Zur Kampagne der Linkspartei für ein EU-Bürgerbegehren
Der folgende Artikel steht in einer stark gekürzten Fassung in der UZ, der Wochenzeitung der DKP (http://www.dkp-online.de/uz/ , Diskussionstribüne ). Es geht um die EL-Kampagne für ein EU-Bürgerbegehren für einen EU-Sozialfond. Sich dieser Kampagne anzuschliessen, wurde vom Parteivorstand der DKP bei Stimmengleichheit abgelehnt. Hierzu hat sich eine Diskussion entwickelt, bei der Leo Mayer, stellvertretender Vositzender der DKP und Walter Listl, Sprecher des südbayerischen DKP-Bezirks für die Kampagne argumentieren, andere dagegen, darunter der stellvertretende Parteivorsitzende Patrik Köbele und das Sekretariatsmitglied Wera Richter. Die Artikel von Mayer und Listl hätte ich für den Nachvollzug der Diskussion gerne verlinkt, habe aber keinen Link gefunden. Nachzulesen sind sie aber bei http://www.triller-online.de/index2.htm unter "Erneute Zuspitzung der Differenzen in der DKP".
Der hier gespiegelte Text von Thomas Mehner ist von der DKP Krefeld übernommen ( http://www.dkp-krefeld.de/uz-eu.pdf ). Mehner bezieht sich auf die Diskussion in der DKP. Seine Argumente zur EL-Kampagne halte ich aber lesenwert für alle, die sich über die Kampagne der Linkspartei eine Meinung bilden wollen.
Hier der Text (graphisch, wie öfter mal in meinem Blog, in einem fürchterlichen Zustand, aber Interessierte werden sich schon durchwursteln ):
Die EU und die EL-Kampagne: Illusion und Wirklichkeit
http://kritische-massen.over-blog.de/article-wirddie-
Der Artikel von Walter Listl in der UZ vom 10. Juni lässt erkennen, dass er – gleich wie die
Befürworter der vom PV abgelehnten Kampagne – die Stellung und die Funktion der EU und die
sich daraus abzuleitenden politischen Möglichkeiten falsch einschätzt. Keiner hat wohl die
ausgezeichnete Analyse in Sepp Aigners Blog
(
eu-ein-staat-der-lisabonner-vertrag-76381995.html
) gelesen bzw. verstanden, auf die ich hier gern hinweise.
Bürgerliche Illusionen über die EU
Die EU ist kein Über-Staat, auch keiner im Entstehen, die alleinige Souveränität liegt fest in den Händen der Regierungen der Mitgliedsstaaten und nicht bei der EU-Bevölkerung, die die
entscheidenden Organe weder wählen noch abwählen kann. Wer die tatsächlichen Befugnisse der Organe und Institutionen, die Machtverhältnisse, die Entscheidungsträger innerhalb der EU einerseits und die realen Einflussmöglichkeiten der Bevölkerung bzw. der Wähler auf die
Gestaltung der Gesetzgebung und die Inhalte der Politik der EU vorurteilslos betrachtet, muss zu dem Schluss kommen, dass die EU eine praktisch demokratiefreie Zone ist, eine
Lobbyorganisation der Monopole, ein Instrument und Machtorgan der imperialistischen
europäischen Hauptstaaten gegenüber der Peripherie, wo das Finanzkapital mit den Regierungen der Mitgliedsstaaten aushandeln, welche gemeinsamen oder auch widerstreitenden imperialistischen Interessen und Ziele nach innen und außen wie, wo, wann und gegen wen oder mit wem umgesetzt werden. Eine selbst nach bürgerlichen Vorstellungen durch nichts demokratisch legitimierte Einrichtung.
