Krieg und Menschenrechte

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

Obwohl vielen, ich glaube den meisten, Bürgerinnen und Bürgern unwohl damit ist, dass die "westliche Wertegemeinschaft" seit den 1990er Jahren Krieg um Krieg vom Zaun bricht, bleiben Anti-Kriegs-Bewegungen schwach. Mit Meinungsumfragen, in denen sich Mehrheiten gegen das Führen von Kriegen aussprechen, können die Betreiber der Kriege leben, so lange die Stimmung nicht in politische Bewegung umschlägt. Und eben dafür reicht das "Unbehagen" nicht.

 

Warum nicht ?

 

Zunächst sind diese Kriege für die meisten Menschen im Westen kaum spürbar. Sie haben keine offensichtlichen Auswirkungen auf das tägliche Leben. Die Entsetzlichkeiten spielen sich irgendwo da unten, da hinten ab. Libyen ist zerbombt, aber auf keine deutsche, französische, spanische, italienische, US-Stadt ist auch nur eine Bombe gefallen. Die umgekommenen und verkrüppelten oder psychisch fürs Leben gezeichneten Soldaten der NATO-Armeen und ihre Familien sind eine kleine Minderheit, deren Schicksal von den Mainstream-Medien auch noch systematisch verschwiegen und verharmlost wird. Ohnehin ist sich jeder selbst der Nächste. Die da unten, da hinten ? Nunja, eine Spende für Brot-für-die-Welt, eine bedauernde Bemerkung, recht gefasstes "fassungsloses" Kopfschütteln und etwas tiefe Betroffenheit ... vor der Glotze auf dem Sofa - weiter reicht die Moral nicht.

 

Da ist aber noch etwas anderes: Das vage Unbehagen hat ein Kontergewicht, das es erst recht folgenlos macht.

 

Es ist der offiziellen Propaganda gelungen, in den Köpfen ein gewisses Verständnis fürs Kriegführen zu erzeugen - oder wenigstens so viel Unschlüssigkeit, dass sich Empörung und Bedenklichkeit die Waage halten, so dass Empörung nicht zur Tat wird. Die Meiungsmacher haben in gewissem Mass einen ideologischen Plot durchgesetzt, der das Kriegführen nach aussen bisher erfolgreich nach innen absichert. Ein Zentralpunkt sind dabei die Menschenrechte.

 

Die UN-Charta besagt klar und unmissverständlich: Krieg ist verboten. Schon die Androhung von Gewalt ist in den Beziehungen zwischen den Staaten verboten. Die Souveränität der Staaten und ihr territorialer Bestand sind sakrosankt. Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten ist verboten.

 

Diese Charta wurde verabschiedet, als die Schrecken des II. Weltkrieges, die Folgen der Missachtung dieser Grundsätze durch die deutschen und japanischen Faschisten noch vor aller Augen standen. Die Charta konnte nicht verhindern, dass die USA Korea "in die Steinzeit zurück" bombten, nicht den Krieg in Indochina und noch manch anderen. Aber die allgemeine Stimmung, die sie zum Ausdruck bringt, zeitigte trotzdem Wirkung. Es war diese Stimmung, die z. B. in Westdeutschland in den 1950er Jahren trotz brutalster antikommunistischer Hetze eine mächtige Bewegung gegen die Wiederaufrüstung hervorbrachte, die bis in "die Mitte der Gesellschaft" reichte. Und es war diese Stimmung, die noch in den 1970er Jahren eine mächtige Bewegung gegen den Vietnamkrieg der USA hervorbrachte - in den USA selbst und in Westeuropa und in aller Welt -, die dazu beigetragen hat, dass die USA diesen Krieg verloren.

