EU, Nationalstaat und Demokratie

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Im Zusammenhang mit der Krise des Euro und der EU wird unter Linken eine sogenannte alternative EU propagiert. Das Argument ist: Ein Zerfall der EU wäre auf jeden Fall schlecht, weil damit die "alten Nationalismen" wieder aufleben würden und der Krieg auch in Europa wieder auf die Tagesordnung käme. Dieser Orientierung folgt die Linkspartei, und dieser wiederum folgen sogar auch Repräsentanten der DKP. Tatsächlich hört man auch "von oben", z. B. von Frau Merkel, immer wieder, die EU sei eine Frage von Krieg oder Frieden. Ist also eine "schlechte" EU immer noch besser als ein "Zurück zu den Nationalstaaten" ?

 

Die Alternative ist zu simpel. Die Argumente kommen nicht auf den Grund, sondern nehmen nur Oberflächenerscheinungen in den Blick.

 

Augenscheinlich ist es ja gerade das Instrument EU, mit dem zur Zeit, in der Zeit der Krise, weiterer Demokratieabbau und perfekterer Ausschluss der Masse der Bevölkerung von den politischen Entscheidungen betrieben wird. Parlamente werden entmachtet, indem man ihnen die Entscheidungsgewalt über die Staatshaushalte einschränkt oder, im Fall der schwächeren Staaten, praktisch entzieht. Entscheidungen über Billionensummen werden in kleine Parlamentsausschüsse "verlagert", die ohne jede öffentliche Kontrolle sind und nur noch den Übergang zu einer Politik des nicht erklärten, aber faktischen Notstands unter Aushebelung der Verfassung, zu einer Politik der Notstandsverordnungen a la Weimar verbrämen. Schwächere EU-Staaten sinken zu Quasi-Protektoraten der stärkeren, vornehmlich Deutschlands und Frankreichs, herab.

 

Auch die Berufung auf die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU kommt von zwei ganz gegensätzlichen Seiten. Die politische Rechte versucht, die wachsende Unzufriedenheit mit nationalistischen Parolen auf ihre Mühlen zu lenken. Derjenige Teil der nationalen Bourgeoisien, der seine Profite hauptsächlich auf dem Binnenmarkt macht, drängt auf eine "Re-Nationalisierung", weil er sich davon einen besseren Schutz vor ausländischer Konkurrenz erhofft. Allerdings handelt es sich bei diesem Teil der Bourgeoisien um Minderheiten in ihrer Klasse, die sich kaum zur Führng aufschwingen können. Gefährlicher ist der Teil der Monopolbourgeoisie, v.a. in Deutschland, der mit der Möglichkeit eines "deutschen Alleingangs" spielt, ohne die lästigen Rücksichten, die die EU-Verträge mit sich bringen.

 

Andererseits - und mit ganz entgegengesetzten Absichten - berufen sich in den schwächeren EU-Staaten auch die Arbeiter- und demokratische Bewegung auf die nationale Souveränität, den Erhalt der Verfassungen und der bürgerlich-demokratischen Institutionen gegen den imperialistischen Zugriff via EU.

 

Ob EU oder Nationalstaat - es geht um etwas beidem zugrunde Liegendes - die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals. Es ist diese Herrschaft, die - auf welcher "Ebene" auch immer -, die Tendenz zur "Reaktion auf der ganzen Linie", zum Abbau und "im Notfall" zur Beseitigung der bürgerlichen Demokratie in sich trägt. Sowohl die von ihnen beherrschte EU als auch die von ihnen beherrschten Nationalstaaten sind in Form und Inhalt der politische Ausdruck eben dieser Monopolherrschaft.

 

Diese Herrschaft zu brechen steht an. Gebrochen werden kann sie nur da, wo sie sitzt - in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU. Die Einzelstaaten sind die Herrschaftsapparate, auf denen auch die in die EU sozusagen ausgelagerten Herrschaftsinstrumente und -Programme beruhen. "Der Hauptfeind steht im eigenen Land".

