S21: Aller Widerstand vergeblich ?

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

 

Die Volksabstimmung war eine klare Niederlage der Gegner des Projekts. Eine knappe Hälfte der Wahlberechtigten hat sich beteiligt. Von dieser Hälfte war eine Mehrheit für S21. Demokratisch kann man die Abstimmung allerdings kaum nennen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele deshalb dafür gestimmt haben, weil ein Ende für S21 bedeutet hätte, dass Milliarden in den Sand gesetzt sind. Die über die Meinungen in der Bevölkerung hinweggehende Bau-Entscheidung hat diese Kosten verursacht und zum Ja genötigt.

 

Was war/ist die Bewegung gegen S21 ?

 

Ein bedeutender Teil der Bevölkerung, ein gutes Viertel, hat sich gegen eine dieser Mega-Entscheidungen von oben aufgelehnt, die technisch zweifelhaft, aber für einige Geldsäcke ganz sicher ein gutes Geschäft ist, das - bisher und "offiziell" - zu etwa einem Viertel, einer knappen Milliarde, aus Steuermitteln gespeist wird. Das ist ein Anspruch auf Demokratie, der im gewöhnlichen bürgerlich-demokratischen Getriebe nicht  vorgesehen ist. Vorgesehen ist, alle paar Jahre mal Kreuzchen zu malen und ansonsten die Entscheidungen "der Politik" zu überlassen. Mittlerweile fällt aber einem bedeutenden Teil der Bevölkerung auf, dass die Entscheidungen "der Politik" sich nicht nach dem mutmasslichen Bürgerwillen richten, sondern nach den Geschäftsinteressen des Grosskapitals - von der Grossinvestition in irgendein Infrastruktur-Projekt über Castortransporte und die Privatisierung staatlichen Eigentums und staatlicher Leistungen bis hin zum Einsatz der Bundeswehr in aller Welt, mit dem letztendlich der Anspruch des deutschen Staates signalisiert wird, in aller Welt mitzumischen und die Wege für die Importe und Exporte der deutschen Industrie zu "sichern". Und stets wird die Bevölkerung hinsichtlich der wirklichen Motive solcher Entscheidungen hinters Licht geführt und für dumm verkauft. Die Leitmotive: "Sachzwang" und "westliche Werte". Auch wenn im Einzelfall die konkreten Zusmmenhänge nicht gewusst werden - das "Gefühl", übertölpelt oder einfach übergangen zu werden, ist verbreitet und vor allem zutreffend.

 

An der Bewegung gegen S21 finde ich bemerkenswert, dass sie zu einem bedeutenden Teil von etwas besser gestellten Leuten getragen wird. lohnabhängigem und selbständigem Kleinbürgertum, das sich selbst eher zum "Mittelstand" zählt; von "braven Bürgern" also, die sich all die Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg von den "etablierten Parteien" repräsentiert fühlten und in den letzten zwanzig Jahren zunehmend auch von den Grünen, die inzwischen auch längst zu den "Etablierten" gehören.

 

In Deutschland wird, wie in jeder beliebigen anderen bürgerlichen Demokratie, nicht vom Volk regiert und auch nicht von dessen Repräsentanten. Hinter der Fassade regiert das Grosskapital. Die Fassade ist für dessen Herrschaft lebenswichtig. Fällt sie, kommt zum Vorschein, dass die bürgerliche Demokratie eine verdeckte Diktatur ist, nämlich die eben dieses Grosskapitals. Die Pflege dieser Fassade wird daher mit grossem Aufwand betrieben. Die verdeckte Diktatur braucht ein soziales Glacis. Die wirklich Herrschenden machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Sie könnten ohne einen Mantel von sozialen Schichten, die in der bestehenden Ordnung auch ihren Vorteil sehen, nicht herrschen, jedenfalls nicht mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie.

 

Die Bewegung gegen S21 steht für das Bröckeln und Aufbrechen dieser sozialen Panzerung der Geldsäcke. Demokratie, also Volksherrschaft, wörtlich genommen und Demokratie als Formalie in Form "freier Wahlen" - der von Industrie, Banken und aus dem Staatssäckel finanzierten Parteien - geraten zunehmend zueinander in Widerspruch, indem eben Teile der Bevölkerung Demokratie wörtlich nehmen. Das häuft sich nicht nur deswegen, weil es empört, wenn man der Verarschung gewahr wird. Es häuft sich vor allem, weil die materiellen Gründe dafür zu meinen, man gehöre auch irgendwie dazu, schwächer werden.

 

Der sogenannte Mittelstand sieht sich beunruhigt, spürt, dass es eher nach unten als nach oben geht. Für viele ist das Leben in mehr oer weniger bescheidenem Wohlstand von der Angst vor dem sozialen Abstieg geprägt. Das Grosskapital drängt noch in die letzten Nischen der kleinen Geschäftsleute, bei den Gehaltsempfängern geht die Angst um, mit über Fünfzig entsorgt zu werden, die Kinder haben vielleicht eine bessere Ausbildung als man selbst, aber schlechtere Jobs. Das wird allmählich prägend für die "Stimmung". Und in dieser Stimmung liegen Volksbewegungen näher.

