Parlamentswahlen in Spanien 2011: Wie eine "absolute Mehrheit" gemacht wird

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

"Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten" ist ein häufig zu hörender Spruch. Aber die, auf die es ankommt, sind vorsichtige Leute. Sicherheitshalber ändern sie per Wahlrecht die tatsächlichen Wahlergebnisse, selbst, "wenn Wahlen nichts ändern". Vom demokratischen Ideal des "Ein Mensch - eine Stimme" kann in den bürgerlichen Demokratien keine Rede sein. Weil in Spanien gerade Wahlen waren, habe ich an diesem Beispiel mal ein wenig herumgerechnet.

 

Der Ausgangspunkt waren die Meldungen in den deutschen bürgerlichen Medien, in denen es unisono hiess, die spanische Rechte - die PP - habe die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen, die sozialdemokratische PSOE haushoch verloren. Genannt wurden noch die Prozentzahlen dieser beiden Parteien - 44,6 bzw. 28,7 %. Andere Parteien gibt es in Spanien offenbar nicht.

 

Was beim gewöhnlichen Medienkonsumenten hängenbleibt, ist: Die Spanier haben die linke Regierung ab- und eine rechte gewählt. Schon die Überlegung, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann, wenn eine Partei mit einem Stimmanteil von 44,6 % "die absolute Mehheit erreicht" wird wohl nicht allzu häufig sein; und wenn, mit einem Achselzucken abgetan werden. - Man weiss ja, dass das Wahlrecht überall so gestaltet ist, dass die Zahl der Parlamentssitze der Zahl der Wähler nicht so genau entspricht und dass es überall Elemente des "mehrheitsbildenden Wahlrechts" gibt. Das ist ein beschönigender Ausdruck für die Verfälschung des Wählerwillens. Aber es gibt kaum eine bürgerliche Demokratie, in der das Wahlrecht nicht genau dies bewirken würde, das ist halt mal so. Das heilige bürgerlich-demokratische Prinzip "Ein Mensch - eine Stimme" existiert in der Praxis nicht.

 

Wie haben die Spanier nun wirklich gewählt ? Hier die Zahlen:

 

Wahlberechtigte ( in 1000) : 34 301

 

Wähler                                : 24 590

 

ungültig                               :      318

 

Blancos (1)                         :       333

 

Die Wahlbeteiligung betrug 71,7 %. Für die kandidierenden Parteien gestimmt haben allerdings nur 69,4 %. Davon stimmten 793 000 Wähler für Parteien, die keinen Sitz erhielten. Diese abgerechnet, repräsentieren die im Parlament vertretenen Parteien ca. 64 % der Wahlberechtigten.

 

Partei/Wahlliste        Stimmenzahl absolut        Anteil an Wählern in %        Anteil an Wahlbrechtigten in %       Sitze

                                    (in 1000)                                                                            ca.                          

________________________________________________________________________________________________

 

PP (2)                          10 831                                44,6                                       30                                                         186

 

PSOE (3)                       6 974                                28,7                                       19                                                         110

 

CiU (4)                           1 014                                  4,2                                         2,8                                                        16

 

IU/LV (5)                        1 681                                  6,9                                         4,6                                                        11

 

AMAUIR (6)                      334                                  1,4                                          0,9                                                          7

 

UPyD (7)                        1 140                                  4,7                                          3,1                                                          5

 

EAJ-PNV  (8)                    324                                  1,3                                          0,8                                                          5

 

ERC (9)                             256                                  1,1                                          0,7                                                          3

 

BNG (10)                           183                                  0,8                                          0,5                                                          2

 

CC (11)                              144                                  0,6                                          0,4                                                          2

 

COMPROMIS-Q (12)         125                                 0,5                                           0,35                                                        1

 

FAC (13)                              99                                  0,4                                           0,3                                                          1

 

GBAI (14)                             42                                  0,2                                          0,14                                                        1

 

Weitere 13 Parteien/Listen erhielten zusammen 792 600 Stimmen, aber kein Mandat.