Ein Genosse vergleicht die EU heute mit dem Deutschen Reich von 1871. Er leitet daraus ab, die Arbeiterbewegung habe dieses damals zu Recht akzeptiert, weil es die elende Kleinstaaterei
beendete und der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung sowie dem Kampf für Sozialismus einen geeigneten Rahmen gab, gleichermaßen müsse man heute auf die Forderung nach Auflösung der EU verzichten. Für das Reich von 1871 trifft das zu, es war ein großer Fortschritt auch für die Arbeiterbewegung, aber trotzdem trifft er im Kern der Sache daneben. Das Deutsche Kaiserreichwar ein reales bürgerlich-konstitutionell-multimonarchistisches einheitliches Reich mit einem realen bürgerlichen Parlament, allgemein und gleich gewählt (ohne Frauen, versteht sich, aber auch ohne preußisches Dreiklassenwahlrecht), mit allen realen bürgerlichen Funktionen und Kompetenzen, mit reichseinheitlicher Innen- und Außenpolitik, einer realen Reichsregierung samt einem real mächtigen Reichskanzler, also ein Staat im klassischen Sinne des Wortes. Vergleichbares ist in der EU nicht zu finden, wie wir sehen werden.
Der Eindruck eines zusammenwachsenden, demokratischen, einheitlichen Europa ist eine Illusion, die bewusst durch Regierungen, bürgerliche Parteien und Massenmedien erzeugt wird, sie ist eine für die Akzeptanz der EU und zur Verschleierung der nackten Herrschaft der Monopole unverzichtbare Voraussetzung. Je weniger die Menschen in Europa ihre Interessen in der EU real vertreten (lassen) können, je geringer ihre tatsächlichen Einflussmöglichkeiten (selbst nach bürgerlichen Maßstäben) auf die Ausgestaltung der EU-Politik nach innen und außen sind, desto mehr muss diese Fiktion das Massenbewusstsein vernebeln. Dies scheint inzwischen bei Linken und sogar bei Kommunisten zu wirken. Wenn ich an das „Argument“ der persönlichenBequemlichkeit wegen des Wegfalls der Währungsumrechnung in der o.g. UZ denke . . . aua!
Das Europäische-Nicht-Parlament
Seine Abgeordneten werden durch allgemeine Wahlen in den Mitgliedsländern der EU gewählt.
Aber das war's auch schon, bei näherem Hinsehen wird die Parlaments-Fiktion, seine pseudodemokratische Alibi-Funktion sofort überdeutlich: Das Europaparlament in Strasbourg ist nicht Inhaber der souveränen legislativen Kompetenz der EU. Entscheidend sind letztendlich der
Ministerrat (Europäische Rat) und die Europäische Kommission, beides keine gewählten, sondern
von den Regierungen der Mitgliedsländer beherrschte Organe, in denen alle wesentlichen
Entscheidungen nach Konsultationen der Regierungen getroffen werden.
Angesichts dieser Realität klingt Walters Frage befremdend: „Geht es darum diese Institutionen
abzuschaffen und ihre Kompetenzen auf die Nationalstaaten zu übertragen?“ Irrtum, Walter, die
EU-Gremien haben keine wesentlichen eigenen Kompetenzen, die man an die Nationalstaaten
„zurück“geben könnte. Ohne jetzt etwas spöttisch auf die „Kompetenzen“ zur Regelung des
Krümmungsgrades von Gurken oder der Mindestgröße der Äpfel verweisen zu wollen, sollte doch
klar sein, dass die eigenen Zuständigkeiten der EU sich tatsächlich beschränken auf die
Regelungen zum einheitlichen Wirtschaftsraum, (und selbst die werden nicht von einer souveränen
EU bzw. deren gewählten Abgeordneten nach irgendwelchen übergeordneten Gesamtinteressen
getroffen, sondern unter heftigsten Auseinandersetzungen der Nationalstaaten als einzelne
konkurrierenden Mitglieder untereinander ausgefochten, wie z.B. alle Währungs- und
Finanzfragen, die Macht in der EZB oder Hilfspakete für einzelne Mitglieder), während die
Gestaltung der inneren und äußeren Herrschafts-, Macht- und Sozialverhältnisse der Einzelstaaten
ausschließlich deren eigene Angelegenheit sind. Und welche Elemente dieser undemokratischen
Institutionen will man demokratisieren statt abschaffen? Nenne mir jemand welche, die dazu
geeignet wären. Es gibt keine! Die entscheidenden EU-Institutionen sind vollkommen abgeschirmt
gegen jede (selbst bürgerlich-)demokratische Einflussnahme, und wenn wie beim Europäischen
Parlament ausnahmsweise eine demokratische Einflussnahme durch Wahlen möglich scheint, so
bleibt sie ohne Konsequenzen, weil es kaum Entscheidungskompetenzen hat, nicht mal das
Initiativrecht für Gesetze, und nicht mal für solche, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EU
fallen. Das ist wie bei einer Barackensiedlung, aus der man Wohnhäuser machen will: Besser
abreißen und neu bauen.