 

Beate Landefeld beleuchtet in dem hier gespiegelten Text die Frage EU und Demokratie:  

 

EU und Demokratie

von Beate Landefeld

Peer Steinbrück sieht Europas historische Mission darin, im Wettbewerb mit „ökonomisch attraktiven staatskapitalistischen Systemen wie China" wirtschaftlich zu bestehen und zugleich die Alternative des „gezähmten Kapitalismus“ zu verkörpern: "Dann können aufstrebende Nationen von Lateinamerika bis Afrika Freiheit und Rechtsstaatlichkeit als attraktiv erleben". Im Kontrast dazu ist die kanadische Wirtschaftszeitung „Report On Business“ um die Souveränität Griechenlands als Wiege der Demokratie besorgt. Das Land drohe, als erstes EU-Mitglied seine Demokratie aufzugeben. Griechenland sei bereits eine Art Satellitenstaat der Troika aus EU, EZB und IWF. Falls das Land kollabiere, könne es sich „in ein Kuba der Ägäis“ verwandeln.i

Die EU ist ein hierarchisch gegliederter Staatenverbund, in dem die BRD ökonomisch dominiert. Der Bundeshaushalt umfaßt mit 306 Mrd. Euro fast das Zweieinhalbfache des EU-Haushalts mit 126 Mrd. Wo sitzt da die Macht? Von den europäischen TNKs, die zu den 500 größten Konzernen der Welt gehören, haben 75% ihren Sitz in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Niederlande und Spanien, den sechs EU-Ländern, die zu den G20 gehören. 25% verteilen sich auf die übrigen 21 EU-Länder.ii

 

Politisch geführt wird die EU von der Achse Berlin – Paris. Konsens zu finden wurde in der Weltwirtschaftskrise schwieriger, da Frankreich mit seiner mehr binnenmarktorientierten Ökonomie für eine „weichere“ Politik gegenüber europäischen Schuldnerländern ist. Berlin und die Bundesbank setzen dagegen auf Disziplinierung durch den Finanzmarkt. Das drückt Löhne und Sozialkosten im Interesse der exportabhängigen deutschen Konzerne. In der EU-Wirtschaftspolitik muss sich Paris wohl oder übel mit Berlin, das sich als „Zahlmeister der EU“ sieht, arrangieren.

Kolonien und Protektorate

In Deauville willigte Sarkozy ein, die „Schuldenbremse“ auf die Eurozone auszudehnen. Merkel akzeptierte die bis dahin abgelehnte „Wirtschaftsregierung.“ Sie interpretiert sie als Verstärkung automatischer Mechanismen gegen „Schuldensünder“. Laut portugiesischer KP sollen „neben der massiven Plünderung von in diesen Ländern erzeugtem Reichtum … permanente Mechanismen der Einmischung“ installiert werden, „die die Organe demokratischer Souveränität aushöhlen und dazu tendieren, souveräne Länder in Kolonien und Protektorate der großen kapitalistischen Länder zu verwandeln.“iii

In der Außenpolitik stören Berlin „Sarkozys Alleingänge“. In Libyen betont Frankreich auf militaristische Weise seine Weltrolle. Außenminister Juppé spottet über Deutschlands „weiche“ Libyen-Politik und spricht von einer „variablen Geometrie“ in der EU: Bei der Wirtschaftspolitik spielten die Länder der Eurozone die wichtigste Rolle, bei der Verteidigungspolitik zeichne sich eine „französisch-britische Achse“ ab. Dass Sarkozy stärker die britische und atlantische Karte spielt, hat mit gemeinsamen Ölinteressen zu tun, aber auch mit der Rivalität um die Führungsrolle in der EU.

