Frankreich - Türkei: Dein Völkermord, mein Völkermord

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Ein neues Gesetz in Frankreich stellt "die Leugnung von Völkermord" unter Strafe. Es zielt auf die Deportationen von Armeniern in der Türkei von 1915/-16. Das Gesetz ist ein typisches Sarkozy-Manöver. Das Hochputschen eines vor bald hundert Jahren geschehenen Verbrechens in einem andern Land soll dazu dienen, ihm unter den armenischstämmigen Franzosen möglichst viele Wähler zu verschaffen. Ginge es wirklich um die Ächtung von Völkermord im allgemeinen, müsste sich der französische Staat an die eigene Nase fassen. Frankreich war eine Kolonialmacht, die unerhörte Grausamkeiten an der unterjohten Bevölkerung begangen hat, von Indochina bis Afrika. Allein in Algerien haben die französischen Kolonialisten Gemetzel angerichtet, die den türkischen an den Armeniern nicht nachstehen.

 

Dazu Werner Pirker in junge welt :

 

Definitionsmacht

 

Ankara wirft Frankreich Völkermord vor

 

Von Werner Pirker

 

Die Retourkutsche aus Ankara kam umgehend. Nachdem das Parlament in Paris beschlossen hatte, das Leugnen des Völkermordes an den Armeniern unter Strafe zu stellen, hat der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan Frankreich Genozid an den Algeriern vorgeworfen. Ankaras Reaktion ist durchaus verständlich. Wenn die zwischen 1915 und 1916 erfolgten Deportationen von auf dem Boden der heutigen Türkei lebenden Armeniern, die unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 200000 und 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet haben sollen, den Tatbestand des Völkermordes erfüllen, dann ist das Wüten der französischen Kolonialherren in Algerien wohl kaum anders zu bewerten.

Auch Erdogan beruft sich auf Schätzungen. Demnach wurden seit 1945 etwa 15 Prozent der algerischen Bevölkerung von der französischen Soldateska massakriert. In beiden Fällen läßt sich darüber streiten, ob die Verwendung des Begriffs »Völkermord« angemessen ist. In Frankreich, wo eine große armenische Diaspora beheimatet ist, ist das armenische Narrativ in den Rang einer objektiven Wahrheit erhoben worden. Türkische Einwände, wonach die Deportationen zwar brutal und chaotisch verlaufen seien, es sich aber um keine gezielte Ausrottungspolitik gehandelt habe, werden als geschichtsrevisionistisch verworfen. Das kann man durchaus so sehen. Der französische Parlamentsbeschluß geht aber weit darüber hinaus. Indem er eine von der offiziell festgelegten Position abweichende Meinung der strafrechtlichen Verfolgung aussetzt, stellt er die Meinungsfreiheit grundsätzlich zur Disposition.

 

Vorbild für das französische Gesetz ist das in bester antifaschistischer Absicht erfolgte Verbot der Holocaust-Leugnung, das damit das Einfallstor für gesinnungspolizeiliche Verordnungen zur Wahrheitsfindung bildete. Daß dieser weitere Schritt zur Verrechtlichung der gesellschaftlichen Debatte ausgerechnet von der französischen Legislative gegangen wurde, entbehrt insofern nicht einer gewissen Ironie, als Frankreich bis heute nicht bereit ist, sich mit den Verbrechen seiner Vergangenheit als besonders brutale Kolonialmacht auseinanderzusetzen. Im Gegenteil wurden erst unlängst die französischen Schulen vom zuständigen Ministerium angewiesen, die Kolonialgeschichte des Landes in einem positiven Licht dazustellen. Wie Hannes Hofbauer in seinem Buch »Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung« (Promedia Verlag) festhält, erfolgt die Verrechtlichung, das heißt Entpolitisierung, der Debatte nach dem politischen Opportunitätsprinzip.

