Imperialismus, Nationalismus, EU und die Linke

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Der hier gespiegelte Artikel von Richard Corell stammt aus dem neuesten Heft (Nr. 28) der Zeitschrift Theori+Praxis.

Die linken Verteidiger der EU oder der verschämte Chauvinismus 
von Richard Corell

 

In einem Artikel zur EU in T&P (Zur Debatte über die EU/März 2011) wurden drei Eckpunkte benannt, die Eingang in die Debatte finden sollten:

 

1. Die EU ist ein reaktionäres Projekt der imperialistischen Länder in Europa.

 

2. In der EU haben sich imperialistische Unterdrücker-Nationen und vom Imperialismus abhängige unterdrückte Nationen zusammen gefunden. Während derzeit die neu in die EU einverleibten Nationen an die Kandare genommen werden und die Beute unter den EU-Großmächten aufgeteilt werden soll, geraten diese unvermeidlich über ihren Anteil an der Beute in Streit.

 

3. Unverzichtbarer Teil des proletarischen Internationalismus ist die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen in der EU, d.h. das Recht, aus der EU auszutreten, sich von ihr los zu trennen.

Genau dies vertritt die KKE: „ Die kommunistische Partei Griechenlands ruft das Volk auf, wenn es sich vor der Troika retten will, bewusst und zielgerichtet für die Loslösung Griechenlands aus der EU zu kämpfen“. Dafür bezieht die KKE nicht nur Prügel, sondern wird auch noch mit Häme übergossen:

 

„Auch der fünfundzwanzigste Generalstreik würde die Lage der griechischen Bevölkerung nicht strukturell verbessern, denn am anderen Ende dieser Machtdemonstration ist im selben Land schlicht niemand mehr, der die Arbeitskraft der Griechen abrufen möchte — alle Räder stehen still, ganz egal, ob ihr starker (?) Arm es will.“ Alban Werner / Jörg Schindle, europas linker don quichotte? – Eine Entgegnung auf Andreas Wehrs Vorschläge zur Europapolitik, www.prager-fruehling-magazin.de, 16.02.2012

 

Das ist das Ergebnis der Versöhnung der „Europäischen Linken“ mit der EU. Denn ohne Anerkennung der EU keine Gelder aus Berlin oder Brüssel und damit Ebbe in der Kasse. Dafür gibt man doch gerne mal einen Ablassbrief.

Der KKE und Andreas Wehr (1) wird zudem mehr oder weniger offen ein Rückfall in den Nationalismus unterstellt.

Der Widerstand der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen gegen das Diktat der Imperialisten, allen voran der deutschen Imperialisten wird für sinnlos und perspektivlos erklärt. Was aber bedeutet es, diesen Widerstand nieder zu machen und nieder zu schreiben? Das bedeutet, die Allmacht des Imperialismus herauszustreichen und ihn für unüberwindbar zu erklären. Wem nützt das, den Unterdrückern oder den Unterdrückten?

 

Wir nennen das verschämten Chauvinismus. Verschämt, weil nicht offen das Un-Wort „alternativlos“ für die Europapläne des deutschen Kapitals gebraucht wird. Verschämt, weil man noch die Hoffnung verbreitet, diese EU demokratisch und sozial ausgestalten zu können und das selbstverständlich friedlich. Früher bezeichnete man solche linken Ausprägungen des Zurückweichens vor dem Imperialismus als sozialimperialistisch, als sozialpazifistisch oder auch als sozialchauvinistisch. Die frühere Übersetzung mit: „sozialistisch in Worten, chauvinistisch in der Tat“ kann allerdings nicht wirklich übernommen werden, da seit einiger Zeit das Sozialistische in Wort und Tat der Europäischen Linken am Dahinsiechen ist.

 

Als theoretischer Hintergrund für diese Haltung wird von Frank Deppe u.a. eine neue Imperialismus-Definition aufgetischt:

 

„Wenn wir im folgenden Text von Imperialismus sprechen, dann meinen wir die offene und latente Gewaltpolitik zur externen Absicherung eines internen Regimes.“ Und weiter: „Von Imperialismus kann überhaupt erst gesprochen werden, wenn staatliche Gewaltpolitik im Spiel ist, die ihrerseits territorial ausgreifend ist und sowohl im Rahmen geltenden Rechts – sei es Völkerrecht oder Zivilrecht – als auch verbunden mit offenem Rechtsbruch (siehe die Kriege im Kosovo oder im Irak) ausgeübt wird.“ (2)

 

Wie gut, dass es Definitionsfreiheit gibt. Da merkt man gleich, woher der Wind weht, der laue Wind von Stiftungen und Fleischtöpfen.

