Liesel, der DGB und Friedrich Engels

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

Wir sind ja heutzutage dermassen modern. Manche sagen, wir wären sogar schon postmodern. Manche sind es für 5 Euro Stundenlohn: http://www.lieselslodderleben.blogspot.de/2012/05/irre.html . Nein, "Liesel" ist nicht bekloppt. Ackermann ist, auf seine Weise, bekloppt, aber Liesel nicht. Sie hat ein anderes Problem: Sie muss ihre Arbeitskraft verkaufen, weil sie sonst nichts zum Leben hat, wie die die meisten Leute. Und der Preis für diese Ware ist seit zwei Jahrzehnten in Europa zunehmend rückläufig. 

 

Aber dieser Preis, Lohn oder Gehalt, sollte doch gerecht sein, heisst es. "Gute Arbeit für Euopa - Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit" wünschte sich der DGB zum 1. Mai 2012. Am 7. Mai 1881 erläuterte Friedrich Engels, was es damit auf sich hat. Aber der ist ja nicht modern, dieser Engels, und schon gar nicht postmodern. Hier seine total unmoderne verstaubte Erklärung:

 

 

 

Zu der Forderung des DGB beim 1.Mai 20112

„Gute Arbeit für Europa - Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit"

 

Friedrich Engels

Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk

In: The Labour Standard" Nr. 1 vom 7. Mai 1881

 

 

Das ist nun während der letzten fünfzig Jahre der Wahlspruch der englischen Arbeiterbewegung gewesen. Er leistete gute Dienste zur Zeit des Aufstiegs der Trade-Unions nach Aufhebung der schändlichen Antikoalitionsgesetze im Jahre 1824; noch bessere Dienste leistete er zur Zeit der ruhmreichen Chartistenbewegung, als die englischen Arbeiter an der Spitze der europäischen Arbeiterklasse marschierten. Aber die Zeit bleibt nicht stehen, und gar viele Dinge, die vor fünfzig und selbst noch vor dreißig Jahren wünschenswert und notwendig waren, sind nun veraltet und würden völlig fehl am Platze sein. Gehört das altehrwürdige Losungswort auch zu diesen Dingen?

 

Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk? Aber was ist ein gerechter Tagelohn, und was ist ein gerechtes Tagewerk? Wie werden sie bestimmt durch die Gesetze, unter denen die moderne Gesellschaft existiert und sich entwickelt? Um hierauf eine Antwort zu finden, dürfen wir uns weder auf die Wissenschaft von der Moral oder von Recht und Billigkeit berufen, noch auf irgendwelche sentimentalen Gefühle von Humanität, Gerechtigkeit oder gar Barmherzigkeit. Was moralisch gerecht ist, ja selbst was dem Gesetz nach gerecht ist, kann weit davon entfernt sein, sozial gerecht zu sein. Über soziale Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit wird durch eine einzige Wissenschaft entschieden - durch die Wissenschaft, die sich mit den materiellen Tatsachen von Produktion und Austausch befaßt, die Wissenschaft von der politischen Ökonomie.

 

Was wird nun nach der politischen Ökonomie ein gerechter Tagelohn und ein gerechtes Tagewerk genannt? Einfach die Lohnhöhe und die Dauer und Intensität einer Tagesarbeit, die durch die Konkurrenz des Unternehmers und des Arbeiters auf dem freien Markt bestimmt werden. Und was sind sie, wenn sie derart bestimmt werden?

 

Ein gerechter Tagelohn ist unter normalen Bedingungen die Summe, die erforderlich ist, dem Arbeiter die Existenzmittel zu verschaffen, die er entsprechend dem Lebensstandard seiner Stellung und seines Landes benötigt, um sich arbeitsfähig zu erhalten und sein Geschlecht fortzupflanzen. Die wirkliche Lohnhöhe mag, je nach den Schwankungen des Geschäftsganges, manchmal über, manchmal unter diesem Satze liegen; unter normalen Bedingungen sollte dieser Satz jedoch den Durchschnitt aller Lohnschwankungen bilden.

 

Ein gerechtes Tagewerk ist diejenige Dauer des Arbeitstages und diejenige Intensität der tatsächlichen Arbeit, bei denen ein Arbeiter die volle Arbeitskraft eines Tages verausgabt, ohne seine Fähigkeit zu beeinträchtigen, am nächsten Tag und an den folgenden Tagen dieselbe Arbeitsmenge zu leisten.

 

Der Vorgang kann demnach folgendermaßen beschrieben werden: Der Arbeiter gibt dem Kapitalisten die volle Arbeitskraft eines Tages, das heißt, so viel er geben kann, ohne die ununterbrochene Wiederholung des Vorgangs unmöglich zu machen. Im Austausch erhält er gerade so viel und nicht mehr an Existenzmitteln, wie nötig sind, um die Wiederholung desselben Geschäfts jeden Tag zu ermöglichen. Der Arbeiter gibt so viel, und der Kapitalist so wenig, wie es die Natur der Übereinkunft zuläßt. Das ist eine sehr sonderbare Sorte von Gerechtigkeit.

