Libyen: Gewisse Schwierigkeiten beim Demokratie- und Freiheitsgeschäft
Das Triumphgeheul ist der Journaille im Hals steckengeblieben. Gaddafi ist nicht nach Venezuela geflohen. Die Unterstützung für sein Regime ist nicht auf 300 Anhänger zusammengeschmolzen, wie die FAZ noch vor zwei Tagen weismachen wollte. Die Aufständischen marschieren nicht auf Tripolis, sondern die Regierungstruppen Richtung Bengasi. Libyen ist offenbar politisch in zwei Lager gespalten, die Anhänger Gaddafis und die Aufständischen. Die erste Phase der Medien-Kampagne hat sich als Lügengebäude erwiesen.
Folgt die zweite Phase: das Menschenrechtsgeheul. Die Flüchtlinge müssen versorgt werden. Korridore für humanitäre Hilfe müssen geöffnet werden. Wenn nicht, werden die Leute verhungern und verdursten. Da kann doch kein Mensch mit Herz zuschauen. Da müssen westliche Hilfsdienste rein, am besten solche aus NATO-Staaten. BeiAl Jazeera wird ein "Experte" und ein "Specher der Opposition" nach dem andern an den Interview-Tisch gesetzt. Sie haben alle höchst humanitäre Anliegen: Flugverbotszone, Bombardement durch die NATO, mehr Waffen. Nein, NATO-Bodentruppen nicht oder, naja, höchstens paar Spezialkräfte ... Die Trümmer des ersten Lügengebäudes liegen den Medienkonsumenten noch im Gedächtnis, da wird schon das nächste gebaut und soll den Blick aufsich ziehen.
Die Aufständischen sind in der Defensive. Der Regime Change wird ohne direkte Militärintervention der NATO-Gutmenschen wohl nicht gelingen. Die Risiken einer solchen aber sind gross und schwer kalkulierbar. - Wie wärs da mit recht viel humanitärer Hilfe ? Zwanzigtausend Mann humanitärer Helfer - das wär vielleicht was. Die werden die Tür nicht ganz aufmachen können. Aber wenigstens hätte man einen Fuss zwischen Tür und Rahmen. Und dann müsste man die humanitären Helfer womöglich vor den wilden Gaddafi-Terroristen beschützen, vor seinen gedungenen Negern. Samtene Besetzung, die humanitären Helfer als Vorausabteilung, dann kann man die Hauptstreitmacht vielleicht nachziehen. Aber das würde politische Kosten machen, die schwer zu tragen sein könnten. Die Massen in Arabien sind nicht besonders gut auf die selbstlosen Befreiungskämpferaus Europa zu sprechen, und auf die aus Nordamerika schon gar nicht.
Jedenfalls kommt es jetzt auf Zeitgewinn an. Gaddafi darf es nicht gelingen, den Aufstand militärisch niederzuschlagen oder sich mit seinen Gegnern auf dem Verhandlungsweg zu einigen. Die Sache am kochen halten, darauf kommts jetzt an; wenigstens das, wenn schon der Überraschungssieg nicht gelungen ist.
Während Libyen gemenschenrechtet wird - und das werden alle Libyer, egal ob pro Gaddafi oder gegen ihn -, hat Obama die Wiederaufnahme der Militärtribunale in Guantanamo angeordnet, des KZs, das er angeblich schliessen wollte. Die USA, sagt Obama, stehen auf der Seite der Demokratie und der Freiheit. Da steht die Merkel auch. Lüge, Willkür, Gewalt und Aggression ist die Übersetzung dieser schönen Worte im imperialistischen Alltagsgeschäft.
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update:
Als ich diesen Text schrieb, kannte ich den Artikel noch nicht, der gerade auf der Intnet-Seite der FAZ erschien. In ihm heisst es:
"Der amerikanische Botschafter sagte, möglich sei außerdem, dass die Nato die humanitären Bemühungen in Libyen unterstütze. Sie könne ein Kommandozentrum zur Koordinierung der verschiedenen Einsätze zur Verfügung stellen oder Schiffe zu diesem Zweck abstellen. Diese könnten dann Lebensmittel und andere Hilfe ins Land bringen oder Leuten bei der Ausreise helfen."
Manchmal bin ich mit meiner Spürnase zufrieden.