 

Von Hühnern und Adlern

 

Dabei berufen sich die Theoriehühner auf den „Adler“ – wie Lenin sie einmal bezeichnete – auf Rosa Luxemburg. Was dabei gern verschwiegen wird, ist die Debatte aus den Jahren 1915 und 1916, in der sich formierenden III. Internationalen. In der Analyse des Imperialismus entwickelt Lenin zwingend den Imperialismus aus der Entwicklung des Kapitalismus selbst, der durch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zur Herausbildung von Monopolen führt. Das Monopol als gesellschaftliches Verhältnis bringt notwendig Drang nach Gewalt, nach Herrschaft und nach Reaktion auf der ganzen Linie. Der Dialektiker Lenin erkennt aber im Monopol auch die wachsende weltweite Vergesellschaftung der Produktion, die unmittelbar an den Sozialismus heranführt, aber keinesfalls von selbst zum Zusammenbruch des Kapitalismus führt. Gegenüber der mechanistischen Theorie Rosa Luxemburgs (3), die den Zusammenbruch des Kapitalismus kommen sieht, wenn das „nichtkapitalistische Weltmilieu“ aufgesogen ist und damit der zwanghaften Expansion und Akkumulation des Kapitals die letzte zahlungsfähige Nachfrage entzogen sind. Demzufolge wird die Revolution auch mit einem Schlag weltweit erwartet. Keine Erkenntnis von ungleichmäßiger Entwicklung und dem Zerbrechen der imperialistischen Kette am schwächsten Glied. Damit kein Verständnis und keine Orientierungshilfe für die großen Revolutionen des 20. Jahrhunderts von Russland 1917, über China bis Vietnam.

 

Marxismus oder Luxemburgismus in der nationalen Frage

 

Aus dem beschränkten Imperialismusverständnis leiten sich auch Rosas Schwächen in der nationalen Frage ab. (4)

Zusammenfassend schreibt Lenin zur nationalen Frage: „Unter dem Kapitalismus kann die nationale (und überhaupt die politische) Unterdrückung nicht beseitigt werden. Dazu ist die Aufhebung der Klassen, d.h. die Einführung des Sozialismus unerlässlich. Doch wenn der Sozialismus auch auf der Ökonomik begründet ist, erschöpft er sich doch keineswegs darin. Zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung ist ein Fundament notwendig – die sozialistische Produktion; aber auf diesem Fundament bedarf es noch einer demokratischen Organisation des Staates, einer demokratischen Armee usw. Hat das Proletariat den Kapitalismus in den Sozialismus umgestaltet, so schafft es die Möglichkeit für die völlige Beseitigung der nationalen Unterdrückung; diese Möglichkeit wird „nur“ – „nur“! – dann zur Wirklichkeit werden, wenn die Demokratie auf allen Gebieten vollständig durchgeführt sein wird – bis zur Festlegung der Staatsgrenze entsprechend den Sympathien der Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung einschließlich. Auf dieser Basis wird ihrerseits in der Praxis die absolute Beseitigung auch der kleinsten nationalen Reibungen, des geringsten nationalen Misstrauens erfolgen und damit die beschleunigte Annäherung und Verschmelzung der Nation, die durch das Absterben des Staates vollendet werden wird. Das ist die Theorie des Marxismus…“ (5)

 

Aber die Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Linken glauben offensichtlich, dass die Unterdrückung von Nationen und der Nationalismus bereits in der vom Imperialismus geprägten EU überwunden werden könne. So als ob einer der wichtigsten Meilensteine der EU-Entwicklung nicht gerade das Anstacheln von Nationalismus in den Teilstaaten Jugoslawiens gewesen wäre. So als ob jetzt gerade mit der Fiskalunion nicht formell souveräne Staaten direkt von Brüssel – und das heißt vereinfacht gesprochen von der Agentur des deutschen und französischen Imperialismus und deren Finanzoligarchie -kommandiert würden. Und nicht vergessen: Die als Wiedervereinigung getarnte Einverleibung der DDR, die den Großmachtchauvinismus in Deutschland beflügelt hat und den Herrn Kauder, den Lobbyisten von Heckler & Koch, letzthin verkünden ließ: „Man spricht wieder deutsch in Europa“. – Aber nach der obigen Definition von Deppe u.a. hat das mit Imperialismus nichts zu tun.