 

Der Imperialismus blieb aggressiv wie eh und je, aber er musste gegen das Völkerrecht handeln. Dies und das relative "Gleichgewicht zwischen West und Ost" waren Faktoren, die seine Bewegungsfreiheit einschränkten. Von Anfang an untergrub und relativierte "der Westen" daher die Garantien der UN-Charta. Von Anfang an spielte dabei eine Rolle, mittels der Berufung auf die Menschenrechte gewissermassen durch die Hintertür eine Änderung des Völkerrechts durchzusetzen - das "Recht" auf Intervention "zum Schutz der Menschenrechte".

 

In der Logik dieses ideologischen Konstrukts waren die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, die Androhung von Gewalt und der Krieg doch nicht verboten, ja sogar eine "moralische Pflicht" - "Schutz der Zivilbevölkerung" mit Bomben wie in Libyen, Besetzung ganzer Staaten wie Irak und Afghanistan, "Regime Change" und "bunte Revolutionen", Zerstörung von Staaten wie Jugoslawien und Somalia, "Nation Building". Eben dies ist seit den 1990er Jahren - nicht zufällig seit der Zerstörung der Sowjetunion - zu einem dominierenden Faktor in der Weltpolitik gemacht worden. Mittels der Berufung auf Menschenrechte und Demokratie wurde der Krieg wieder allgegenwärtig, ein normales Mittel im Umgang mit  anderen Staaten. Mittels Berufung auf die Menschenrechte wurde die Ächtung des Krieges ausser Kraft gesetzt.

 

Inzwischen erscheint es wieder wie selbstverständlich, dass ein grundsätzlicher Respekt im Umgang zwischen den Staaten nicht gewisse Grenzen setzt. Die Interventionsdrohung ist schon lange kein "letztes Mittel" mehr, sondern gehört zu den ersten. Ungeniert wird ausnahmslos jeder Staat vor das Gericht des "Westens" gestellt und begutachtet, also eine Oberaufsicht beansprucht. Ungeniert werden die sogenannten NGOs, die "Wahlbeobachter", die Journaille der Monopol-Medien in alle Welt geschickt, um missliebige Staaten zu infiltrieren, deren innere Angelegenheiten zu beeinflussen und zu steuern, Oppositionsbewegungen entweder selber zu krieren oder, wo es authentische gibt, sich diese unterzuordnen - mit Geld, technischer Ausrüstung, Training, eingeschleusten Agenten, die zu Führungsfiguren gemacht werden. Staatsführungen werden medial zu Monstern gemacht, die zu beseitigen man im Namen der Moral einfach nicht umhin kommt. Wirtschaftliche Sanktionen und Boykotts werden als normale Mittel im Umgang mit anderen Staaten betrachtet, mit denen man diese zu erwünschtem Verhalten zwingt und gezielt verarmt, um sie unregierbar zu machen. Schliesslich die direkte militärische Intervention ...

 

Es ist den Betreibern der Kriege gelungen, ihre verlogenen ideologischen Berufungstitel tief im öffentlichen Bewusstsein der "westlichen" Staaten zu verankern. Menschen, die gegen die Kriegspolitik sind, ja sogar Aktivisten der Friedensbewegung, sind selbst verunsichert oder wagen es kaum, diesen Konsens von "Freedom&Deomocracy" in Frage zu stellen. Noch Aufrufe gegen den Krieg sind stets begleitet von der beflissenen "Verurteilung" der Regimes, gegen die sich die westliche Aggression richtet.

 

Die Reaktionen - bzw. Nicht-Reaktionen - auf den Aufruf gegen die Kriegspolitik gegen Syrien und den Iran ( http://opablogdotnet.wordpress.com/2012/01/04/solidaritat-mit-den-volkern-irans-und-syriens/ ) sind ein Beispiel dafür, dass die Unterwerfung unter die die Kriege "legitimierende" und begleitende Menschenrechtspropaganda bis tief in die Linke hineinreicht. Nicht einmal kommunistische Organisationen haben diesen Aufruf bisher unterschrieben. Die "offizelle" Friedensbewegung schweigt dazu. Und selbst so manche Unterzeichner fühlen sich bemüssigt, ihren Appell gegen den Krieg mit "eindeutiger Distanzierung" von den Regimes in Syrien und im Iran zu garnieren.

