Zur Debatte über die EU

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

In der Nr. 24 der Zeitschrift Theorie und Praxis nimmt Corell zur EU aus kommunistischer Sicht, d.h. aus der Interessensperspektive der Arbeiterklasse, Stellung. Das ist eine radikal andere Sicht auf die EU als in den bürgerlichen Debatten.

 

Corell betrachtet die EU als vorübergehendes Bündnis imperialistischer Staaten zum Zweck der Herstellung einer gegenüber den USA eigenständigen Einflusssphäre. Dieses Bündnis existiert, von den Römischen Veträgen an gerechnet, zwar seit einem guten halben Jahrhundert und hat einen gewaltigen gemeinsamen bürokratischen Apparat ausgetrieben. Nichtsdestoweniger handelt es sich, seiner inneren Widersprüche wegen, um ein zeitweiliges Bündnis, das unvermeidlich zerfallen wird, wenn die Interessenlagen der Hauptmächte sich ändern.

 

Corells Befund steht in implizitem Gegensatz zu den Ausgangspunkten der Politik der Europäischen Linken, die die EU als unwiderruflich ansieht und ihr als vermeintlich einzig mögliche "Alternative" eine "grundsätzlich andere" EU entgegenstellt. Die fiktive Entgegenstellung läuft praktisch auf das Mitmachen hinaus. 

 

Der Fehler der EL liegt m. E. - soweit sie ihre Politik überhaupt aus einer materialistischen Analyse abzuleiten versucht - darin, dass sie von einer "Entnationalisierung" der EU-Hauptmächte und einer Verschmelzung der Interessen dieser Staaten ausgeht, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Die Staaten halten am Kern ihrer Macht fest. Er wird nicht auf die EU übertragen. Dem liegt zu Grunde, dass die Interessen der Monopolbourgeosien nicht so miteinander verschmolzen sind, dass man von einer (west-)europäischen Monopolbourgeoisie sprechen kann (noch weniger, was gelegentlich auch behauptet wird, von einer Monopolbourgeoisie der imperialistischen Zentren). 

 

Der im folgenden gespiegelte Text ist auf der Internet-Site von T+P http://www.tundp.info/ zur Zeit noch nicht zugänglich. Verwiesen sei auch auf diverse Einträge zum Thema EU-Analyse in diesem Blog unter der Rubrik EU.

 

Hier der Text Corells:   

 

ZUR DEBATTE ÜBER DIE EU

 

Angesprochen auf die Pläne von Merkel und Sarkozy für eine europäische

 Wirtschaftsregierung unter Hinweis auf den „Anfang eines deutschen Europas“,

meint die französische Finanzministerin Lagarde in einem Interview: „Die Tage von Diktaten und Hegemonien sind in Europa zum Glück vorbei“ [1]. Demgegenüber erklärt der Kolumnist

der bürgerlichen Financial Times Deutschland, Münchau: „Deutschland und Frankreich versuchen unverblümt, ihre Machtpositionen auszunutzen. (...) Was hier passiert, ist nichts anderes als der Versuch einer politischen Erpressung“[2].

 

Es lohnt also genauer hinzuschauen,worum es dabei geht. Umso genauer, wenn die Europäische Linke eine „Basiskampagne“ initiieren will: „Es geht um eine Strategie zugunsten von Beschäftigung, sozialer Sicherheit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, ökologischem Umbau und Demokratisierung - also um ein anderes Europa“ [3].

 

Wenn ernst gemeint, ist der Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Strategie kein Wunschkonzert, sondern die Analyse der Verhältnisse. Sie soll Klarheit schaffen über den Gegner, Feind und über die eigenen Kräfte inklusive der Reserven und ihrer Aufstellung. Auf dieser Grundlage erst können Ziele formuliert werden und die Richtung des Hauptstoßes festgelegt werden. Dazu sollten drei Eckpunkte Berücksichtigung und Eingang in die

Debatte finden:

 

Eckpunkt 1:

 

Lenin begründet hinreichend die Behauptung, dass die Vereinigten Staaten von Europa entweder unmöglich oder reaktionär seien. Wir können heute hinzufügen: Je mehr die

Vereinigten Staaten von Europa in den Bereich des Möglichen rücken, desto reaktionärer werden sie.

 

• Reaktionär mit ihrer Frontstellung gegen das sozialistische China.

 

• Reaktionär gegen die kleineren Mitgliedsländer, denen eine eigenständige Entwicklung selbst auf kapitalistischer Grundlage abgeschnitten wird und die vermittelt über „Brüssel“

zu Sonderwirtschaftszonen der imperialistischen Länder im EU-Verbund werden, in Abhängigkeit vor allem von der BRD, sowie von Frankreich, Großbritannien und Italien.

Wie „demokratisch“ diese Abhängigkeit geregelt ist, zeigt sich allein schon durch das Abgehen vom Grundsatz eine Nation eine Stimme.

 

• Reaktionär ist die EU gegen den Rest der Welt, der sie einerseits als „Festung Europa“ entgegentritt und sich gegen die Flüchtlinge abschottet, andererseits als bewaffnete Macht

sich zu etablieren sucht, die die Ausbeutungsinteressen ihrer Monopole in Afrika, Asien und Lateinamerika schützt — und dadurch die Flüchtlinge schafft.

