Soziale Sicherheit und stabile Preise in der DDR

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

In der DDR waren die Waren des täglichen Bedarfs und der sozialen Grundversorgung - Wohnen, Fahrpreise, Energie etc. - so niedrig, dass auch Menschen mit geringem Einkommen sich keine Sorgen "ums Überleben" machen mussten. Die Einkommensunterschiede waren beträchtlich, aber verglichen mit den heutigen, gering und nachvollziehbar. Es gab keine Managergehälter, die das Hundertfache eines Normal-Arbeitslohns ausmachen und keine Unternehmergewinne, die das Tausendfache ausmachen. Das alles war ein wesentlicher Gesichtspunkt für das Gefühl der sozialen Sicherheit und Gerechtigkeit. Die Sorge, man könne ins Bodenlose fallen, etwa kein Dach mehr über dem Kopf haben oder keine Arbeit, gab es nicht. Genug Probleme gab es trotzdem, auch berechtigte und weniger berechtigte Unzufriedenheit.

 

Hier ein Artikel zu diesem Thema von Dr. Helmut Weiss. Übernommen von http://ddr-kabinett-bochum.blogspot.de/ :

 

Stabile Verbraucherpreise in der DDR

 

 

Was in der DDR zum Alltag gehörte, ist in der BRD undenkbar
Es gibt nur wenige Bereiche der Gesellschaft, in denen die DDR durch die Medien der BRD nicht verteufelt worden wäre. Doch manche Tatsachen lassen sich weder leugnen noch "umschreiben". Zu ihnen gehörte die Politik der stabilen Verbraucherpreise.
Der tschechische Schriftsteller Hasek läßt seinen braven Soldaten Schwejk sagen: "Die Regierung, die den Bierpreis erhöht, wird gestürzt werden!" Dahinter verbirgt sich politische Erfahrung. Mit den Preisen für Erzeugnisse des individuellen Verbrauchs kann man direkt auf Denken und Fühlen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung einwirken.
Auch in den früher sozialistischen Ländern Europas war das jeweils spürbar: Staatliche Preiserhöhungen führten zu Unruhen, welche sogar Regierungen zum Abdanken veranlaßten. Das war in Polen und Ungarn der Fall. In den kapitalistischen Staaten hat die Preisentwicklung für Güter des Massenbedarfs ebenfalls ernste Auswirkungen auf das soziale Gefüge.
Das materielle Lebensniveau wird durch zwei ökonomische Kategorien bestimmt: das Geldeinkommen und die Preise für die durch Geld zu bezahlenden Waren und Dienstleistungen. Dieser Zusammenhang wirkte auch in der DDR. Bis Anfang der 70er Jahre und darüber hinaus gab es ein hohes Maß an Vertrauen in die staatliche Preispolitik. Es schmolz später durch das immer deutlichere Auseinanderklaffen von verkündeten oder beschlossenen Zielen und der praktischen Erlebbarkeit des tatsächlich Erreichten zusammen.
Dennoch war zu jeder Zeit für die DDR charakteristisch:
Der Bürger konnte ein und dasselbe Erzeugnis des gleichen Herstellers überall für den gleichen Preis erhalten. Es gab also kein Herumhorchen, wo was gerade am billigsten ist. Die Frage stand ganz anders. Sie lautete: Wo gibt es was? Der Begriff "Schnäppchen" war indes unbekannt.
Besonders wichtig war die Tatsache, daß der Verbraucherpreis für das gleiche Erzeugnis in der gleichen Qualität vom Hersteller nicht erhöht werden durfte, war es einmal auf den Markt gelangt. In dieser Hinsicht gewährleistete die DDR stabile Verbraucherpreise in vollem Umfang. Natürlich darf nicht verkannt werden, daß die Beibehaltung der Preise unmittelbare sozialpolitische Auswirkungen auf den Lebensstandard hatte. Die Gewährleistung gleichbleibender Mieten und Tarife für Energie, Wasser und Heizung sowie der Preise für sämtliche Grundnahrungsmittel spielte eine entscheidende Rolle.
Es gab allerdings Ausnahmen. Von einem zum anderen Tag erhöhte man drastisch die Preise für Meißner Porzellan, mundgeblasenes Bleikristall, das in aller Welt begehrte und zu Spekulationspreisen gehandelte "Zwiebelmuster"-Geschirr oder auch für frische Speisepilze. Damit entfielen für diese Erzeugnisse bis dahin gewährte staatliche Stützungen. Auch bei einigen Obst- und Gemüsesorten kam es im Vergleich mit Vorjahren zu einem plötzlichen Anziehen der Preise.