Auch Walters weitere Aussage ist irreal: „Fest steht doch, dass schon heute die überwiegende
Mehrheit der Bestimmungen, Regeln, Gesetze und Vorschriften, die unser Leben bestimmen von
EU-Institutionen vorgegeben werden.“ Wurde Hartz IV samt den jüngsten Kürzungen von Brüssel
beschlossen? Der BW-Einsatz in Afghanistan vom Europäischen Parlament? Die
Gesundheitsreform? Das milliardenschwere Banken- und Profitrettungspaket für HRE, WestLB,
Commerzbank und Konsorten? Die Rente mit 67? Das Atommoratorium und der Atomausstieg bis
2022? Nein, natürlich nicht, und die EU hätte das auch weder gedurft noch gekonnt. Mal
andersrum: Ich versuche mir gerade vorzustellen, die EU wollte – in Verarbeitung der jüngsten
japanischen Nuklearkatastrophe – Frankreich (über 82% Atomstromanteil) die Abschaltung seiner
Atomkraftwerke vorschreiben. Grotesk, nicht wahr?
Die Europäischen Bürgerinitiative, eine Alibi-Veranstaltung
Auch das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (ab April 2012 in Kraft) ist eine reine
Alibiveranstaltung. Die Voraussetzungen erscheinen erstmal recht überschaubar: 1 Mio Stimmen,
anteilig aus mindestens 7 Mitgliedsländern. Für die BRD wären das knapp 75.000 Unterschriften,
die sogar online abgegeben werden können. Sind die da, führt die Europäische Kommission zu
dem Begehren (dessen sachliche Zulässigkeit vorausgesetzt) eine Anhörung durch. Nein, wer jetzt
gedacht hätte, das Europaparlament wäre hierfür zuständig (hier irren auch Wera und Patrik), liegt
falsch: Es hat hier nichts zu sagen!
Es könnte den Antrag nicht mal als eigene
Gesetzesvorlagen einbringen
. Die (nicht gewählte oder demokratisch legitimierte) Europäische
Kommission behält in jedem Fall
das alleinige Initiativrecht für Gesetzesvorhaben . Und ist
selbst bei Einhaltung aller formalen Kriterien rechtlich nicht verpflichtet, das Begehren tatsächlich
in eine Gesetzesinitiative umzusetzen. Sie kann auch einfach nichts tun, denn es gibt für die
Bürgerinitiative keine Möglichkeit, das Begehren rechtsverbindlich durchzusetzen. Dagegen ist
selbst das Instrument Volksbegehren / Volksentscheid in Deutschland ein echter basis- und
direktdemokratischer Akt der Volkssouveränität. Der Alibicharakter der Europäischen
Bürgerinitiative ist unübersehbar: Keine Verbindlichkeit, keine Verpflichtung, keine
Durchsetzbarkeit. Wie will man für so eine Pseudo-Politik Menschen mobilisieren?
