Eigenartiges Geschäft: Staatseigentum, das vom Staat gekauft werden muss

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

In der bayerischen Verfassung steht, dass Flüsse, Seen und Wälder der Allgemeinheit zugänglich sein müssen. Aber was schert eine Verfassung, die kurz nach dem II. Weltkrieg geschrieben wurde. Damals war der Kapitalismus, der die Hitlerei hervorgebracht hatte, für ein paar Jahre auch in Westdeutschland dermassen diskreditiert, dass sogar die CDU in ihr (Ahlener) Programm schreiben musste, mit ihm müsse Schluss gemacht werden. Und gar die SPD kritisierte die KPD damals heftig, weil sie nicht gleich den Sozialismus einführen wollte, wo doch - dem hinterlistigen Spitzbuben Kurt Schumacher zufolge - die Parole galt: "Der Sozialismus marschiert". Gemeint war, dass die SPD in die Arme der USA und Grosbritanniens marschiert war, die gerade den Kalten Krieg in die Wege brachten.

 

Aus demagogischen Gründen und weil diejenigen, die mit dem Kapitalismus wirklich Schluss machen wollten, auch in Westdeutschland noch da und dort Einfluss nehmen konnten, steht aus dieser Zeit so Manches in westdeutschen Länderverafassungen, das nie realisiert worden ist. Es steht da noch heute, weil es eh wurst ist. Man macht sich nicht einmal die Mühe, die Verfassungen der Wirklichkeit anzupassen. Heutzutage wäre das auch eher gefährlich, weil damit Fragen auf den Tisch kämen, die vielen Leuten wieder unter den Nägeln brennen. Die "Sozialpflichtigkeit" des Privateigentums, die im BRD-Grundgesetz verankert ist, ist ja in der Praxis ein Hohn. Ginge es wirklich nach dem Grundgesetz, müssten die grossen Eigentümer allesamt enteignet werden. Aber es geht eben nicht nach einem Papier aus der unmittelbaren Nachkriegszeit.

 

Mit den Segnungen des Privateigentums wurden nach der Einverleibung der DDR bekanntlich auch deren ehemalige Bürgerinnen und Bürger beglückt. Zum Beispiel wurden Grund und Boden, die in der DDR Staatseigentum waren und damit keine Ware mehr, mit der man handeln und spekulieren und Zins eintreiben konnte, wieder in Privateigentum übergeführt. Die Gauner aus dem Westen rissen sich die Schnäppchen unter den Nagel und errichteten Zäune und Mauern um ihre ergaunerten Grundstücke, die vormals für die Allgemeinheit zugänglich gewesen waren, als sei das eine Selbstverständlichkeit. Es war aber keine Selbstverständlichkeit gewesen. Der freie Zugang zu Seen, Flüssen und Naturschönheiten war den sozialistischen Eigentumsverhältnissen und der sozialistischen Staatsmacht geschuldet, und zum Schutz hatte sogar eine ziemlich lange Mauer errichtet werden müssen. Die Länge der heutigen Privatzäune und -Mauern dürfte allerdings die der einen langen Mauer übetreffen.

 

In den 1970er Jahren führten DKP und SDAJ in Bayern eine Kampagne unter Berufung auf die bayerische Verfassung. Wir zerschnitten die Zäune und überkletterten die Mauern der Seegrundstücke von reichen Leuten wie dem Multimilliardär Finck, besetzten den gepflegten Rasen und badeten im Angesicht der herrschaftlichen Villen, deren Besitzer über den eingdrungenen Pöbel vermutlich not amused gewesen sind. Es waren Leute wie Finck, die die bayerische Verfassung brachen, indem sie ganze Seen für die Öffentlichkeit sperrten. Aber natürlich waren wir die Rechtsbrecher, die sich des Hausfriedensbruchs schuldig machten. Die Polizei war stets präsent. Es gab Verhaftungen. Obwohl unsere Aktionen einige Aufmerksamkeit erregten, konnten wir das Anliegen nicht zu einem wirklichenVolksanliegen machen und eine Änderung der verfassungswidrigen Praxis erzwingen. Heute, vierzig Jahre später, hat sich nichts geändert.