 

Eine solche recht kräftige Bewegung ist im Fall S21 vorläufig unterlegen. Jetzt werden die Befürworter erleben, dass es nicht lustig ist, zehn Jahre lang mit einer Grossbaustelle für ein Projekt, dessen funktionaler Zweck fragwürdig ist zu leben, dass die Kosten am Schluss viel höher sind als jetzt veranschlagt und dass Stuttgart ein paar Bürotürme oder Wohnbauten mit für die Normalbürger unbezahlbaren Kaufpreisen bzw. Mieten mehr hat. 

 

Es ist nicht selbstverständlich, dass Teile des Kleinbürgertums in demokratische Richtung im Wortsinn gehen. Aus der Geschichte wissen wir, dass ein verunsichertes Kleinbürgertum auch den Faschisten nachlaufen kann. Das eine und das andere steht auch nicht widerspruchsfrei gegeneinander. Die Zwischenstellung des Kleinbürgertums bedingt, dass es anfällig für Schwanken ist. Aber Bewegungen wie die gegen S21 geben Hoffnung, dass eine Bewegung nach rechts kein unvermeidbarer Automatismus ist .

 

In der Auseinandersetzung um S21 haben Zehntausende "brave Bürger" erlebt, wie eine Staatsmacht, die sie doch immer als auch die ihre betrachtet haben, vorgeht, wenn es um Konzerninteressen geht. Die Lügen, die Täuschungsmanöver, die riesigen Polizeiaufgebote und deren physische Gewaltanwendung sind eine unauslöschliche Erfahrung. Damit sind nicht alle Illusionen überwunden, aber in vielen Köpfen doch schwer beschädigt. Der Staat und die Konzerne haben vorläufig gesiegt. Aber viele Menschen haben etwas gelernt, das nachwirken - und, sei es in Sachen S21 oder anderswo, wieder aufbrechen wird.

Veröffentlicht in Deutschland

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P
Bei all dem Gesagten von Ihnen, wie soll es nun weitergehen ? Die Grünen, allen voran Herr Özdemir, riet den Demonstranten, allen Widerstand aufzugeben und nun zu akzeptieren, was Sache ist. Aber<br /> was ist denn nun? Aufgeben? Warum soll ich meinen Protest aufgeben, der so sinnreich und wichtig war. Ich kann aber auch nicht verstehen, warum so wenige sich gegen S21 und eine Masse dafür<br /> ausgesprochen haben. Es sind nicht nur Arbeitsplätze ( auch subventionierte ) sondern Kosten, die nachfolgende Generationen zu tragen haben, weil fremdfinanziert. Das ist auch ein Grund, dagegen zu<br /> sein, bei den Haushaltslöchern. Als Beispiel Hamburg: Der Rathausmarkt soll " aufgehübscht" werden ( mein Gott, wie ich diesen Neusprech hasse ). Die Millionen für den italienischen Stein sind<br /> vergessen, aber nun muss ( da wir über unsere Verhältnisse gelebt haben ) was Neues her - weil der Fremdenverkehr sonst total pleite geht...(..)..haha...Irrsinn und Macht, am Ende zahlt es der<br /> Bürger, nur, weil einige Wenige sich postieren und posieren müssen.
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S
<br /> <br /> Als Bayer und weit weg habe ich an der Bewegung nicht teilgenommen. Hätte ich, wäre ich wohl erstmal frustriert darüber, dass so viele sich auf die Seite der S21-Betreiber gestellt haben. (Ich<br /> bin schon vom Zuschauen frustriert.) Die Gründe der Gegner sind aber mit dem Abstimmungsergebnis nicht schlechter geworden. Der BBU sagt, die Bewegung solle weitergehen.<br /> <br /> <br /> Bei vielen öffentlichen Investitionen ist nach meinem Eindruck nicht der gesellschaftliche Nutzen entscheidend, sondern der Verwertungszwang der Kapitale. Irgenwie muss halt aus Geld mehr<br /> Geld werden.Die realen Märkte sind verstopft, in ihnen kann nicht so viel investiert werden, wie Profite anfallen. Einer der Auswege ist, sich  für den Zweck der Kapitalvermehrung an die<br /> Steuermittel des Staates zu machen. Projekte wie S21 sind dafür nur das Medium. Man könnte genau so gut auf Staatskosten Pyramiden bauen und sie anschliessend wieder abreissen. Irgenwie ist diese<br /> Verwertungsmaschinerie im Wortsinn verrückt geworden, ein gegenüber den Bedürfnissen der Gesellschaft gleichgültiger oder sogar feindlicher Selbstzweck.<br /> <br /> <br /> <br />