 

Einige "Ungereimtheiten" des Wahlergebnisses fallen sofort ins Auge. So erhält z.B. CiU mit 1,014 Millionen Stimmen 16 Mandate, die IU mit 1,68 Millionen Stimmen nur 11. Anderes Beispiel: Die UPyD erhielt 1,14 Millionen Stimmen und 5 Mandate, dagegen die EAJ-PNV mit 0,32 Millionen Stimmen ebenfalls 5 Mandate.

 

Die Verfälschung kommt dadurch zustande, dass zwar für ganz Spanien "im Prinzip" nach dem Verhältniswahlrecht gewählt wird - aber die Stimmen pro Autonomie (vergleichbar etwa mit den deutschen Bundesländern) ausgezählt werden. Dadurch erhalten die flächendeckend organisierten grossen Parteien und stimmenstarke Regionalparteien im Verhältnis zu ihrer Gesamt-Stimmenzahl unverhältnismässig viele Mandate, während kleinere gesamtstaatlich kandidierende Parteien und kleinere Regionalparteien unverhältnismässig wenige Mandate erhalten. So repräsentiert ein Abgeordneter der PP durchschnittlich gut 47 000 Wähler, während z. B. ein Abgeordneter der IU durchschnittlich fast 153 000 Wähler repräsentiert, also mehr als das Dreifache. So erhielt z. B. die EQU0 fast 216 000 Stimmen, aber kein Mandat, während z.B. GBAI mit gut 42 000 Stimmen 1 Mandat erhielt.

 

Das "kleine technische Detail", dass die Stimmen pro Autonomie ausgezählt werden, bewirkt, dass die Stimmen sehr unterschiedliches "Gewicht" haben und das tatsächliche Abstimmungsergebnis erheblich verfälscht wird. Nach dem wirklichen Stimmergebnis sähe die Zusammensetzung des Parlaments ziemlich anders aus. Bei gleicher Gewichtung aller Stimmen ( "Ein Mensch - eine Stimme) hätte sich folgende Mandatsverteilung ergeben (in Klammern die tatsächliche Mandatsverteilung):

 

PP          156 (186)

 

PSOE     109 (110)

 

CiU           15 (16)

 

IU              24 (11)

 

AMAUIR      5 (7)

 

UPyD        16 (5)

 

EAJ-PNV    5 (5)

 

ERC            4 (3)

 

BNG            3 (2)

 

CC               2 (2)

 

COMPR-Q   2 (1)

 

FAC             1 (1)

 

GBAI            1 (1)

 

EQUO          3 (0)

 

PxC              1 (0)

 

PRC             1 (0)

 

PACMA        2 (0)

 

Eb                1 (0)

 

PA                1 (0)

 

Im Ergebnis des wahlverfälschenden Wahlrechts erhielt die PP mit 44,6 % der Wählerstimmen und 30 % der Wahlberechtigten 53 % der Wahlmandate. Sie repräsentiert nicht mehr als 30 % der Spanierinnen und Spanier, die ältera ls 18 Jahre sind, also weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten, hat aber im Parlament eine satte "absolute Mehrheit". Bei einem nicht verfälschenden Wahlrecht könnte die PP nicht allein regieren, und es wären auch andere Regierungskoalitionen unter Ausschluss der PP möglich. - Die Medienbotschaft, Spanien habe mit absoluter Mehrheit schwarz gewählt, ist eine Lüge.