 

Diese geistige Unterwerfung unter die imperialistischen Menschenrechtslügen scheint mir der Hauptgrund für die eigentümliche Passivität zu sein, die nicht nur die Masse der kriegskritischen Bevölkerung, sondern auch viele Aktivisten der Friedensbewegung zeigen.

 

Diese geistige Unterwerfung muss gebrochen werden. Keinen Groschen. keinen Mann und kein Hirn für den Menschenrechtsimperialismus ! Keine "NGO" und kein "Wahlbeobachter" irgendwohin ! Kein Wirtschaftsboykott gegen irgendwen ! Keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten gleich welchen Staates im Namen einer "globalen Zivilgesellschaft" !

 

Ohne dem Menschenrechts-Plot der imperialistischen Kriegspropaganda grundsätzlich, kompromisslos und offensiv entgegenzutreten, gibt es keine Anti-Kriegs-Bewegung.

 

_____

update:

Zum Thema Aufruf gegen einen Krieg gegen Syrien und Iran: http://haraldpflueger.com/de/blog/deutschland/79049-kriegstreibern-erscheint-friedensaufruf-als-qunterkomplexq.html

 

 

Veröffentlicht in Kultur und Gesellschaft

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J
<br /> Kleiner Hinweis: <br /> <br /> <br /> Es gibt da ein interessantes<br /> Dokumentarfilmprojekt: <br /> <br /> <br /> http://www.youtube.com/watch?v=0MWaaK0fDJA<br /> ein Filmteam begleitet ein<br /> MenschenrechtsSeminar für junge Erwachsene aus Belarus, Deutschland und der Ukraine, in dem die TeilnehmerInnen das nötige Know-How bekommen um Menschenrechtskampagnen<br /> umzusetzen.<br /> Der Dokumentarfilm soll den<br /> Projektverlauf dokumentieren, der Teilnehmer-Generation ein Gesicht geben und zeigen unter welchen Umständen sie in Zentral- und Osteuropa lebt, diskutiert und welche Begrenzungen sie umgibt.<br /> Es<br /> wird noch dringend Geld benötigt um das Projekt fertig stellen zu können. Hier kann man es finanziell Unterstützen: http://startnext.de/speak-up<br />
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V
<br /> Vielen Dank! Da gibts ja ziemlich viel ziemlich interessante Artikel.<br />
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V
<br /> Danke fuer das Kompliment. Hast Du einen Link zu dem Blog, den Du erwaehnst? Wuerde mich sehr interessieren, wie man das Pol Pot Regime bezeichnen kann, wenn nicht als kommunistisch.<br /> <br /> <br /> Vielen Dank <br />
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S
<br /> <br /> Hier der link zu Cathrins Blog: http:||cathrinka.blog.de<br /> <br /> <br /> <br />
V
<br /> Aber was koennen wir tuen? Wir haben mit unserem Vietnam-Artikel versucht, wenigstens mal wieder daran zu erinnern, dass es den Vietnam Krieg gab und das er nicht legetimiert war. Reicht das? Sicher nicht!<br />
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S
<br /> <br /> Die verlinkten Artikel ueber den Krieg in Vietnam und Laos sind informativ. Aber mit der Charakterisierung des Pol Pot Regimes als kommunistisch sitzt Ihr den mainstream-Darstellungen auf. Was es<br /> mit diesem Regime auf sich hatte )incl. seiner ideologischen Wurzeln) ist in CathrinKas Vietnamblog gut nachzulesen. (Dieses Blog ist ueberhaupt mepfehlenswert fuer alle, die sich fuert Vietnam<br /> und Indochina interessieeren.)<br /> <br /> <br /> <br />
G
<br /> Es ist von einem Bündnis Chinas mit den USA unter Nixon in meinem Kommentar die Rede. Vielleicht den Rest auch noch mal gründlicher lesen.<br />
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