Zur "Parlamentsumzingelung" in Madrid
Gestern fand die erste "Parlamentsumzingelung" statt. Sie soll heute wiederholt werden - und so weiter, bis die Rechtsregierung zurücktritt. Die Zahl der Teilnehmer lag wohl bei einigen Zehntausend. Die Polizei spricht von 6 000, was aber so gut wie nichts besagt. Sie hat die Zahl nach Kräften reduziert, indem sie von ausserhalb Madrids kommende Busse gestoppt hat ( link ) und in der Hauptstadt selbst eine Atmosphäre der Bedrohung herstellte ( link ) , die den Menschen Angst machen und sie von einer Teilnahme abhalten sollte ( link s. Fotos ).
Anders als der "Marsch auf Madrid", an dem einige hunderttausend Menschen teilnahmen, ist die "Parlamentsumzingelung" nicht von den Gewerkschaften getragen, sondern von einem Teil des Spektrums, das sich in der Bewegung "Basta Ya! Democracia real!" sammelt, - eine Bewegung kleinbürgerlicher Demokraten mit einem starken Anteil junger Menschen, viele unter ihenn gut ausgebildet, aber arbeitslos. Das sind Kräfte, die ihre Erfahrungen im Klassenkampf erst machen müssen und zum Teil selber gar nicht an Klassenkampf denken, sondern meinen, das wirtschaftliche Desaster und die eigene Perspektivlosigkeit sei ein Problem, das mit "mehr Demokratie" im Rahmen der bestehenden Ordnung gelöst werden könne. Die politische Beschränktheit dieser Bewegung kommt z.B. darin zum Ausdruck, dass die Teilnahme von Parteien an ihren Aktionen und das Zeigen von Parteisymbolen verpönt sind. Die Abgeordneten der Izqierda Unida haben sich der gestrigen Aktion trotzdem angeschlossen, "als Individuen".
Die Rajoy-Regierung agitiert gegen die Aktion, indem sie von einem "Putschversuch" spricht. Gleichzeitig lässt sie die Spezialtruppen der Polizei agieren, als stehe Spanien kurz vor einem Bürgerkrieg. Und gleichzeitig dürfen höchste Armeeoffiziere im Zusammenhang mit der "Unabgängigkeits"-Kampagne der katalanischen regionalistischen Rechten ungestraft davon reden, Seperatisten werde man vor Militärtribunale stellen - etwas, das unter den bürgerlich-demokratischen Verhältnissen nicht möglich ist und den Ausnahmezustand oder einen Militärputsch voraussetzt. Unübersehbar spielt die Regierung der postfranquistischen PP mit der in der spanischen Bevölkerung tief eingewurzelten Angst vor einer Rückkehr der Diktatur und Bürgerkrieg - und mit den Gelüsten danach in der Hard Core- Rechten. (Das ist wohl auch der Grund dafür, dass Gewerkschaften, IU und Kommunisten bei jeder Aktion tausendmal deren friedlichen Charakter beschwören.) Das Spiel mit dem Nationalismus versteht nicht nur der politische Windhund Artur Mas, der Chef der katalanischen Generalitat (Landesregierung), sondern auch die zentralstaatlich-spanische Rechte. Sicher nicht zufällig hat Ihro Majestät selbst, die zur Zeit nicht auf Elefantenjagd ist aber weiter dem Bourbon nicht nur des Familiennamens wegen zugeneigt scheint, von sich gegeben, mit dem von Grossbritannien besetzten Gibraltar müsse jetzt etwas geschehen, da sei schon zu lange nichts geschehen.
Die "Parlamentsumzingelung" war keine, weil die Polizei das Areal weiträumig abgesperrt hat und die Demonstranten gar nicht in die Nähe kamen. Wieviel Kraft die Kampagne hat, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Ein Beginn mit einigen zehntausend Menschen ist nicht so schlecht, aber weit davon entfernt, die Rajoy-Regierung zu gefährden. Dafür reichen nicht einmal Hunderttausende. Es müssten Millionen werden.
Die Parolen der "Parlamentsumzingler", die sich heute Abend um 19.oo Uhr wieder versammeln wollen, sind:
- Für die Errichtung einer wirklichen Demokratie
- Protest gegen die Repression
- Vereinigung der Kräfte
- Für die Würde, gegen die Würdelosen
Am 29. September beginnen in Portugal Massenaktionen, die von den Gewerkschaften und der kommunistischen Partei getragen werden. Das Ziel der auf zwei Wochen angesetzten Kampagne ist der Sturz der "Troika-Regierung". Hier ist die Beteiligung von Millionen Menschen zu erwarten. Vielleicht wird die spanische Opposition dann auch von dieser Massenbewegung im portugiesischen Nachbarland beflügelt.