Zur Lage in Spanien vor dem Generalstreik

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

 

Der folgende Text erscheint in der Herbstausgabe der Arbeiterstimme:

 

 

Für einen sozialen Ausweg aus der Krise kämpfen ?

"Die PSOE will eine neoliberale Politik ohne Vorbehalte durchsetzen, mit der die Krisenfolgen auf die Schwächsten abgewälzt werden, während die Banken und grossen Unternehmen ihre Profite behalten," - So schätzt die Kommunistische Partei Spaniens den Kurs der Zapatero-Regierung ein. Die PCE appelliert an die IU (Vereinigte Linke), auf eine allgemeine Mobilisierung hinzuarbeiten. Die IU sei die einzige Organisation, die dazu in der Lage ist. Das war der Ausgangspunkt im Frühjahr. Mittlerweile ist der Sommer vergangen. Was hat sich bewegt ?

 

Zögerliche Mobilisierung

 

Die beiden grossen Gewerkschaftsbünde, die Comisiones Obreras und die UGT, gingen die Mobiliserung zögerlich an. Sie setzten und setzen immer noch auf Verhandlungen mit Regierung und Unternehmerverbänden. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Zapatero, der seine zweite Amtszeit mit dem Versprechen begonnen hatte, mit seiner Regierung werde es keine Verschlechterung fuer die Lohnabhängigen und Renter geben, hat die Hoffnungen auf ihn aber inzwischen gründlich enttäuscht. Sein "Anti-Krisen"-Programm unterscheidet sich nicht vom deutschen oder französischen: Schonung und sogar Paeppelung von Banken und Konzernen, weniger zum Leben fuer die Arbeitenden und Alten. Waehrend sich die PSOE - Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens - gelegentlich noch mit Arbeiterbewegungs-Symbolik drapiert - bei manchem Treffen wird noch die Internationale gesungen und die Faust gehoben - enthält ihre wirkliche Politik keine andere Substanz als die einer SPD.

Äusserlich ist im Sommer nicht viel passiert. Die Hoffnung, dass die "Sozialpartnerschaft" doch noch nicht zu Ende sei, ist aber deutlich schwaecher geworden. Diese Hoffnung war von Anfang der Krise an mit der Angst gepaart, ein entschiedenes Eintreten der Lohnabhängigen für ihre Interessen könnten einen Aufschwung gefährden. Der Generalstreik im Öffentlichen Dienst vom 8. Juni war noch von diesem Mobilisierungshemmnis beeinflusst. Er wurde in den verschiedenen Regionen in verschiedenem Ausmass befolgt, im Durchschnitt zu vielleicht 70 Prozent.

Die Hoffnungen schwinden, der Zorn - und bei vielen die Verzweiflung - wachsen, aber die Angst bleibt. Dafür, was den Ausschlag gibt, wird der für den 29. September angesetzte gesamtspanische eintägige Generalstreik eine Nagelprobe. - Kämpfen ? Oder resignieren ?

Die Zögerlichkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Termin fuer einen allgemeinen 24stuendigen Generalstreik aller Branchen so spät, eben auf den 29. September gelegt wurde. Kleinere Gewerkschaften hatten den 29. Juni verlangt. Ende September ist die Tourismus-Saison so gut wie zu Ende. Die meisten Beschäftigten in dieser grossen Branche koennen dann schon nicht mehr streiken, weil sie schon in der Winter-Arbeitslosigkeit sind.

 

Zur Lage der Arbeiterklasse

 

Die offizielle Arbeitslosenzahl verharrt bei zwanzig Prozent. Die Statistiker lügen aber. Grosse Kollektive wie die z.B. die "Autonomos", von denen um die 350 000 arbeitslos sind, werden nicht gezählt. Massen von Arbeitsimmigranten sind in ihre Heimatländer zurueckgekehrt; - in einigen Meldungen ist von 1,8 Millionen die Rede.

Zwei Drittel der Jobs sind zeitlich befristet oder saisonal. Von den Jugendlichen unter 25 Jahren sind 40 % arbeitslos. Ebenfalls 40 % der Beschäftigten unter 35 Jahren leben noch im elterlichen Haushalt, weil es schwer ist, mit einem Monatslohn von 700 oder 900 Euro einen eigenen Hausstand zu gründen.

Zu diesen schlechten Ausgangsbedingungen sollen jetzt nach dem Willen der sozialdemokratischen Regierung weitere Verschlechterungen kommen. Die neueste Arbeitsmarktreform erleichtert und verbilligt Entlassungen und begünstigt die weitere Ausbreitung der Leiharbeit. Reguläre Arbeitsverträge werden in Richtung Zeitverträge ausgehoehlt, Tarifverträge entwertet und damit faktisch die Tarifautonomie mit unternehmerfreundlichen staatlichen Regelungen beschnitten. Das Renteneintrittsalter soll um zwei Jahre erhöht werden, was praktisch eine Rentenkürzung bedeutet. Die Mehrwertsteuer soll um 2 oder sogar 4 % erhoeht werden.