 

Für die ehemaligen DDR-Bürger ist so etwas immer noch eine relativ neue Erfahrung. Seen, die an Privatrleute verkauft werden ? Spinnen die ? Nein, die spinnen nicht. Sie haben die Macht.

 

In ihrem Blog Gedanken(v)erbrechen schildert modesty einige Absurditäten des heiligen Rechts auf Privateigentum, das jetzt auch auf dem ehemaligen DDR-Gebiet wieder gilt: 

Das Volk muss sein Eigentum zurück kaufen

Dass Privatisierung nicht unbedingt etwas Gutes sein muss, haben die DDR-Bürger mittlerweile erfahren. Und auch das Land Brandenburg hat das inzwischen nach einigen harten Lektionen kapiert. Da war beispielsweise der Streit um den Uferweg am Griebnitzsee.

Die schicken Seegrundstücke am Griebnitzsee (und nicht nur dort) wurden nach dem Anschluss der DDR an Westdeutschland an Privatleute verkauft – und offenbar hat keiner der in der DDR sozialisierten Kommunalpolitiker sich darüber Gedanken gemacht, was das in der Konsequenz heißt. Die Anwohner, meistens reiche Wessis dagegen wussten das genau: Ihre Grundstücke reichen bis zum See. Also befand sich der in der ersten Zeit nach der Wende frei zugängliche Uferweg, der zu DDR-Zeiten für patrouillierende Grenzsoldaten angelegt wurde, auf ihren Privatgrundstücken. Folgerichtig verbarrikadierten sie den Zugang, denn sie hatten die Seegrundstücke ja nicht gekauft, damit jeder darauf herumspazieren konnte.

Seeblick in Berlin: Rummelsburger Bucht

Seeblick in Berlin: Rummelsburger Bucht

Ein jahrelanger Konflikt war die Folge, der noch immer nicht ausgestanden ist. Potsdam würde den Weg gern wieder für alle öffnen, die neuen Anrainer behalten sich Schadensersatzklagen vor. In der DDR spielte es keine große Rolle, wem das Land gehörte, auf dem das eigene Haus oder die Datsche stand. Oder über das irgendwelche Wege führten. Im Zweifelsfall war eh alles volkseigen. Im Kapitalismus ist das nicht so einfach. Da gehört das Land dem Eigentümer, und insbesondere private Eigentümer verstehen nichts von Allgemeinwohl und erst recht keinen Spaß.

Ähnlich unlustig ging es zu, als der Wandlitzsee verkauft wurde. Ein Düsseldorfer Rechtsanwalt kaufte das Gewässer. Eigentlich, so dachte man, sollte das kein Problem sein, denn es sollte nur die Wasserfläche verkauft werden. Und was macht man schon groß mit einem See? Doch der private Investor zockte die Kommune ab: Der See war inzwischen nämlich kleiner geworden als im Grundbuch vermerkt war. Also befanden sich die Stege, Bootsanlegestellen und das beliebte Strandbad auf der Fläche des Gewässers und damit auf dem Land des Käufers. Und natürlich verlangte der neue Eigentümer gleich Tausende von Euro an Pacht von Hunderten Nutzern. Das war wieder einmal dumm gelaufen.

In Brandenburg stehen noch immer etwa 140 Seen zum Verkauf, die in seligen DDR-Zeiten Volkseigentum waren und von der Treuhandanstalt in Bundesbesitz übergingen. Damit sollte man eigentlich annehmen, dass alles in Ordnung ist – öffentlicher Besitz ist öffentlicher Besitz. Aber das Land Brandenburg traut der Bundesregierung nicht mehr über den Weg – das ist erwiesener Maßen auch besser so – und will diese Seen kaufen, um zu verhindern, dass weiter Gewässer in die Hand von Privateigentümern gelangen und damit nicht mehr öffentlich zugänglich sind.

Das Irre an der Sache ist: Warum muss das Land Brandenburg Seen kaufen, die sich auf seiner Fläche befinden?! Warum kann der Bund dem Land Brandenburg nicht einfach seine Seen überschreiben? Schließlich gehören sie ohnehin dem Volk! Es ist so verrückt, wie es sich anhört: Alles, was dem DDR-Volk gehört hat, muss die Allgemeinheit, in diesem Fall vertreten durch das Land Brandenburg, mit den Steuergeldern der Bürger vom Bund zurückkaufen, damit es wieder dem Volk gehören kann.

