Türkei: Neu gewählte Parlamentarier bleiben in Haft
Die Erdogan-Regierung zeigt, nachdem die Wahlen vorbei sind, wieder ihr stramm rechtes Gesicht. (update: Gegen diese Behauptung hat Marcel in einem Kommentar einen zutreffenden Einwand gemacht. - Hiermit sei auf den Kommentar verwiesen.) Plötzlich ist es wieder vorbei mit der Distanz zu den USA und der israelischen Rechtsregierung, leistet sie Hilfsdienste für den Krieg gegen Libyen, und folgt der versprochenen Demokratie wie eh und je die Repression. Die kurdischen Abgeordneten des neuen Parlaments, die trotz extrem diskriminierender Bedingungen für die Opposition gewählt worden sind, obwohl sie inhaftiert sind, werden nicht freigelassen und können ihr Mandat nicht wahrnehmen. Hier Näheres:
Gewählte Abgeordnete werden nicht aus Haft entlassen - Solidarität mit Hatip Dicle
02.07.2011: Obwohl sie als unabhängige KandidatInnen direkt aus dem Gefängnis heraus gewählt wurden, kommen die kurdischen PolitikerInnen Hatip Dicle, Ibrahim Ayhan, Gulseren Yildirim, Selma Irmak, Faysal Sariyildiz und Kemal Aktas nicht, wie zuvor angekündigt, frei. Damit werden den kurdischen und türkischen WählerInnen fast 350.000 Stimmen gestohlen.
Dass einige europäische Institutionen trotzdem noch von einer demokratischen Wahl sprechen, entlarvt das scheinheilige Verhältnis der Herrschenden selbst zur bürgerlichen Demokratie.
Bei der Vereidigung des türkischen Parlaments am vergangenen Dienstag (28.06.11) boykottierten deshalb die verbliebenen 30 unabhängigen Parlamentarier die Zeremonie und blieben dem Parlament fern. Der Boykott soll so lange gehen, bis alle in Haft gewählten Abgeordneten entlassen werden und ins Parlament einziehen können.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der unbestrittene Führer der kurdischen Bewegung, Abullah Öcalan (seit mehr als 12 Jahren als einziger Häftling auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert) zu dem Boykott äußert. Sollte er trotz der Nicht-Freilassung der 6 Abgeordneten für einen Einzug ins Parlament sein, kann es gut sein, dass der Boykott beendet wird.
Auch eine Ersetzung der inhaftierten Abgeordneten durch andere unabhängige Kandidaten seitens der kurdischen und sozialistischen Bewegung wird derzeit diskutiert.
Fast täglich finden Demonstrationen mit tausenden Menschen statt, die die Freilassung ihrer Abgeordneten fordern. Die Antwort des Staates besteht aus Tränengasgranaten und Schlagstöcken (siehe Foto).
Prominente Unterstützung erhält Hatip Dicle von gewählten Parlamentariern in Europa, Anwälten aus Südafrika, sowie von Dr. Peter Strutynski, Sprecher des Bundesausschuss Friedensratschlag, und Villo Sigurdsson, ehemaliger Bürgermeister von Kopenhagen. Sogar Noam Chomsky aus den USA erklärt sich solidarisch mit den inhaftierten KurdInnen.
Auch die Republikanische Volkspartei CHP boykottierte bis auf einen Abgeordneten die Vereidigung, da zwei ebenfalls inhaftierte gewählte CHP'ler nicht aus dem Gefängnis freigelassen worden sind.
Damit startete die AKP-Regierung denkbar schlecht in die neue Legislaturperiode und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Die Lösung der Kurdenfrage rückt somit in weite Ferne.
Der Schlüssel für den Weg in eine friedliche Gesellschaft liegt in der Hand der Regierung, aber momentan deutet nichts darauf hin, das sie das passende Schloss finden und die Tür zu demokratischen und gerechten Verhandlungen öffnen wird.
Um weiter Druck für die Freilassung Hatip Dicle's aufzubauen, gibt es eine internationale Solidaritätskampagne. Mehr Informationen dazu findet ihr in den PDF-Dateien im Anhang.
Solltet ihr die Solidaritätserklärung unterschreiben wollen, schickt eine Email mit dem eigenen Namen als Unterschrift an: solidarity.dicle@googlemail.com (Wenn gewünscht mit Titel und Berufsbezeichnung).
Kerem
txt: Kerem
foto: Kerem