Am sozialpolitisch wirksamsten war die Garantie, daß jeder Bürger der DDR eine menschenwürdige Wohnung bezahlen konnte, was in der Praxis zur Gewährleistung des Menschenrechts auf Wohnen führte. Die Mieten waren in hohem Maße vom Staat subventioniert und kein Gegenstand von Warenwirtschaft, Spekulation oder gar Erpressung.
Besonders in den 80er Jahren wurde das durchschnittliche Preisniveau für einige Sortimente durch das erhöhte Angebot hochwertiger Erzeugnisse und besonders modischer Artikel heraufgesetzt.
Trotz dieser Einschränkungen ist festzustellen: Eine der größten Leistungen der DDR bestand zweifellos darin, daß unter schwierigen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen annähernd zwei Drittel des gesamten Handelsumsatzes über Jahrzehnte hinweg zu unveränderten Verbraucherpreisen an die Kunden gingen. Dieser für den Lebensstandard entscheidende Umstand ist vielen Menschen im Osten erst nach dem Anschluß der DDR an die BRD bewußt geworden, als die kapitalistischen Markt- und Preismechanismen ungehemmt zu wirken begannen. Nicht wenige DDR-Bürger haben damals gedacht: Die D-Mark soll kommen und alles andere so bleiben, wie es ist. Eine geplatzte Illusion!
Daß die Erinnerung an die Wirklichkeit der DDR im Vergleich zu den jetzt täglich erlebbaren Vorgängen noch wesentlich nachwirken und zu entsprechenden Haltungen beitragen würde, versteht sich von selbst. Man braucht nur an die Turbulenzen auf dem Energiesektor zu denken. Derart massive Preisveränderungen wären in der DDR einfach nicht möglich gewesen.
Diese sozialpolitische Ausrichtung der staatlichen Orientierung verlief nicht konfliktlos. In der Führung gab es interne Auseinandersetzungen. Nicht alle Beschlüsse entsprachen dem deklarierten Ziel. Es entstand eine immer größere Diskrepanz zwischen ins Auge gefaßten Maßnahmen und deren Umsetzung. In den 80er Jahren hatten sich Probleme auf dem Gebiet der Verbraucherpreise angestaut, die dringend einer Lösung bedurften. In zunehmendem Maße förderte deren starke Stützung nämlich die uneffektive Verwendung des Bruttosozialprodukts. Die gewollte soziale Wirksamkeit wurde dadurch zunehmend beeinträchtigt.
Die niedrigen Verbraucherpreise zogen die Konsequenz nach sich, daß Nahrungsmittel vergeudet, im Übermaß verzehrt oder zweckentfremdet als Tierfutter eingesetzt wurden. Das galt besonders für Brot. Die minimalen Tarife für Energie, Brennstoffe und Trinkwasser regten die Bevölkerung nicht zum sparsamen Verbrauch an, sondern begünstigten ebenfalls deren Verschwendung. Die vorhandene einseitige Orientierung auf den vorrangigen Kauf von Lebensmitteln wurde durch das bestehende Preisreglement noch stimuliert.
Ausländische Touristen und vor allem westdeutsche Besucher wurden zu Nutznießern der für die DDR-Bevölkerung gedachten sozialen Vergünstigungen. Die subventioniert angebotenen Erzeugnisse für Kinder (nicht allein Bekleidung) wurden in beträchtlichem Umfang von Erwachsenen abgekauft, wodurch man das angestrebte Ziel verfehlte. Die zu einem Bruchteil der BRD-Preise erbrachten gastronomischen Leistungen der DDR konnten der Nachfrage nicht standhalten, wobei z.B. allein die Gaststätten mit ca. 700 Millionen Mark der DDR jährlich gestützt wurden.
Durch das Preissystem wurde das Grundanliegen des Leistungsprinzips verletzt, nach dem jeder Werktätige einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum erwerben sollte, der ihm gemäß seinem nach Leistung bemessenen Einkommen zustand.
 
Dr. Helmut Weiß

Veröffentlicht in DDR

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