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A
<br /> Das ist echt zum Kotzen! Hier in OWL versuchen private Waldeigentümer und ehemalige (seit 1919 abgeschaffte!) Adelige die Errichtung eines geplanten Nationalparks auf dem Gelände des südlichen<br /> Teutoburger Waldes und des Truppenübungsplatzes Senne zu verhindern, aus privaten, kommerziellen Interessen natürlich und weil sie 'selbstverständlich' aus ererbten historischen Gründen besser<br /> wissen, was gut für die Allgemeinheit ist, als diese selbst...<br />
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K
<br /> Schönen Sonnta auch!<br /> <br /> <br /> Das Thema "Zugänglichkeit von Seeufern" war auch zu DDR-Zeiten ein Reizthema. Wir sollten uns jede rosarot gefärbte Erinnerung daran verbieten. Volkseigentum an der Wasserfläche hin oder her, an<br /> die Seeufer kamst Du meistens nicht heran, sei es wegen altbürgerlichen Privateigentums an Seegrundstücken, sei es wegen neu-realsozialistischen Privateigentums an Seegrundstücken. Dieses<br /> besonders begehrte neu-realsozialistische Privateigentum haben keineswegs nur Bonzen von Partei und Staatsapparat ergattert aber zweifellos überdurchschnittlich oft. Auch andere Leute mit viel<br /> "Vitamin B" hatten überdurchschnittliche Chancen auf solche Perlen. Das waren z. B. Handwerker und Gewerbetreibende aller Art, also Leute, die begehrte Leistungen anboten gegen "blaue Fliesen"<br /> (Westmark) anboten, mit denen sie dann auch bezahlen/schmieren konnten. Und auch gewisse Großorganisationen mit traditioneller Affinität zu Grundbesitz fühlten sich an Seeufern exclusiv besonders<br /> wohl. Ich rede von Kirchen. Unser Realsozialismus in der DDR hat leider in der Öffnung von Seeufern für die Allgemeinheit VÖLLIG versagt. <br /> <br /> <br /> Wenn Leser und Leserin aus dem galligen Ton dieses Kommentars auf einen tiefsitzenden Ärger aus meinen DDR-Jahren schließen, so liegen sie völlig richtig.<br /> <br /> <br /> Das nächste Thema würde die Erfahrungen mit, ich sage mal, "basisdemokratischer Übergrifflichkeit" betreffen, wie Sepp sie aus Bayern schildert. Doch das möchte ich mir und den LeserInnen jetzt<br /> ersparen, wegen s.o.<br /> <br /> <br /> Schönen Sonntag noch!<br />
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S
<br /> <br /> Hallo kranichos<br /> <br /> <br /> Gegen Deinen Ärger gibt es kein Argument. Aber ich finde es nicht ganz unerheblich, dass er sich zu DDR-Zeiten gegen Erscheinungen richtete, die Überbleibsel der alten Ordnung oder<br /> Fehlentwicklungen der neuen waren. Dein Ärger fand sozusagen eine ganze Gesellschaftsordnung weiter vorn statt.<br /> <br /> <br /> Ich kenne das Oberhof der DDR-Zeiten. Es hat mir damals sehr gefallen, dass das ehemals mondäne Örtchen mit den peinlich protzigen Gründerzeit- und Jugendstilvillen zu einem Urlaubsort für<br /> gewöhnliche Werktätige gemacht worden war, bewirtschaftet vom FDGB und anderen Massenorganisationen. Sogar das Interhotel, das ja für Deviseneinnahmen da war, hatte ein Kontingent für<br /> Gewerkschafter. Seit der Konterrevolution war ich nicht mehr dort. Aber ich wette, dass das alles wieder in der Hand von Privaten ist und zum Teil zum Geschäftemachen, zum Teil für den<br /> persönlichen Luxus verwendet wird. - Nur so als Beispiel dafür, dass Ärger nicht ganz gesellschaftsformationsunabhängig ist.<br /> <br /> <br /> Schönen Rest-Sonntag noch.<br /> <br /> <br /> <br />