 

Was aus Missachtung bzw. Unterschätzung der nationalen Frage folgen kann, dazu schreibt Lenin:

„’Indem die Sozialdemokratie jede Verantwortung für die Folgen der Unterdrückungspolitik des Imperialismus ablehnt, sie aufs Schärfste bekämpft, tritt sie keineswegs für die Aufrichtung neuer Grenzpfähle in Europa, für die Wiederaufrichtung der vom Imperialismus nieder gerissenen ein.’ (Hervorgehoben von den Verfassern.)

Gegenwärtig sind die ‚Grenzpfähle’ zwischen Deutschland und Belgien, zwischen Russland und Galizien ‚vom Imperialismus nieder gerissen’ worden. Und die internationale Sozialdemokratie soll gegen ihre Wiederaufrichtung überhaupt sein, in welcher Weise diese auch vor sich gehe?“ (6)

 

Diese Zeilen wurden 1916, mitten im ersten Weltkrieg, geschrieben und bekanntlich muss man sich vor historischen Analogieschlüssen hüten. Nur, die Machart der Argumentation ist verblüffend ähnlich: Aus dem scheinbar unanfechtbar strahlenden Internationalismus wird unter der Hand eine Rechtfertigung der Schandtaten des Imperialismus. Die vorgebliche „Entgrenzung“ dank EU soll die tatsächliche Verschärfung der Widersprüche zwischen Nationen und zwischen den Klassen in dieser EU übersehen machen, soll vergessen machen, dass die EU sich als Festung nach außen abgrenzt, soll vergessen machen, dass wir ein deutsches Europa ganz in braun schon einmal hatten, vom Atlantik bis zum Kaukasus und von Tunesien bis zum Nordkap ohne Grenzpfähle. Und dass es ab1939 auch die von Rosa Luxenburg längst totgesagten, aber von Lenin vorhergesehenen nationalen Kriege sogar in Europa wieder gab, sogar als Befreiungskriege von vorübergehend besiegten imperialistischen Ländern wie Frankreich oder Italien. (7)

 

Das griechische Ferment

 

Statt Rechtfertigung des Imperialismus wird von deutschen Linken die Unterstützung des griechischen Volks in seinem Kampf gegen das Diktat aus Berlin und Brüssel und die eigene Kompradorenbourgeoisie erwartet. Von Kommunisten wird erwartet, dass sie heute vor allem den Kampf der griechischen Arbeiterklasse gegen die Abwälzung der kapitalistischen Krisenlasten vorbehaltlos unterstützen – im eigenen Interesse: „Die Dialektik der Geschichte ist derart, daß die kleinen Nationen, die als selbständiger Faktor im Kampf gegen den Imperialismus machtlos sind, die Rolle eines der Fermente, eines der Bazillen spielen, die dem wahren Gegenspieler des Imperialismus, dem sozialistischen Proletariat, auf den Plan zu treten helfen.“ (8)

 

 

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Quellen und Anmerkungen:

 

(1) Andreas Wehr wurde in “Z” (Heft 88) von Deppe u.a. als “linker Nationalist” bezeichnet. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“ und hat „Griechenland, die Krise und der Euro“ veröffentlicht.

 

(2) Deppe, Salomon, Solty, Imperialismus, Köln 2011, S. 21, 25

 

(3) Ihre Definition des Imperialismus nimmt zwar im Gegensatz zu Deppe Bezug zur Ökonomie, aber gegenüber Lenin springt die Schwäche ins Auge: „Der Imperialismus ist der politische Ausdruck des Prozesses der Kapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um die Reste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischen Weltmilieus.“ (s. Die Akkumulation des Kapitals, 4.Aufl., Frankfurt 1970, S. 361)

 

(4) Es sei hier nur auf die erhellenden und solidarischen Schriften von Lenin verwiesen: „Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ LW Bd. 20, „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“ LW Bd. 22, S. 326-368 und „Über die Junius-Broschüre“ LW Bd. 22, darin setzt sich Lenin mit der Schrift von Junius = Rosa Luxemburg „Die Krise der Sozialdemokratie“ auseinander.

 

(5) W.I. Lenin, Werke Bd. 22, S. 331

 

(6) W. I. Lenin, Werke Bd. 22 S.340: Hier zitiert Lenin polnische Genossen, die auf der Linie Rosa Luxemburgs argumentieren.

