G 8-Gipfel in Deauville, Tante FAZ und einige Unwägbarkeiten
Ein FAZ-Artikel von heute spiegelt recht gut wider, dass zwischen den imperialistischen Staaten Umgruppierungen im Gang sind. Ob es sich um vorübergehende Erscheinungen handelt oder um eine Neugruppierung von gewisser Stabilität, ist noch offen.
Das betrifft einmal das Verhältnis der USA zu den kleineren westeuropäischen Wölfen. Während nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers zumindest verbal Deutschland als "partner in leadership" hofiert wurde - und weiter im Fahrwasser der USA gehalten werden sollte - konstatiert die FAZ zum aktuellen G 8 - Gipfel in Deauville: "Deutschland und Bundeskanzlerin Merkel spielen nur eine Nebenrolle."
Die Abkühlung der "engen Freundschaft" zwischen dem einstigen zentralen Frontstaat zur sozialistischen Staatengemeinschaft und der westlichen Führungsmacht innerhalb der letzten beiden Jahrzehnten ist eine Tatsache. Die USA düpierten die deutschen Hoffnungen auf Unterstützung eines ständigen Sitzes im UN-Sicherheitsrat. Die USA und Deutschland konkurrieren gegeneinander um die Hegemonie über Osteuropa. Deutschland zeigte mit seiner provokativen Rolle bei der Zerschlagung Jugoslawiens seine strategische aussenpolitische Zielsetzung, sich zur dominanten Macht in Europa aufzuschwingen und auf dieser Basis wieder eine Weltmachtrolle zu erreichen. Seitdem reiht sich eine "Irritation" an die nächste. Deutschland geht nicht mehr als "Juniorpartner" mit den USA. Gleiche Augenhöhe - oder gar nicht, siehe Irak und, im aktuellsten Fall, Libyen. Es ist aber die "gleiche Augenhöhe", die wiederum für die USA nicht akzeptabel ist. Eben das Aufkommen irgendeiner Macht in eine solche Position zu verhindern, ist die strategische Linie der USamerikanischen Aussenpolitik, an die weder Freund noch Feind rühren darf. Denn davon hängt die Stellung der USA in der Welt ab. Die Aufgabe dieser Position wäre das Eingeständnis des Niedergangs.
Der deutsche Führungsanspruch ist auch den kräftigeren imperialistischen Staaten in Westeuropa ein Dorn im Auge. Für Grossbritannien gilt das ohnehin. Es sieht seinen Hebel in den Sonderbeziehungen mit Washington, sowohl im Weltmassstab - so weit das marode Königreich dazu noch in der Lage ist -, als auch in Europa, z. B. als trojanisches Pferd in der Deutsch-EU.
Aber auch die Achse Deutschland-Frankreich scheint daran zerbrochen zu sein."Sarkozy ... genoss es sichtlich, sich am Donnerstag vor dem Kasino von Deauville mit den Präsidenten Obama und Medwedjew vor den Kameras in Szene zu setzen ..." näselt Tante FAZ missgünstig. "Ein Vier-Augen-Gespräch mit der Bundeskanzlerin hat der vielbeschäftigte Präsident nicht geplant. Seit dem deutschen Veto zum Libyen-Einsatz im UN-Sicherheitsrat hält sich Sarkozy in außen- und sicherheitspolitischen Fragen lieber an den britischen Premierminister Cameron und Präsident Obama. Das hindert den französischen Präsidenten allerdings nicht daran, eine neue Sicherheitspartnerschaft mit Russland zu zelebrieren. In Deauville einigten sich Medwedjew und Sarkozy über die letzten strittigen Punkte zum Verkauf des französischen Hubschrauberträgers „Mistral“ an Russland."