Die Crux liegt bereits im EU-Rahmenbeschluß zur juristischen Verfolgung von Rassismus, Antisemitismus und Leugnung von Völkermord. Da dem herrschenden Diskurs widersprechende Meinungen zum Straftatbestand erklärt werden und die Bestimmung von Völkermord im Ermessen der (Sieger-) Justiz liegt, sind der »antirassistischen« Definitionsmacht des weißen Mannes und seinen Strafmaßnahmen keine Grenzen gesetzt.

 

junge Welt

Veröffentlicht in Westliche Werte Boerse

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A
<br /> Sarkozy scheint nach dem Muster der Libyen-Zerstörung nun auch Syrien anzugehen? Die USA stehen schon in Jordanien, die Türkei bietet ihr Grenzgebiet als Aufmarschgebiet für Us-Verbündete<br /> (Al-Kaida-Söldner) aus Libyen und sonstwo. Sollte es also in naher Zukunft zu einem Krieg gegen Syrien kommen, dann wären Frankreich und die Türkei quasi Verbündete und Sarkozy müsste dann, was<br /> die Türkei und das Armenier-Gesetz betrifft, politisch einen Salto-rückwärts aus dem Stand machen um seine Flugzeuge und Schiffe auf türkischem Gebiet logistisch versorgen zu können. Israel wird<br /> sich "offiziell" sicher raushalten. Es ist ohnehin auf den Iran fixiert...<br />
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A
<br /> Für mich ist dieser Genozid aus unterschiedlicher Sicht der diversen Kriegsparteien am WW1 mehr als ausreichend dokumentiert. Zeitnah bestand darüber nicht einmal bei den Osmanen Zweifel, die bis<br /> hin an die Spitze zu Atatürk das Geschehen einräumten. Dann trat aber ein gewisser Pragmatismus auf den Plan und die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Türkei in den Vordergrund.<br /> Jetzt nach hundert Jahren der Leugnung und massiver Verhinderung der Dokumentation Seitens der Türkei von Forschungsbedarf zu sprechen ist blanker Zynismus. Einst gab es rund zwanzig Prozent<br /> Christen in der Türkei, heute sind es weniger als zwei Prozent. Das deutsche Kaiserreich hat sich - und dies seit Bismarcks Zeiten des Berliner Kongresses – durch Komplizenschaft und wegsehen<br /> hervorgetan. Wenn WIR hier auf die Türken zeigen, dann weisen drei Finger auf uns zurück.<br /> <br /> <br /> Trotzdem halte ich das gesetzliche Verbot der Leugnung für den grundsätzlich falschen Weg und sehe das zweistufige französische Gesetzesvorhaben auch noch nicht als definitiv "durch". Ich denke,<br /> Sarkozy wird den Lärm und Rummel um dieses Gesetz bis zur  Präsidentschaftswahl in Frankreich auskosten. Er zielt auch nicht primär auf die paar tausend Armenier-Abkömmlinge in Frankreich<br /> sondern auf den Mitte-Rechts-Anteil der französischen Gesellschaft, die Wähler der FN der Marine Le Pen. Er zeigt ihnen scheinbar, was für ein toller Kerl er doch sei,wie man mit dem Islam und<br /> den Europa-Aspiranten Türkei umspringen muss! Das er die Türken wählt, liegt daran, dass er nicht allzu viele von Ihnen in Frankreich hat. Als er bei der letzten Wahl vom "Kärchern", vom<br /> Hochdruckreinigen der Banlieus von dem "islamischem Gesindel" sprach, da erntete er Aufstände und Unruhen unter den dort lebenden nordafrikanischen Einwanderern. Wenn nun aber ein paar tausend<br /> Türken in Paris demonstrieren, dann kann er diese leicht als bestellte Lakaien Ankaras darstellen. Sollte es aber zu einer Solidarisierung unter den Nordafrikanern mit ihren islamischen Brüdern,<br /> den Türken, kommen, dann bekäme Sarkozy wieder ein echtes Problem. Ich schätze, er würde dieses Risiko aber wohl eingehen?<br />
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S
<br /> <br /> Sarkozys Zielgruppe: Da hast Du wohl recht, das hab ich zu eng gesehen.<br /> <br /> <br /> <br />