Erstaunlich unterschiedliche Grade der tiefen Betroffenheit

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Erinnern Sie sich noch, wie die ganze zivilisierte Welt Kopf stand, weil die Wahlen im Iran angeblich gefaelscht worden sind ? Weg mit dem undemokratischen Despoten-Regime ! Freiheit ! Kundgebungen von Hintertupfing bis Los Angeles. Das Internet lief heiss von all der Empoerung, die sich Luft machen wollte.

Vor ein paar Wochen nun waren in Afghanistan ... nun ja, Wahlen. Bald wurde ruchbar, dass es massive Faelschungen gab, 800 Wahllokale erst gar nicht geoeffnet wurden, aus denen jedoch erstaunlich viele Stimmen fuer Karzai kamen. Heute verkuendete Karzais Wahlkommission nun das "Ergebnis": 38,5 % Wahlbeteiligung (im Iran ueber 70 %), gut 54 % fuer Karzai. Sogar die EU-Beobachter sagen, dass von weniger als 5 Millionen angeblich abgegebener Stimmen 1,5 Millionen gefaelscht oder mindestens zweifelhaft sind, davon 1,2 Millionen Stimmen fuer Karzai und 300 000 Stimmen fuer den Reserve-Liebling des Westens Abdhulla Abdhulla. - Wenn man Wahlen irgend als Farce bezeichnen darf, gilt das wohl fuer diese afghanischen Wahlen. Sie sind nicht repraesentativ - ohne die 1,5 Millionen "zweifelhaften" Stimmen laege die Beteiligung unter 25 % - und sie sind in einem Ausmass gefaelscht, dass das Ergebnis einfach laecherlich ist.

Wo bleibt denn der planetare Aufschrei ? Warum wird denn nicht getwittert auf Teufel komm raus ? Warum gibt denn weder der Michel in Hintertupfing noch der Kevin in LA empoert kund, dass Karzai zuruecktreten muesse und ein Despot sei ?

Ich will die Fragen gar nicht beantworten. Aber vielleicht ist das ein Merkposten fuer die naechste planetare demokratische Aufregung.
 

Veröffentlicht in Merkwuerdiges

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S
Was die geringe Aufregung der Afhanen betrifft, hast Du wohl recht. Wer regt sich schon ueber einen Buergermeister von Kabul bei Tageslicht auf, der noch dazu bloss der Hausmeister der Aufsichtsmaechte ist. Vermutlich ist ausserdem Aufregung schneller toedlich als z.B im Iran.Ich hatte mehr die westliche Gelassenheit im Auge. Wo es doch um die hoeheren Werte geht, die die ganze Welt zu ehren hat, bei Strafe von Flaechenbombardements im Weigerungsfall, waere schon mehr Aufregung zu erwarten. Zweitens meine ich aus der Abwesenheit von Twitterfluten etc im Fall des afghanischen Wahlbetrugs schliessen zu koennen, dass es mit der sozusagen Authenzitaet des Publikumsprotests im Westen im Fall des Iran nicht weit her war, und dass da wohl gewisse Demokratiespezialsten massiv nachgeholfen haben, um die noetige Stimmung zu erzeugen.Wie auch immer - es ist hanebuechen, sich ueber den Iran aufzuregen und jetzt ueber Afghanistan nicht.
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H
Ich denke, dass es keinen "Aufschrei" im Westen gibt, liegt einfach daran, dass sich offensichtlich in Afghanistan keiner richtig darüber aufregt, erstens weil die Wahlentscheidung in der Regel sowieso vom Klanchef getroffen wird, und zweitens nur ca. 32 % der Bevölkerung überhaupt an der Wahl teilgenommen haben. Wenn es in Afhanistan eine Demokratie geben sollte, dann höchstens eine Klandemokratie, d.h. alles in allem ein paar hundert Klans machen unter sich aus, wer Präsident wird. Und da der sowieso eigentlich nur in Kabul etwas zu sagen hat, hält sich die Aufregung in den Provinzen in Grenzen. Sauer sind die Klanchefs höchstens dann, wenn sie nicht zur näheren Entourage Karsais oder eines anderen Präsidenten gehören, der sie alimentiert und ihnen Vorteile verschafft.
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