In diesen Tagen habe ich, wie vorherzusehen, zahlreiche Kommentare von Lesern, Freunden und Kameraden erhalten. Über den Krieg gegen Lybien behalte ich mir vor, gesonderte Beiträge zu schreiben. Hier beschränke ich mich auf einige Beobachtungen in Bezug auf die Haltung Chinas.
Bildunterschrift: Botschafter Li Baodong, ständiger Vertreter Chinas bei der UNO, übernahm den Vorsitz im Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Resolution 1973.UN Photo/John McIlwaine
Der Kritik, die ich in verschiedenen Mails lese, scheint ein Artikel/Interview zu antworten, der vor ein paar Tagen in Global-Times (chinesische Tageszeitung auf Englisch) erschienen ist. Dort berichtet man einige wesentliche Fakten, um die Frage zu verstehen:
a) „Mehr als die Hälfte der Erdölimporte Chinas kommen heute aus dem Nahen Osten“;
b) beim Versuch, dieser Situation abzuhelfen, hat China vor einiger Zeit begonnen, strategische Ölreserven anzulegen, aber man ist in diesem Bereich noch sehr weit zurück. Im Fall einer Blockade der Exporte durch die Erdöl-produzierenden Länder, könnte China nur höchstens zwei Wochen durchhalten, während die USA strategische Reserven für 400 Tage haben!
Wenn man hier hinzufügt die Tausende Kilometer, die die Tankschiffe Chinas) fahren müssen und die bedrohliche Anwesenheit der amerikanischen Flotte entlang des ganzen Weges ist es offensichtlich, dass die „ökonomische Sicherheit Chinas“ - ein Zitat der Global Times – ziemlich fragil ist.
In diesem politischen und ökonomischen Zusammenhang tritt die libysche Krise auf. Zu denen, die die Flugverbotszone befürwortet haben, gehören unglücklicherweise die Arabische Liga und vor allem Saudiarabien, das Land, aus dem eine bedeutende Menge des von China importierten Erdöls kommt. Es ist klar, dass die chinesischen Führer folgende Frage gestellt haben: Ist es angebracht, mit Saudiarabien zu brechen (das bereits über die weiche Haltung Pekings in Bezug auf Iran irritiert ist) und gar mit den libyschen „Rebellen“ (ich teile in diesem Punkt die Auffassung von Maurizio ¹ auf dem Blog des Autors http://domenicolosurdo.blogspot.com/2011/03/lattacco-alla-libia-e-la-posizione.html#comments), indem man ein Veto einlegt, das obendrein, wie die historische Erfahrung zeigt (Jogoslawien und Irak), nicht in der Lage ist, eine militärische Intervention der USA und des Westens zu blockieren?
Wir können diskutieren, auf welche Weise die chinesischen Führer gedacht haben, eine Antwort auf diese Frage zu geben, aber diese ist unumgänglich. (In Paranthese gesagt, ist die geopolitische Situation Venezuelas und Kubas völlig verschieden, und nicht nur auf Grund der großen Erdöl- und Gasvorräte des letzteren Landes!) Es wäre ein merkwürdiger „Internationalismus“, ein Land von mehr als einer Milliarde und 300 Millionen Bewohnern einer verhängnisvollen Krise auszusetzen (die außerdem – ich öffne eine weitere Paranthese – auch Venezuela und Kuba schwer treffen würde!).
Tatsache ist, dass gewisse Kameraden (die ich gleichwohl schätze) eine Haltung einnehmen, die ich als widersprüchlich ansehe: wenn sie die Vergangenheit betrachten, haben sie kein Problem, die Kompromisse internationaler kommunistischer Bewegungen zu verstehen (Lenin und Brest-Litowsk; Stalin und der Nichtangriffspakt mit Hitler; Mao mit Tschiang Kai-chek und dann in den verschiedenen Bedingtheiten mit Nixon); aber wenn sie den Blick auf die Gegenwart richten, haben diese Kameraden die Tendenz, sich über viel geringere Dinge aufzuregen.
Zum Schluß. Die „dialektische“ Beobachtung von Joao Carlos Graça scheint mir stichhaltig: es ist richtig, ohne Vorurteile die Außenpolitik Chinas zu betrachten und zu wünschen, dass das große asiatische Land sein Gewicht stärker auf internationaler Ebene einbringt; was aber tut die Linke, um dieses Prestige, die sanfte Gewalt und folglich die Handlungsfähigkeit der chinesischen Führer auf dem internationalen Feld zu stärken?
Domenico Losurdo ist Professor der Geschichte der Philosophie an der Universität von Urbin in Italien. Er leitet seit 1988 die Internationale Gesellschaft Hegel-Marx für dialektisches Denken und ist Gründungsmitglied der Associazione Marx XXIesimo secolo. Sein neuestes ins Französische übersetzte Werk ist Staline: histoire et critique d'une legende noire (Aden, 2011) (Stalin: Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende.)