Der US-Nobelpreistraeger Krugman sagte, in Spanien gehe es um eine Absenkung des Lohnniveaus um 20 bis 30 Prozent. Das ist die Dimension, um die es geht - und nicht nur in Spanien.

 

Deutsches Diktat

 

Die neuesten "Anti"-Krisen-Massnahmen der Zapatero-Regierung folgen den deutschen Vorgaben. Das ist der Preis, der für die Garantiezusagen für faule Kredite in Spanien zu zahlen ist. Im Unterschied zu Deutschland kann Spanien aber die Drosselung des Binnenmarkts infolge der Einschränkung der Massenkaufkraft nicht einmal mit verstärkten Exporten wenigstens zum Teil kompensieren. Spanien hat nicht, wie Deutschland, einen riesigen und möglicherweise noch ausbaubaren Zahlungsbilanzüberschuss mit dem Ausland, sondern ein Defizit, das schon vor Ausbruch der Krise besorgniserregend hoch war. Das Kaputtsparen schlaegt damit in Spanien noch viel brutaler auf die Konjunktur durch.

 

Wie geht es weiter ?

 

Die sozialdemokratische Regierung hat keine eigene Parlamentsmehrheit und hängt an einem seidenen Faden. Ihre naechsten Hürden sind der Gesetzentwurf zur Arbeitsmarktreform und das Budget fuer 2009. Neuwahlen noch in diesem Jahr sind nicht ausgeschlossen.

Die Stimmung unter den Lohnabhängigen und bei den "kleinen Leuten" allgemein ist ähnlich wie in Deutschland. Es gibt viel Furcht und Verzweiflung, aber auch Zorn. Dicht unter der Oberfläche brodelt es. Wenn das ausbricht, koennte sich die politische Lage schnell ändern. Die spanische Arbeiterklasse hat eine kämpferische Tradition, und dies nicht nur in ferner Vergangenheit. Wenn sie kämpfen, werden die spanischen Arbeiter und Angestellten hart kämpfen.

Centella, der neue Generalsekretär der spanischen KP (der PCE), fasst die Ziele, auf die sich eine Bewegung der Arbeitenden richten soll, so zusammen:

- Vollbeschäftigung als Leitlinie der Wirtschaftspolitik, Schaffung eines starken öffentlichen Sektors

- Erweiterung der sozialen Rechte und Erhöhung der Fonds für Sozialpolitik

- Beteiligung der Beschäftigten an der Planung in den Betrieben und demokratische Kontrolle

- Steuerreform, die das Grosskapital stärker belastet und mit der Schattenwirtschaft und der Steuerhinterziehung Schluss macht

- Umweltschutz und eine andere Energiepolitik

"Das Wichtige ist jetzt für die Linke zu zeigen, dass es eine realisierbare Alternative gibt. Und dass ... es möglich und notwendig ist, das System zu ändern. ... Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sondern es ist möglich, sie hier und jetzt zu schaffen."

 

Die spanische Arbeiterklasse muss jetzt entscheiden. Sie hat die Wahl, die Krise auf ihre Schultern zu nehmen. Das ist die Wahl der PSOE, der rechten PP und der Grossbanken und Konzerne. Oder sie kann aufstehen und kämpfen. Das ist die Wahl, die die Kommunisten vorschlagen.

 

 

 

 Sepp Aigner

 September 2010

 

 

 

 

Veröffentlicht in Spanien

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A
<br /> <br /> In Griechenland, Spanien, Frankreich und anderswo werden irgendwann die Arbeitenden die Rolle ihrer Gewerkschaften kritisch in Frage stellen. Erhaltung des "status quo" um jeden Preis ist einfach<br /> ein bisschen wenig in diesen Zeiten für Arbeitervertreter die diesen Namen verdienen, oder?<br /> <br /> <br /> <br />
Antworten
S
<br /> <br /> "Erhaltung des status quo" - wenn sie wenigstens das ernsthaft versuchen würden. Allein dazu bräuchte es ja schon gewaltige Kämpfe, weil das gleichbedeutend wäre damit, die Grundrichtung der<br /> Politik zu brechen und umzukehren. Der Schlüssel liegt aber m.E. bei den Beschäftigten selber. Wer meint, ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft gehe es auch, und wer als Mitglied meint, die<br /> Gewerkschaft sei nicht eine Selbsthilfeorganisation, sondern eine Art ADAC, der kriegt Hubers und Sommers als Vorsitzende, und eine entsprechende CDU/SPD-Gewerkschaftspolitik.<br /> <br /> <br /> Das gilt auch für Länder wie Frankreich, Griechenland oder Spanien. Dort gibt es zwar immerhin einen radikalen Flügel der Arbeiterbewegung, der eine gewisse Stärke hat, aber dabei darf man nicht<br /> übersehen, dass der grössere Teil der Beschäftigten seine Hoffnungen immer noch auf die Sozialdemokraten oder Schlimmeres richtet.<br /> <br /> <br /> <br />