 

(7) „Aber man kann ein solches Umschlagen [des imperialistischen Kriegs in einen nationalen] nicht für unmöglich erklären: wenn das Proletariat Europas auf 20 Jahre hinaus ohnmächtig bliebe; wenn dieser Krieg mit Siegen in der Art der Siege Napoleons und mit der Versklavung einer Reihe lebensfähiger Nationalstaaten endete; wenn der außereuropäische Imperialismus (der japanische und der amerikanische in erster Linie) sich ebenfalls noch 20 Jahre halten könnte, ohne, z.B. infolge eines japanisch-amerikanischen Krieges, in den Sozialismus überzugehen, dann wäre ein großer nationaler Krieg in Europa möglich. Das wäre eine Rückentwicklung Europas um einige Jahrzehnte. Das ist unwahrscheinlich. Es ist aber nicht unmöglich, denn zu glauben, die Weltgeschichte ginge glatt und gleichmäßig vorwärts, ohne manchmal Riesensprünge rückwärts zu machen, ist undialektisch, unwissenschaftlich, theoretisch unrichtig.“ (W.I. Lenin, Werke Bd. 22, S.315)

(8) W.I. Lenin, Werke Bd. 22, S.365

 

Theorie&Praxis

 

via http://www.kominform.at/article.php/20120424193810715

 

 

Veröffentlicht in EU

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S
<br /> Dem kann man aber auch begegnen, indem einen ordentlich untersucht wird, wie die EU aufgebaut ist, welche Möglichkeiten die EU hat usw. Es wird ja auch immer wieder behauptet, man wolle ein<br /> vereintes Europa, deswegen könne man nicht gegen die EU sein. Die EU soll nur verändert werden. Aber besteht tatsächlich die Möglichkeit dazu? Bisher müssen alle Länder einstimmig beschließen,<br /> wenn es ein sozialeres Europa geben soll. Ist das wahrscheinlich?<br /> <br /> <br /> Man könnte aber auch die EU analysieren und mit den Europaplänen des deutschen Kapitals vergleichen.<br /> <br /> <br /> In etwa einer Woche ist auch Kautskys "Nationalität und Internationalität" wieder im Buchhandel erhältlich. Dort gibt es sehr gute Hinweise, wie ein Nationalitätenstaat aufgebaut sein müsste. Wer<br /> schreit, die oder der ist ein Nationalist, sollte erstmal klären, was die Nation ist. Denn Marxisten haben auch ein positives Verhältnis zur Nation. Auf Kautskys Werk baute u.a. die<br /> Nationalitätenpolitik in der SU auf. Wer ein Zusammenwachsen der EU will, müsste dort erst einmal reinschauen. (ISBN 978-3-941731-09-7, 7,95 €)<br />
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S
<br /> <br /> Einverstanden, kann und muss man. Darüber gibt es ja auch Tausende von Texten. Ich hab mir z.B. mal angetan, die Lissaboner Verträge genauer zu untersuchen. Das ellenlange Ergebnis steht irgendwo<br /> hier in diesem Blog, Rubrik EU, unter der auch noch viele andere klärende Texte zu finden sind. Empfehlenswert ist das Blog von Beate Landefeld http://beatelandefeld.blogspot.de/ (und http://belafix.wordpress.com/ ). Lukas Zeise und Andreas<br /> Wehr kann man auh mit Gewinn lesn. Nur zum Beispiel.<br /> <br /> <br /> Corell konnte unmöglich in einem einzigen Artikel leisten, was Du forderst. Bei T+P gibt es übrigen ein Limit von 8000 Anschlägen. Ich schlage mich selber jedesmal damit herum, dass damit die<br /> Möglichkeit sehr begrenzt ist, ein Thema ordentlich zu entwickeln.<br /> <br /> <br /> Fällt mir ein: Das Limit hat natürlich nicht zuletzt finanzielle Gründe. Jede Seite kostet Geld. T+P hat ein Spendenkonto: http://theoriepraxis.wordpress.com/2000/11/15/456/<br /> <br /> <br /> <br />
S
<br /> Leider muss ich sagen, dass der Artikel schwach ist. Er erklärt wenig. Immer wieder Lenin zitieren, ist keine ordentliche Argumentation. Es müsste aufgezeigt werden, warum die EU ein<br /> imperialistisches Projekt ist und das es nur den Hauptmächten - Deutschland und Frankreich - nutzt, während die kleineren oder schwächeren Staaten unter die Räder kommen.<br />
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S
<br /> <br /> Der Artikel hat nach meinem Verständnis ein anderes Anliegen. In der DKP (und wahrscheinlich auch anderswo in der Linken in D) gibt es Leute, die die Eu für eine Überwindung des "alten<br /> Nationalismus" halten und daraus ableiten, gegen die EU zu agitieren befördere letzteren per se. Das hatte Corell vermutlich im Blick, also Leninscher Imperialismusbegriff kontra Globalisierungs-<br /> und Turbokapitalismusgeschwurbel.<br /> <br /> <br /> <br />