Unser Programm zur EU
Hier legt Walter den Finger in die Wunde. Unser Programm ist hier wirklich unklar und wenig
schlüssig. Einerseits wird der Grundcharakter der EU, ihre Unterordnung unter die Interessen der
ökonomisch stärksten Länder, der imperialistischen EU-Hauptmächte Deutschland und Frankreich,
ihr rein instrumentelles Verhältnis zu den aggressiven Bestrebungen insbesondere des deutschen
Monopolkapitals zur Erweiterung seiner Machtbasis nach innen und außen, ihre undemokratischen
Strukturen, sowie ihre Funktion als Instrument zum Sozialabbau, zur Verschärfung der
Ausbeutung, zur Privatisierung und Kapitalisierung aller öffentlichen Bereiche, zur Zerstörung der
kulturellen Ansprüche der Menschen usw. herausgearbeitet. Andererseits wird die
Entwicklungsperspektive gezeichnet, es könne fortschrittlichen Kräften gemeinsam gelingen, „die
Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen
zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen“. Hier stutzt der
Leser, denn das ist angesichts der Konstruktion und Funktion der EU-Institutionen widersinnig: In
dem Maße, wie ihre oben analysierte Funktion aufgehoben würde, verlören sie ihre Funktion
insgesamt. An ihrer Funktion als rein imperialistische, demokratiefreie, unmittelbare Organe des
Monopolkapitals kann man nichts demokratisieren. Allenfalls könnte man ihre Namen beibehalten
und damit ganz neue Gremien mit nunmehr tatsächlich demokratischen und antimonopolistischen
Inhalten benennen. Das wäre dann doch recht verrückt. Jedoch relativiert unser Programm die
Demokratisierungsperspektive selber gleich wieder, indem es als Voraussetzung dafür beschreibt:
„Der imperialistische Charakter der EU-Konstruktion macht jedoch die Erwartung illusorisch, diese
EU könne
ohne grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem
demokratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus werden.“ Das passt
nicht wirklich zueinander, und in diesem Punkt ist offenbar die Diskussion in der Partei zur
Herstellung von Übereinstimmung (der Beschreibung mit den Tatsachen und der Genoss/inn/en
untereinander) noch weiter zu führen
Die untaugliche Kampagne, der nichtssagende Fonds
Zum Fonds selbst, er wird im vom PV abgelehnten Antrag wie folgt beschrieben: „Mit diesem
Fonds sollen öffentliche Investitionen für einen sozialen und ökologischen Umbau finanziert und
Arbeitsplätze geschaffen werden.“ Das ist alles. Wie die Gegnerschaft gegen „Sparprogramme“ in
der Kampagne aussehen soll, dazu kein Wort. EU-weite Massenmobilisierung? Demonstrationen?
Öffentlicher Widerstand? Dauerbesetzung des Parlamentsvorplatzes in Strasbourg? Schwerpunktoder
Generalstreiks? Vernetzung mit den griechischen, spanischen und portugiesischen
Protesten? Fehlanzeige. Die Aktion bewegt sich nicht auf der Straße, wo sie hingehört und
Wirksamkeit entfalten könnte, sondern vollständig innerhalb der Strukturen der EU. Und der Fonds
macht nichts anderes, als was die üblicherweise so tun: Er stützt letztlich Unternehmen durch
Subventionen und öffentliche Aufträge. „Arbeitsplätze schaffen“, „Ökologischer Umbau“ hören sich
ja gut an, nur kann man das aus jeder politischen Ecke von der CDU bis zur PdL hören. Green
Capitalism ist im Moment eben in.
Interessant ist es, wie die EL die Kampagne begründet: „Uns geht es darum, Bürgern
entsprechend ihren Erfahrungen und Überlegungen eine Möglichkeit zu bieten, um ihre Politiker zu
verantwortungsbewussterem Handeln zu veranlassen und einen politischen Prozess einzuleiten,
der günstige Bedingungen für die radikalen Veränderungen schafft, die nötig sind, um die Krise zu
bewältigen, die jetzt die Eurozone und die EU insgesamt heimsucht.“
org/nc/deutsch/aktuelles/archiv/archiv/zurueck/aktuelles-startseite/artikel/der-fahrplan-der-eukampagne
nimmt-gestalt-an/
-
)
Die Bürger sollen also „ihre Politiker zu verantwortungsbewussterem Handeln (...) veranlassen.“
Ein Appell an die Verantwortung, soso. Und wessen Verantwortung? Die von Vertretern EUimperialistischer Monopolinteressen? Na toll, das kommentiere ich jetzt nicht weiter. Das ist eh
selbst im bestem Fall reine Stellvertreterpolitik, es wird keine politische Bewegung von unten
erzeugt. So etwas ist meilenweit entfernt von unserer kommunistischen Vorstellung von Politik.
Und im gesamten Papier ist nicht einmal ein einziger Hinweis auf politische Aktionen, kein Wort
vom Widerstand gegen den massiven Sozialraub an den Menschen, die schrankenlose Erhöhung
der Ausbeutung und die Entrechtung der Menschenmassen, nicht einmal die sonst so
allgegenwärtige neoliberale Politik zu bekämpfen oder die Preisgabe der (bürgerlichen) nationalen
Souveränität, die zur Durchsetzung besserer Kapital-Verwertungsbedingungen derzeit besonders
gegen die Griechen, die Iren und die Portugiesen durchgeprügelt werden soll.