 

Wir wollen aber etwas tiefer in die Sache eindringen. Da nach den politischen Ökonomen Lohn und Arbeitszeit durch die Konkurrenz bestimmt werden, scheint es die Gerechtigkeit zu verlangen, daß beide Seiten zu den gleichen Bedingungen denselben gerechten Ausgangspunkt haben. Aber das ist nicht der Fall. Wenn der Kapitalist mit dem Arbeiter nicht einig werden kann, kann er es sich leisten, zu warten, und von seinem Kapital leben. Der Arbeiter kann das nicht. Er hat nur seinen Lohn zum Leben und muß daher Arbeit annehmen, wann, wo und zu welchen Bedingungen er sie bekommen kann. Der Arbeiter hat keinen gerechten Ausgangspunkt. Durch den Hunger ist er außerordentlich benachteiligt. Und dennoch ist das nach der politischen Ökonomie der Kapitalistenklasse der Gipfel der Gerechtigkeit.

 

Aber das ist noch das wenigste. Die Anwendung von mechanischer Kraft und Maschinerie in neuen Gewerben und die Ausbreitung und Vervollkommnung der Maschinerie in Gewerben, in denen sie sich bereits durchgesetzt hat, verdrängen immer mehr "Hände" von ihrem Arbeitsplatz; und das geschieht in weit schnellerem Tempo, als die überflüssig gewordenen "Hände" von den Fabriken des Landes aufgesogen und beschäftigt werden können. Diese überflüssigen "Hände" stellen dem Kapital eine richtige industrielle Reservearmee zur Verfügung. Bei schlechtem Geschäftsgang mögen sie hungern, betteln, stehlen oder ins Arbeitshaus gehen; bei gutem Geschäftsgang sind sie zur Hand für die Ausdehnung der Produktion; und solange nicht auch der allerletzte Mann, die letzte Frau und das letzte Kind Arbeit gefunden haben sollten - was nur in Zelten stürmischer Überproduktion der Fall ist -, solange wird die Konkurrenz dieser Reservearmee die Löhne niedrig halten und durch ihre bloße Existenz die Macht des Kapitals in seinem Kampf gegen die Arbeiter verstärken. In dem Wettlauf mit dem Kapital sind die Arbeiter nicht nur benachteiligt, sie haben eine ans Bein geschmiedete Kanonenkugel mitzuschleppen. Aber das ist nach der kapitalistischen politischen Ökonomie Gerechtigkeit.

 

Nun wollen wir untersuchen, aus welchem Fonds das Kapital diese so überaus gerechten Löhne zahlt. Aus dem Kapital natürlich. Aber Kapital produziert keine Werte. Arbeit ist, abgesehen vom Grund und Boden, die einzige Quelle des Reichtums; Kapital selbst ist nichts weiter als aufgehäuftes Arbeitsprodukt. Hieraus folgt, daß der Arbeitslohn aus der Arbeit gezahlt wird und daß der Arbeiter aus seinem eigenen Arbeitsprodukt entlohnt wird. Entsprechend dem, was man gewöhnlich Gerechtigkeit nennt, müßte der Lohn des Arbeiters aus dem Produkt seiner Arbeit bestehen. Aber das würde nach der politischen Ökonomie nicht gerecht sein. Im Gegenteil, das Arbeitsprodukt des Arbeiters geht an den Kapitalisten, und der Arbeiter erhält davon nicht mehr als die bloßen Existenzmittel. Und das Ende dieses ungewöhnlich "gerechten" Wettlaufs der Konkurrenz ist somit, daß das Arbeitsprodukt derer, die arbeiten, unvermeidlich in den Händen derer angehäuft wird, die nicht arbeiten, und in ihren Händen zu dem mächtigsten Mittel wird, eben die Menschen zu versklaven, die es hervorgebracht haben.

 

Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk! Mancherlei wäre auch über das gerechte Tagewerk zu sagen, dessen Gerechtigkeit auf genau der gleichen Höhe steht wie die der Löhne. Aber das müssen wir uns für eine andere Gelegenheit aufsparen. Aus dem Dargelegten geht ganz klar hervor, daß sich das alte Losungswort überlebt hat und heutzutage kaum noch Stich hält. Die Gerechtigkeit der politischen Ökonomie, wie sie in Wirklichkeit die Gesetze fixiert, die die bestehende Gesellschaft beherrschen, diese Gerechtigkeit ist ganz auf der einen Seite - auf der des Kapitals. Begrabt darum den alten Wahlspruch für immer, und ersetzt ihn durch einen anderen:

 

Besitzer der Arbeitsmittel — der Rohstoffe, Fabriken und Maschinen — soll das arbeitende Volk selbst sein.

 

 Quelle: http://www.triller-online.de/index2.htm

 

 

Veröffentlicht in Kultur und Gesellschaft

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