 

• Und schließlich ist die EU reaktionär gegen die Arbeiterklasse, gegen die Arbeiterbewegung und ihre internationale Solidarität. Die EU bietet eine Plattform des Monopolkapitals,

um die Errungenschaften der Arbeiterklasse zu demontieren, die verschiedenen nationalen Abteilungen gegeneinander auszuspielen und die Kapitalisten zu vereinigen gegen alle Bestrebungen der Arbeiterbewegung, zu einer neuen Gesellschaftsform, zum Sozialismus, zu

gelangen.

 

Eckpunkt 2:

 

Die Unterscheidung von Unterdrückernation und unterdrückter Nation ist zu beachten. Lenin weist eindringlich darauf hin, dass ein Übersehen dieses Unterschieds in blanken Opportunismus führt.

 

In der Frage der EU wird überdeutlich, dass die imperialistischen Unterdrückernationen in der EU, nämlich Frankreich, Großbritannien, Italien und allen voran der deutsche Imperialismus,

ein zeitweiliges Bündnis eingegangen sind: Nach dem 2. Weltkrieg zunächst als Bollwerk gegen den Sozialismus in Europa, dann als zweites imperialistisches Zentrum, um mit

dem US-Imperialismus zu rivalisieren, seit 1989 als Bündnis zur gemeinsamen Neuaufteilung vor allem Osteuropas und schließlich zum Eingreifen in der ganzen Welt.

 

Während derzeit die neu in die EU einverleibten Nationen an die Kandare genommen werden und die Beute unter die Großen aufgeteilt werden soll, geraten die Großen unvermeidlich über

ihren jeweiligen Anteil in Streit. Über die Formen dieses Streits — heute noch friedlich, morgen militärisch — kann man trefflich disputieren. Es ändert nichts daran, dass es um Macht, Herrschaft, Dominanz und Unterdrückung geht.

 

Eckpunkt 3:

 

Selbstbestimmungsrecht der Nationen und proletarischer Internationalismus

 

In der Epoche des Imperialismus wird das Selbstbestimmungsrecht der Nationen generell in Frage gestellt. Nach der weitgehenden Abschaffung des offenen Kolonialsystems ist die heute noch vorherrschende Form die ökonomische Abhängigkeit bei formeller politischer Souveränität. Tendenzen zur Rekolonialisierung sind jedoch offensichtlich: Kosovo, Irak, Afghanistan.

 

Die Auseinandersetzung in der EU geht auch um den Grad, in dem Nationen bei ihrem Beitritt ihre politische Souveränität aufgeben müssen. Dies ist das Problem ausschließlich der kleinen

und von den imperialistischen Ländern abhängigen Nationen, die neben ihrer ökonomischen Unabhängigkeit nun auch noch ihre politische verlieren sollen und zu Provinzen mit Statthaltern

im EU-Reich von Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens Gnaden herabgestuft werden.

 

Das Selbstbestimmungsrecht dieser Nationen zu verteidigen, ist Aufgabe und Pflicht des Proletariats nicht nur in den abhängig gemachten Nationen, sondern auch des Proletariats in den imperialistischen Ländern. Das Proletariat in einem abhängigen Land steht der

Bourgeoisie in diesem Land gegenüber. Diese Bourgeoisie ist umso schwächer, je weniger sie direkt und unmittelbar mit anderen Bourgeoisien verbunden ist. Die Forderung in diesen Ländern muss deshalb heißen: Raus aus der EU! Oder wie etwa bei der Türkei: Den

Beitritt verhindern! Dies trifft die verräterische Bourgeoisie im eigenen Land am meisten, die für eine Handvoll Euro bereit ist, das eigene Volk an die Meistbietenden zu verkaufen.

 

Die Aufgabe der Arbeiterbewegung in einem imperialistischen Land dagegen ist es, durch den Sturz des eigenen Imperialismus die Unterdrückungsmaschinerie EU zum Einsturz zu bringen.

 

Zur Abgrenzung gegen eine faschistische Lösung, die Europa wieder unter dem deutschen Stiefel „vereinigen“ will, haben wir die Rechte der abhängigen Länder zu verteidigen — ihr Recht auf Austritt aus der EU, aber auch ihr Recht, als Gleichberechtigte in die EU eintreten zu können. Dies träfe die deutsche Monopolbourgeoisie am meisten, wenn sie von den eigenen Arbeitern daran gehindert würde, Griechenland oder die Türkei zu demütigen, zu unterjochen und — mit EU-Freibriefen versehen — auszuplündern.

 

 So auch würde die Basis für eine wirkliche Vereinigung von Arbeitern unterschiedlicher

Nationalität in Deutschland gelegt und der faktischen Spaltung entgegengetreten, wie sie der deutsche Imperialismus seit mehr als einem Jahrhundert betreibt mit Deutschen gegen Polen, Italiener, Spanier, Griechen und Türken. Und gegen den „Fremdarbeiter“ an sich, der dem deutschen Imperialismus wirklich willkommen nur als Zwangsarbeiter im Lager war. Dadurch

können wir den Klassengegensatz ins Zentrum stellen, statt nationale Unterschiede,

Hader und Hass.

 

Quellen und Anmerkungen:

[1] „Der Spiegel“ 11/2011

[2] FTD 10. 2. 2011

[3] Beschluss des 3. Kongresses der Partei

der Europäischen Linken (Paris, 3.—5. 12.

2010) — Für die Schaffung eines „Europäischen

Fonds zur sozialen Entwicklung“

 

 

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