Nach 1945 hatte die französische Bourgeoisie das Konzept, den deutschen Imperialismus in einen (west)europäischen Integrationsprozess einzubinden und so zu bändigen. Heute prägen Deutschlands reaktionäre Wirtschafts- und Sozialpolitik und Frankreichs Militarismus die EU. Das vieldiskutierte „imperialistische Konstrukt“ hat die großen Nationalstaaten nicht ersetzt. Es ist eine Struktur, mit der diese ihren Radius zu erweitern suchen, miteinander und gegeneinander.

Derzeit diskutiert die deutsche Bourgeoisie heftig über die EU. Ex-BDI-Chef Olaf Henkel will den kollektiven Austritt der „gesunden Nordstaaten“, Ifo-Chef Sinn den Austritt Griechenlands. Der spanische Regierungsberater Torreblanca äußert den Verdacht, das "neue Deutschland" verliere sein Interesse an Europa. Die boomenden Wirtschaftsbeziehungen zu Asien, vor allem zu China, relativierten die Rolle der EU und führten in der Bundesrepublik zu der Ansicht, Südeuropa sei vor allem ein "Wachstumshindernis". Torreblanca sieht eine “Rebellion der Eliten” in Deutschland.iv

Erziehungsdiktatur

China löst Frankreich bald als größten Handelspartner der BRD ab. Doch noch gehen 60% der deutschen Exporte in die EU. Die Spaltung der Eurozone würde die EU im Wettberwerb mit Nordamerika und Asien und den Euro als Reservewährung schwächen. Henkels „Rebellion“ ist heute nicht mehr als ein Ventil für die Angst von Bourgeoisie und Mittelstand vor der „Transferunion“. Für Konzernspitzen und Regierung gilt aber das jüngste Wort der Kanzlerin am Finanzplatz Singapur: „Der Euro ist uns Deutschen eine Herzenssache.“ Und: „Es gibt keine Eurokrise, sondern nur eine Schuldenkrise einiger Länder“.

Diese werden nun einer Erziehungsdiktatur unterworfen. Geht es um Schuldenabbau oder verfängt sich die Politik in ihren eigenen Widersprüchen? Folge der Sparrunden sind Wachstumseinbrüche und Schuldenanstieg. Für das Weiterbestehen des aufgeblähten Finanzsektors sollen die Völker bluten. Doch der kapitalistische Finanzsektor ist ein Faß ohne Boden, während die Auspressbarkeit der Menschen natürliche Grenzen hat. Es wird daher zu irgendeiner Form von Schuldenerlaß kommen müssen. Das kann erneut Banken und selbst die EZB destabilisieren. Die Privaten stoßen ihre griechischen Staatsanleihen ab. Die Notverordnungspolitik wird nach dem Fiasko in Griechenland bei Portugiesen und Spaniern nicht an Akzeptanz gewinnen.

Bringt ein „Schuldenschnitt“ den Lohnabhängigen nur neue Auflagen oder mehr Luft zum Atmen? Das hängt von den Klassen- und Kräfteverhältnissen in jedem betroffenen Land sowie von der Frage ab, wer den „Schnitt“ kontrolliert: die Gläubiger in Kollaboration mit der inneren Bourgeoisie oder eine Regierung, die sich eher dem eigenen Land und der eigenen Bevölkerung verpflichtet fühlt. Ob eine solche Regierung nur durch eine Revolution zustandekommen kann oder auch durch ein Kräfteverhältnis unterhalb dieser Schwelle, ist eine derzeit offene Frage. Jedenfalls fürchten die Gläubiger einen „unkontrollierten Staatsbankrott“ (Schäuble) nicht nur aus ökonomischen Gründen. Im fernen Kanada reicht die Phantasie für das Schreckgespenst eines „Kuba an der Ägäis“.