Die alten Konstellationen von vor dem I. Weltkrieg werden in gewissem Mass wiederbelebt. Sowohl Deutschland als auch Frankreich suchen mit "Sonderbeziehungen" zu Russland eine Karte zu spielen, die im westeuropäischen Machtgerangel gelegentlich für einen Stich gut ist. Und, weit über die von Deutschland düpierte "Mittelmehrunion" unter französischer Führung hinausgreifend, setzt Sarkozy auf ein französisches Einflussgebiet in Afrika - an der Seite der USA vielleicht, bestimmt aber nicht im Schulterschluss mit Deutschland.
Die imperialistischen Konurrenzen nagen am gemeinsamen Kernprojekt in Europa, der EU, selbst. Deutschland und Frankreich waren auf Dauer nicht fähig, sich die Dominanzrolle zu teilen. Die Prämie im Erfolgsfall - mit einem "geeinten Europa" eine "gemeinsame Weltmacht" von gleicher Grössenordnung wie die USA zu werden - wird nicht gewonnen werden können. Und wenn das nicht, ist die EU teuer und wird ihr Nutzen als Machthebel für Frankreich und Deutschland zunehmend kritischer neu kalkuliert. "Sarkozy dürfte sich ... hüten, sich in allzu großer Nähe mit der Bundeskanzlerin zu zeigen, verbindet beide mit dem Seebad die ungute Erinnerung an das sogenannte „Diktat von Deauville“. So nannten die anderen Verantwortlichen der Euro-Zone den im vergangenen Oktober ausgeheckten Versuch, die europäische Währungsunion im deutsch-französischen Parforceritt zu reformieren." So beschreibt die FAZ den vorerst letzten und gescheiterten Versuch, "Europa" via deutsch-französischer Achse zu reglementieren.
Was vorläufig bleibt, ist das deutsche Diktat für den "Weg aus der Krise" mittels ungeheuerer Belastungen für die Masse der Bevölkerung. Das erscheint auf den ersten Blick als fraglos gemeinsames Interesse der Bourgeoisie in Europa. Aber ein zweiter Blick zeigt, dass Deutschland das innenpolitisch noch am ehesten durchsetzen kann, während das gleiche Programm die Bourgeoisherrschaft an den Rändern - und die reichen von Griechenland und Portugal bis nach Italien und selbst Frankreich - an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringt, an den Abgrund des drohenden Aufstands.Wo die Nebenwirkungen der deutschen Rosskur den Patienten in Todesgefahr bringen, wird die Medizin zu einer nicht nur aufgezwungenen, sondern auch vergifteten "Hilfe". Sich den deutschen Exportinteressen unterordnen, für die vage Aussicht, unter der Dominanz deutschen Grosskapitals auch einmal vom "Standort Europa" zu profitieren - und dafür die Hoheit über den eigenen Staatshaushalt verlieren und Volkserhebungen riskieren ? Bei solchen Aussichten kann es leicht passieren, dass die eine oder andere Bourgeoisie lieber doch betont national wird. Was man hat, das hat man. Lieber den ärmlichen Nationalspatz in der Hand als den europäischen Geier auf dem Dach ...
Das ungefähr ist der Stand der Dinge hinsichtlich "Europäische Union". Und kein "alternatives Europa" wird das ändern, weil die "europäische Politik" von denen gemacht wird, die an der Macht sind; und das sind nicht "alternative Bewegungen", sondern die Banken und Konzerne und ihre Regierungen und Staatsapparate.
Das zu ändern, steht in jedem Land an. Erfolge in einem Land können Bewegungen in anderen Ländern beflügeln. Aber die Macht sitzt nicht in Brüssel und Strassburg. Sie sitzt in Berlin, Paris. London, Rom und Madrid. Von diesen Plätzen muss sie vetrieben werden, von der Arbeiterklasse und ihren möglichen Verbündeten jedes Landes.
Zitate aus der FAZ: http://www.faz.net/artikel/C31325/g8-gipfel-immerhin-ein-anruf-fuer-die-kanzlerin-30376227.html