 

Spanien ist keine Ausnahme. In Deutschland z. B. wird die Verfälschung des Wählerwillens über die Mischung von Persönlichkeits- und Verhaältniswahl und die 5 %-Klausel erreicht. Die angeblich so demokratischen bürgerlichen Demokratien, die so gerne Wahlbeobachter in andere Länder schicken, die im Verdacht stehen, nicht "sauber demokratisch" zu sein und daher einer Beaufsichtigung bedürfen, haben so gut wie alle keine Regierung, die dem wirklichen Volkswillen entsprechen würde. Wenn es um Demokratie ginge, hätten sie genug zu tun, um im eigenen Land demokratischere Verhältnisse herzustellen. Das ist "von oben" aber mit hundertprozentiger Sicherheit nicht zu erwarten. 

 

Das Ergebnis der spanischen Wahlen wird als Rechtsruck interpretiert, auch von kritischen Medien. Was die Sitzverteilung imParlament betrifft, stimmt das ja auch. Was das Wahlverhalten betrifft, stimmt es so nicht. Die PP hat gerade einmal   560 000 Stimmen dazugewonnen. Das kann man nicht wirklich einen Rechtsruck nennen. Die IU hat z. B. mehr dazugewonnen - 710 000 Stimmen, aber niemand spricht von einem Linksruck (was allerdings auch nicht angemessen wäre). In Wirklichkeit ist der vermeintliche Rechtsruck Resultat des manipulativen Wahlrechts.

 

Auffällig - aber in demMedien überhaupt nicht erwähnt - ist die Zunahme der Wählerzahlen für kleinere und kleinste Parteien/Listen mit oft regionalem Charakter. Sie haben die Zahl der Sitze gegenüber 2008 so gut wie verdoppelt - von 27 auf 53. Dazu kommen noch die Stimmen für diejenigen Parteien/Listen, die kein Mandat erhalten haben - immerhin 

793 000, die überthaupt keine Vetretung haben, aber mehr als den Zugewinn der PP ausmachen.

 

Bemerkenswert finde ich noch, dass faschistische Parteien nach wie vor keine Chance haben. Die Spanier erweisen sichauch in der tiefen Krise als resistent gegen diese Rattenfänger.

 

Ausblick: Der Triumpf der PP wird bald verflogen sein. Sie hat sich die Regierung gekrallt und wird daran festhalten, so lange es geht. Aber ihre Beliebtheit wird in einem halben Jahr dahin sein, weil sie den rigorosen politischen Kurs der PSOE-Sozialdemokraten gegen die "kleinen Leute" noch verschärfen wird und diese das schlicht am Geldbeutel und Massen an ihrer immer verzweifelter werdenden Lebenslage spüren werden. Die Grossbourgeoisie hat die Sozialdemokratie politisch verbraucht. Jetzt verbraucht sie ihre Lieblingspartei PP. Eine weitere Reserve hat sie nicht, jedenfalls keine bürgerlich-demokratische.

______

 

(1) eine in Spanien häufige Art der "aktiven Wahlenthaltung". Der Stimmzettel wird abgegeben, aber nichts angekreuzt.

 

(2) Volkspartei. Gegründet von "gewendeten" Franco-Faschisten; vergleichbar mit CDU/CSU-FDP

 

(3) Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens. Vergleichbar mit der SPD

 

(4) Konvergenz und Union. "Gemässigt" regional-nationalistische grossbürgerliche Partei in Katalonien

 

(5) Vereinigte Linke/Die Grünen. Links-Grüne Bündnisorganisation mit starkem Gewicht der Kommnisten (PCE)

 

(6) Baskische independistische Linke

 

(7) Rechte Abspaltung von der PSOE

 

(8) Grossbürgerliche "gemäassigt" regional-nationalistische baskische Partei

 

(9) Kleinbürgerliche linke independistische Partei in Katalonien

 

(10) Kleinbürgerliche regional-nationalistische Partei in Galizien

 

(11) Rechte/liberale Regionalpertei auf den Kanarischen Inseln

 

(12)  weiss ich nicht

 

(13) weiss ich nicht

 

(14) Linke baskisch-nationalistische Partei in Navarra

 

Zahlen nach http://electionresources.org/es/congreso.php?election=2011 und el pais v. 21.11.2011 

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