Reiche Griechen parken ihr Geld jetzt im Ausland. Das Verhältnis der Bourgeoisien der abhängigen EU-Länder zu den Bourgeoisien der Hauptländer ist ambivalent: Einerseits können sie ihre eigenen Profite im Windschatten der Gläubiger sichern, ohne im Rampenlicht zu sein. Andererseits verlieren sie an Flexibilität bei der Sicherung ihrer inneren Hegemonie, wenn sie sich dem äußeren Diktat allzu willig beugen. Der Ausweg aus diesem Dilemma wird oft in nationalistischen Phrasen und/oder Konflikten mit Minderheiten gesucht. „Renationalisierung“ ist dafür nicht der richtige Begriff – geht es doch meist darum, von Privatisierung und nationalem Ausverkauf an das monopolistische Bank- und Konzernkapital abzulenken.

Demokratie von unten

Das Monopol verneint die Demokratie, auch die bürgerliche. „Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere verwandelt die Demokratie zu einer Illusion – und zugleich erzeugt der Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den Massen, schafft er demokratische Einrichtungen, verschärft er den Antagonismus zwischen dem die Demokratie negierenden Imperialismus und den zur Demokratie strebenden Massen.“v Das passiert nicht nur in Ägypten und Tunesien, sondern auch in Griechenland, Spanien und Portugal. Sogar „Revolution“ ist wieder „in“. Wie Ägypten zeigt, erfordert sie mobilisierte Massen, aber auch entsprechende Kräfteverhältnisse in der Armee.

Verteidigung der Demokratie gegen die Monopole ist auch dies: Die „PCP berücksichtigt, dass die Verteidigung der nationalen Souveränität entscheidende Wichtigkeit erlangt hat, nicht nur um die unabhängige und progressive Entwicklung Portugals zu sichern, sondern auch um den demokratischen Charakter der Einrichtungen der Republik zu erhalten.“ So die portugiesische KP. Renationalisierung? Es handelt sich um antiimperialistische Verteidigung bürgerlich-demokratischer Rechte. Das ist nicht nur legitim. Es gehört zu den Bedingungen für ein anderes, demokratisches Europa.

Ein anderes Europa wird nicht „von oben“ entstehen. Die aktuelle hierarchische Zentralisierung ist eher ein potentieller Sprengsatz. Die EU könnte lange bevor es zu demokratischen Veränderungen kommt, gespalten werden, weil die Bourgeoisien der Hauptländer auf andere Weise ihre Widersprüche nicht in den Griff kriegen. Ob die EU als Ganzes demokratische und soziale Veränderungen überdauert, hängt vor allem von den Kräfteverhältnissen in ihren großen Ländern ab.

Heute müssen in der BRD höhere Löhne, Senkung des Renteneintrittsalters, Investitionsprogramme erkämpft werden – soll die EU nicht weiter auseinander driften. Die Transfers von der Bevölkerung an Finanzoligarchen und Milliardärsclans müssen aufgekündigt und umgekehrt werden. Es hängt hochgradig von der Kampfbereitschaft der deutschen Arbeiterklasse ab, ob Europa auseinander- oder zusammenwächst. Würden unsere Gewerkschaften die eigenen Interessen den „Wettbewerbsinteressen“ der deutschen Exportindustrie nicht länger unterordnen, ginge hiervon ein mächtiger Schub für mehr Demokratie und weniger Hierarchie in ganz Europa aus.

i Handelsblatt.online 9.6.2011

ii Vgl. B. Landefeld, Europäisiert sich die Bourgeoisie? Marxistische Blätter 1-2010, S. 33ff

iii Erklärung der PCP zum Wahlausgang. Pressekonferenz 8.6.2011.

iv http://kritische-massen.over-blog.de/article-der-deutsche-umgang-mit-der-krise-riskiert-die-eu-74196858.html

v W.I. Lenin, Antwort an P. Kijewski (J. Pjatakow). LW 23, S. 14

 

Quelle: http://belafix.wordpress.com/2011/06/14/eu-und-demokratie-3/#more-342 

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