisterten Zuhörern hielt die junge Philosophin ihre Eröffnungsvorlesung. Bald darauf begannen erste, zunächst erfolglose, Versuche der um den damaligen Gouverneur des US-Bundesstaates, Ronald Reagan, gescharten Reaktion, sie zu diffamieren und aus dem Lehramt zu vertreiben.
Die herrschende Klasse der USA hat sich immer wieder ihrer Justiz bedient, um politisch Unliebsame und vor allem Kommunisten zu terrorisieren und zum Schweigen zu bringen. 1927 wurden die italienischen Einwanderer und anarchistischen Gewerkschaftsführer Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti wegen eines Mordes, den sie nachweislich nicht begangen hatten, hingerichtet. 1953 starben Ethel und Julius Rosenberg - zwei aufrechte Antiimperialisten - wegen angeblicher Atomspionage aufgrund der Aussagen eines meineidigen Zeugen auf dem elektrischen Stuhl. Gegen Angela Davis heckte man einen besonders infamen Plan aus. Obwohl sich ihr Prozeß unzweifelhaft gegen die KP der USA richtete, zu der sie sich mutig bekannte, wurden ihr drei Kapitalverbrechen - Mord, Menschenraub und Verschwörung - zur Last gelegt. Auf jedes stand die Todesstrafe. Konstruierte "Indizien" sollten ihre Schuld an einer versuchten Gefangenenbefreiung mit Geiselnahme, bei der vier Menschen von der Polizei erschossen worden waren, "beweisen". Angela Davis wurde auf die "Liste der zehn am meisten gesuchten Verbrecher" gesetzt. Nach ihrer Festnahme verbrachte "Amerikas prominenteste politische Gefangene" 488 Tage in Untersuchungshaft. Ihre Freilassung auf Kaution war mit diskriminierenden Auflagen verbunden.
Klaus Steiniger erlebte den am 28. Februar 1972 im kalifornischen San Jose eröffneten Prozeß als Gerichtssaalreporter des ND. Sein Buch darüber liest sich spannender als jeder Krimi. Blitzlichtartig wird das System politischer Justiz in den USA erhellt: Versuche der Auswahl "williger Geschworener", um den angestrebten Schuldspruch sicherzustellen, Zusammenspiel von Staatsanwalt und Medien bei der Vorverurteilung der Angeklagten, Unterdrückung und Fälschung von Beweisen, Einsatz gekaufter Provokateure, Bedrohung von Zeugen - all das gehörte zum Repertoire.
Schon bei der Befragung der Geschworenen-Kandidaten mischte sich Angela, die auch als Verteidigerin in eigener Sache zugelassen worden war, direkt ein. "Ihre sachliche Art, ihr ruhiger Ton, ihre geistige Disziplin und ihr bestimmtes Auftreten" brachten ihre Verfolger zur Weißglut. "Lächelnd, überlegen, ja sogar bisweilen in einen scherzhaft-ironischen Ton verfallend", wies sie diese in die Schranken.
Mit fast heiterer Gelassenheit parierte sie die Behauptung des Anklägers, es handle sich in ihrem Fall um Kriminalität, die mit "politischen Dingen" nichts zu tun habe. Ihr Vortrag am 29. März 1972 war, wie Klaus Steiniger schreibt, "eine der großen Reden, die in der Chronik politischer Prozesse des Imperialismus vom Platz angeklagter Revolutionäre aus gehalten wurden". Der in der Haft erblindete Henry Winston, damals Nationalvorsitzender der KP der USA und selbst Enkel schwarzer Sklaven aus Mississippi, sprach in San Jose davon, die inzwischen in das ZK der Partei gewählte Genossin Angela gehöre "zur Vorhut des Kampfes für die demokratischen Rechte und Traditionen aller Amerikaner und zugleich zur Avantgarde der schwarzen Befreiungsbewegung".
Angela Davis als Gast auf dem ND-Pressefest 2010, Berlin |
Eine der Stärken des Berichts von Klaus Steiniger besteht in der Fähigkeit des Autors, Menschen mit wenigen Strichen treffend skizzieren zu können. Die Schilderung der Geschworenen-Befragung steht dafür. Das Buch ist "einem beherzten Mann des anderen Amerika: Robert (Bob) Seidel aus San Jose" gewidmet. Ihm wird bescheinigt, "sich als Geschworener furchtlos für die Wahrheit eingesetzt" zu haben. In einer Imbißstube hatte der schon vor 1933 emigrierte Deutsch-Amerikaner den ND-Sonderkorrespondenten angesprochen, als er an dessen Jacke einen "Free Angela"-Button erblickte. Im Verlauf einer längeren Unterhaltung erwähnte Seidel plötzlich, daß er zu den noch nicht ausgelosten Geschworenen-Anwärtern gehöre. Er stehe aber nicht zur Verfügung und wolle den Richter aus Alters- und Krankheitsgründen um Entlastung bitten. Zugleich äußerte der pensionierte Service-Ingenieur seine Besorgnis über politische Entwicklungen in den USA, die explodierende Kriminalität und den ausufernden Rassismus. Klaus Steiniger hielt es für richtig, die Davis-Verteidigung von seiner Begegnung in Kenntnis zu setzen. Diese bemühte sich daraufhin um Seidels Aufnahme in die Jury. Am Ende gehörte er ihr an. Seidel spielte eine bedeutende Rolle im Prozeß. Er war es, der die Friedenskämpferin Mary Timothy als Vorsitzende des Geschworenen-Gremiums vorschlug, das sich am Ende nach langen Debatten einstimmig für Freispruch entschied.
Der reaktionäre preußische Historiker Heinrich von Treitschke prägte einst den Satz: "Männer machen Geschichte." Als Marxisten wissen wir indes: So ist es nicht. Historische Abläufe sind stets das Ergebnis des Handelns von Volksmassen, was keineswegs besagt, daß dieses immer dem gesellschaftlichen Fortschritt dient. Zugleich aber können einzelne Persönlichkeiten den Gang der Geschichte spürbar beeinflussen, wenn ihr Handeln den grundlegenden Interessen der von ihnen repräsentierten sozialen und politischen Kräfte entspricht. Klaus Steinigers Buch beweist, was der Zusammenklang von klugem und mutigem Handeln einer marxistisch gebildeten Revolutionärin wie Angela Davis mit einer durch sozialistische Staaten und kommunistische Parteien angeführten weltweiten Solidaritätsbewegung zu bewirken vermochte.
Eine solche Bewegung wird immer eine geschichtsbildende Kraft sein. Die Million roter Rosen auf den Postkarten der Kinder aus der DDR hat es bewiesen. Auch fast vier Jahrzehnte nach dem Geschehen in San Jose sind sie nicht verwelkt.
Dr. Ernst Heinz
Klaus Steiniger: Angela Davis - Eine Frau schreibt Geschichte - mit einem Vorwort von Angela Davis.Verlag Neues Leben. Berlin 2010. 176 Seiten, 20 Fotos. 12,95 Euro. ISBN 978-3-355-01767-1