Ziel der Kampagne ist es lt. EL, „die Krise zu bewältigen, die jetzt die Eurozone und die EU
insgesamt heimsucht.“ Wie bitte? Die Krise als „Heimsuchung“? Ein böses Unheil von außen?
Kein Wort davon, dass die Krise eine kapitalistische Krise ist, deren konkrete Ausprägung durch
die imperialistische EU mitgestaltet wurde, und dass
jede „Lösung“ einer solchen Krise im
Kapitalismus zu Lasten der Menschen geht und die nächste Krise auf noch höherem Niveau
vorprogrammiert. Das Mittel zur Lösung: Ausgerechnet ein kapitalistischer Fonds (von denen es in
der EU bereits mehrere gibt)! Hä? So etwas nennt man üblicherweise Systemstabilisation. Dazu
wäre der Fonds möglicherweise sogar ein ganz klein wenig geeignet, aber so etwas ist ebenfalls
Lichtjahre weit entfernt von unserer kommunistischen Vorstellung von Reformpolitik in
nichtrevolutionären Zeiten.
Und mit so was will man Menschen mobilisieren? Welcher von Arbeitslosigkeit, Altersarmut und
sozialem Abseits bedrohte, im Niedriglohnsektor arbeitende oder bereits in völliger Armut lebende
Mensch wird wohl auf diesem politischen Abstraktionsniveau einen Anlass für Widerstand und
Protest sehen? Was hat ein solcher Fonds mit seiner erbärmlichen Wirklichkeit zu tun? Wo sind
die Anknüpfungspunkte mit der eigenen Lage? Kann der Fonds seine Lage verbessern? Lohnt es
sich, hierfür zu kämpfen? Wird er hiervon angesprochen, bewegt, aktiv? Nein, niemand, nichts und
nirgendwo. Und was sollten Menschen denn aus einer solchen Aktion auch lernen? Die EU wird’s
schon richten, wenn wir sie nur freundlich per online-Abstimmung oder Unterschrift darum bitten?
Genossinen und Genossen, der Effekt dieser Kampagne wird auch in dieser Hinsicht höchstens
klassische Systemstabilisation sein: Binden und Neutralisieren von linken und revolutionären
Kräften, Ableitung von Widerstandspotential in die undurchdringbaren Tiefen der EU-Bürokratie.
Unsere Rolle und Haltung zur Kampagne und zur Politik auf EU-Ebene
Diese „Bürgerinitiative“ mit dem Krefelder Appell zu vergleichen ist unredlich. Walter hat es doch
selber miterlebt: Der Krefelder Appell knüpfte damals unmittelbar an das eigene politische Erleben
und die persönliche Betroffenheit der Menschen an, richtete sich direkt an die Menschenmassen
und bot ihnen einen praktischen Anknüpfungspunkt für vielfältigste und massenhafteste eigene
Aktionen, die Kampagne orientierte auf zentrale Massendemonstrationen, spektakuläre Blockaden,
lokale Breitenaktionen und entfaltete eine unglaubliche Wirksamkeit erst außerhalb und dann auch
innerhalb der offiziellen politischen Institutionen. Damals handelten die Menschen selber in eigenen Initiativen auf der Straße, die Kampagne jetzt beschränkt sich jedoch auf Aktivitäten einer
Europaparlaments-Partei stellvertretend für die Bürger innerhalb der Gremien. Unterschriften
sammeln und dann abwarten und den Rest den Gremien überlassen? Nein danke!
Unsinnig ist zudem, auf diese Art die „Sparpolitik“ bekämpfen zu wollen, also den brutalen
Sozialraub, wie er derzeit gegen Griechen, Iren, Portugiesen usw. durchgeprügelt werden soll,
aber auch in Deutschland und Frankreich usw. seit langem zentraler Inhalt der Politik ist. Dass die
EU(-Kommission) und alle Mitgliedsländer ihre gesamte imperialistische (von mir aus auch
neoliberale) Politik vollkommen umkehren, nur weil 0,27% (!) der Wahlberechtigten (1 von 375
Mio.) das gern so hätten, ist pure Illusion. Es sollte klar sein, dass unser Programm mit dem
obigen Zitat recht hat: „ohne grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen“
gibt’s in EU-ropa keinen Fortschritt, und diesem Umbruch werden wir mit dieser Kampagne auch
keinen Millimeter näher kommen.
