Putins Träne, FAZens Geifer
Gestern ging dieses Bild um die Welt: Putins Gesicht in Grossaufnahme, unter dem rechten Auge die Spur einer Träne. Das Bild entstand bei der Siegeskundgebung nach den Präsidentschaftswahlen. Kommentare: Der heuchelt, zieht eine Show ab, so einer wie der kann doch nicht vor Ergriffenheit weinen. Putin berichtigt die Spekulationen: Er habe gar nicht geweint, der scharfe Wind habe ihm die Tränen in die Augen getrieben. - Ende der "Interpretationen" ? Aber nein, neue: Es sei womöglich doch nicht der Wind gewesen, sondern doch Sentimentalität (die typisch russische wahrscheinlich, die Zwillingsschwester der allbekannten russischen Brutalität, zu der diese Halbzivilisierten nun einmal neigen) oder doch Berechnung, nachträglich dementiert, oder ... etc.pp. Die westliche Journaille ist ausser sich über den Wahlsieg Putins und wird vor Grimm kindisch. Wer sich die Besichtigung der tiefsten Abgründe westlicher Hetze antun will, sei auf diesen Auswurf eines Christian Geyer in der FAZ verwiesen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/nach-der-wahl-putins-trane-11673157.html .
In der selben FAZ-Ausgabe noch ein Beispiel, hingeschmiert von einer Melanie Mühl, Opfer Asma al-Assad, die Frau des syrischen Präsidenten, Überschrift: "Gute Fee oder böse Hexe ?". Wer nach Christian Geyer noch nicht genug hat, möge sich den Link selber suchen.Man kann es auch lassen. Muehls Antwort auf die selbstgestellte Frage ist ja ohnehin klar.
Die schäumende Gehässigkeit, brunzdumme Überheblichkeit, die verhetzende Manipulierung des Publikums ohne irgendeine Schamgrenze, die aus solchen Erzeugnissen des "seriösen" bürgerlichen Journalismus bleckt, steht dem Stürmer der Nazis in nichts nach, auch wenn das Vokabular der zeitgenössischen Psychologisiererei anstatt des Rassisten-Vokabulars benutzt wird. Im Hinterkopf paart sich das Zeilengeld mit den Ausrottungsphantasien und zeugt - den Hofschranzen-Journalisten. Armes Deutschland. Armer Westen.
Ein Gutes ist an den Mainstream-Medien. Sie sparen den Konsumenten Zeit. Es genügt völlig, eins zu lesen. Dann weiss man, was in allen anderen auch serviert wird. Die kleinen Unterschiede im "Zungenschlag" sind es nicht wert, den selben Mist im Dutzend zu konsumieren.
Diese Sorte Journalismus hat ohnehin bloss das Glück, dass Gewohnheiten zäh sind und man ihnen oft noch lange nachgeht, obwohl sie ihren Sinn längst verloren haben. Man schaltet halt die Tagesschau ein. Ein Freund beteuert mir stets, wenn ich ihn dabei erwische, dass er wieder einmal die SZ gekauft hat, er mache das ja bloss wegen der Regional-Nachrichten und der Sportseiten, und ein wenig liberaler als der Münchner Merkur sei die SZ ja doch immer noch. Gewohnheiten brauchen zum Absterben Zeit. Aber, kein Zweifel, die Monopol-Medien leben von der Substanz, von der Trägheit des Publikums. Sie zehren diese Substanz täglich aus. Der Überdruss wächst. Die Langeweile, die das Widerkäuen immer der selben Stereotype erzeugt, peitscht zu immer obszönerer Effekthascherei, aber damit wird nur der Niedergang kaschiert.
Gestern hat also Putin geweint oder auch nicht und Frau Assad ist eine Hexe. Und heute ? - Ach, man weiss es ja schon, ehe man die Zeitung überhaupt gekauft hat. Die unabhängigen Beobachter in London haben in Syrien soundsoviele neue Leichen gezählt, und sie gehen alle auf das Konto Assads, und Melanie Mühl hat wieder 45 Zeilen gekriegt. Ausserdem werden die Griechen gerettet oder doch nicht. Wussten Sie schon, dass der Iran drauf und dran ist, eine Atombombe zu bauen ? Und dass in China um 00.01 Uhr schon wieder ein Sack Reis umgefallen ist ?
Was mich angeht, hab ich mir für heute einen guten Vorsatz gemacht: Wenn ich am Zeitungsladen vorbeigeh, lass ich das Klimpergeld für die FAZ stecken. Und die Tagesschau knips ich auch nicht an. Ich les einfach nochmal den Christian Geyer und die Melanie Muehl in der FAZ von gestern. Dann bin ich heute so schlau, wie ich es gestern auch schon war. Oder ich kauf mir vom gesparten FAZ-Geld eine Leberkäs-Semmel. Die macht zwar fetter, aber wenigstens nicht dümmer.