Vor der Weihnachtsgans ein gemütlicher Diskurs über Folter
Es ist noch nicht so lange her, dass sich die "westlichen Demokratien" als ein Hort der Zivilisation darstellten, in dem die Menschenrechte geachtet werden und Rechtsstaatlichkeit herrscht. In den Sonntagsreden ist das noch heute so und im Kopf des Normalbürgers auch.
Das war schon immer eine Lüge. Nie haben die bürgerlich-demokratischen Staatswesen darauf verzichtet, auch die barbarischsten Methoden der Machtausübung einzusetzen, wenn ihnen das notwendig zu sein schien. Aber über einige Jahrzehnte lag über dieser Wirklichkeit ein dichtgewebter Schleier von Heuchelei. Willkür, Gesetzlosigkeit, staatlicher Mord, Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Straflager mit unmenschlichen Lebensbedingungen - das gab es nur in primitiven Diktaturen irgendwo in Afrika und - natürlich, da vor allem - in den sozialistischen Staaten. Die Behauptung, "so etwas" gebe es im Westen nicht, war ein Hauptargument für die höhere Zivilisiertheit, für die moralische Überlegenheit des Westens, auch für dessen Recht, diese angeblich höhere politische Kultur in alle Welt zu exportieren.
Die ganze Menschenrechtsindustrie der sogeannten NGOs lebt noch heute von diesem Nimbus. Aber seit einiger Zeit schleicht sich in diesen selbstbeweihräuchernden Überlegenheitswahn etwas Neues. Die eigene angebliche höhere Zivilisiertheit wird zunehmend relativiert. Natürlich sind die Menschenrechte heilig. Aber. Im Ausnahmefall - Guantanamo ... Es gibt einen Übergang zur Rechtfertigung von ruchlosen Methoden der Machtausübung und Gewaltanwendung, die früher nur den Feinden des Westens zugeschrieben worden sind. In die "Meinungsbildung" fliessen "Problemstellungen" ein, die barabarische Gräueltaten nicht mehr als "Entgleisungen" einzelner Inidividuen - etwa die Massaker im Vietnamkrieg, Abu Ghraib - thematisieren, sondern als zwar "möglicherweise illegale", aber "möglicherweise legitime" Methoden. Die verheimlichte Realität, die es schon immer gibt, bohrt sich durch den Schleier der Heuchelei ans Licht. Barabarei ist etwas, das "ernsthaft diskutiert" werden kann - und muss.
Der auf irgendwelchen Umwegen aus staatlichen Quellen bezahlte Menschenrechtskrieger dieser oder jener "unabhängigen NGO" in Afghanistan wohnt seit jeher neben dem GI, der die Zielvorgabe für das nächste Massaker mittels Drohneneinsatz liefert, und neben dem Verhörspezialisten der CIA, der die als Taliban verdächtigen Bauern mit wissenschaftlichen Methoden foltert. Diese drei Figuren sind Brüder mit verschiedenen Kappen. Aber die Akteure der "dunklen Seite der Macht" werden zunehmend auch "offiziell" neben die menschenrechtelnden Lichtgestalten gestellt. Schulunterricht für afghanische Mädchen ist zweifellos eine gute Sache - aber nicht auch doch die soldatische Routine des Oberst Klein und die Wasserfolter im Geheimgefängnis ?
Ein Beispiel für den mittlerweile politisch korrekten "Diskurs" über den zivilisatorischen Fortschritt in die Barbarei ist die Besprechung des Films Zero Dark Thirty in der FAZ von heute: http://www.faz.net/aktuell/zero-dark-thiry-im-kino-wie-nuetzlich-ist-die-wahrheit-12001726.html . Man wird doch mal darüber reden dürfen ?! Im sonntäglichen gepflegten Plauderton im bürgerlichen Feuilleton. Natürlich bei all den Vorbehalten, die ein kultivirter Westgutmensch so hat. Morgen ist übrigens Bescherung.