Dem Beschluss der EL über die Kampagne vom Dez. 2010 ist der PV der PdL im Jan. 2011
gefolgt. Stellen wir uns mal vor, die machen Ernst damit und organisieren das in der BRD. Welche
Rolle haben wir dann dabei? Lässt die PdL uns überhaupt offiziell mitmachen? Eine gemeinsame
Aktion von PdL und DKP? Offiziell von den PVen beider Parteien beschlossen? Wer das glaubt,
soll weiter träumen. Und dass wir hinter der PdL hinterherlaufen und uns als willige Helfer
andienen, nein, wirklich nicht. Aber da wäre ja noch das vielzitierte breite Bündnis aus sozialen
Bewegungen, Umweltinitiativen, Gewerkschaften und Parteien. Wo ist das? Wer organisiert das?
Wer knüpft jetzt gerade die Verbindungen, verabredet die Strategien? Europaweit? Seh' ich nichts
von. Und mal ernsthaft, glaubt irgend jemand wirklich, Sozialdemokraten, Gewerkschafter,
Globalisierungsgegner, Umweltaktivisten usw. würden sich vor den Karren der EL spannen
lassen? Und das für eine so schwache Aktion? Und selbst wenn, wäre deren desorientierende
Wirkung dann eine andere?
Auch wenn es für Walter „schwer vorstellbar ist, wie auf der Grundlage der Losung 'Abschaffung
der EU' die Kämpfe auf nationaler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden
können“: Internationale Gegenwehr kann (und darf) nicht mit Aktionen auf der Ebene der EUInstitutionen und innerhalb ihrer Gremien gleichgesetzt werden. Insofern wendet sich das
Argument mit der Bolkestein-Richtlinie gegen Walter: Es wurde dagegen umfassend und
international mobilisiert und protestiert, aber eben nicht nur mit Petitionen und
Unterschriftensammlungen, sondern
vor allem mit Aktionen der Betroffenen, gewerkschaftlich
organisierten europaweiten Großdemonstrationen, Betriebsversammlungen und
Arbeitsniederlegungen
in den Häfen. Auch eine andere ständig vorgenommene Gleichsetzung
führt in die Irre: Europa ist nicht die EU. Und der „Kampf für ein ökologisches, ein
antimilitaristisches, ein soziales Europa“ ist kein Widerspruch zur Forderung nach Auflösung der
EU, man kann (und muss) den Klassenkampf sehr wohl international auf europäischer Ebene
führen, ohne sich dabei in den EU-Gremien à la Europäische Bürgerinitiative zu verheddern und
dabei den Kampf gegen die imperialistische Konstruktion EU zu vergessen.
Komisch klingt auch Walters Anregung, „an der Idee eines anderen Europa zu arbeiten“. Was
sollen solche idealistischen Deklamationen? Wenn damit das Ziel der revolutionären Umgestaltung
Europas gemeint ist, ein sozialistisches Europa nach dem Ende der Kapitalherrschaft und der
Ausbeutung, warum sollte man das nicht klar sagen? Wenn das aber nicht gemeint ist, ja was ist
dann gemeint?
Ganz seltsam wird es, wenn Walter Wera und Patrik zustimmt, dass ohne gründliche Diskussion
die Partei insgesamt nicht mitgehen wird, und ihnen dann zuruft: „Aber wie soll 'die ganze Partei' möchte man rufen, aber warum erzählst Du das Patrik und Wera? Und nicht der
Sekretariatsmehrheit, die es sträflich unterlassen hat, die breite Debatte über die Kampagne zur
„EU-Bürgerinitiative
vor Antragstellung und Beschlussfassung auf der 3. PV-Tagung in der
Gesamtpartei zu organisieren? Eben das beklagen ja die beiden und sehen hierdurch die Einheit
der Partei gefährdet. Und haben ihrerseits am 3. Juni die Diskussion in der UZ eröffnet. Mit Recht,
Walter, oder?