Linkspartei: anders als die anderen ?

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

In der deutschen "Zuschauer-Demokratie" ist es praktisch Allgemeingut, dass die politischen Parteien meistens so ziemlich genau das Gegenteil von dem tun, was sie im "Wahlkampf" versprechen. Das ist so "selbstverstaendlich", dass ein gewisser Muentefering sogar einmal gemeint hat, es sei unfair, seine Partei an ihren Wahlversprechen zu messen.

 

Die Anhaenger der Linkspartei erhoffen sich, bei der Partei ihrer Wahl sei das anders. Die Wahlerfolge dieser Partei haengen nicht zuletzt an ihrem Image, dass es hier endlich eine Partei gebe, die auch tut, was sie sagt, die ehrlich ist und tatsaechlich fuer die Anliegen und Interessen derer eintritt, die sie waehlen. Wie wichtig das ist, kommt darin zum Ausdruck, dass es im neuen Programmentwurf der PdL gleich im zweiten Satz heisst: "Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wuenschen der Wirtschaftsmaechtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind."

 

Aber wovon haengt es ab, dass die Linkspartei nicht wie die anderen Parteien ist oder es mit der Zeit wird ? Einfach von der hoeheren Moral ihrer Mandatare ?

 

Manfred Sohn, Ko-Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im niedersaechsischen Landtag, hat sich in einem in der jungen welt erschienenen Artikel darueber Gedanken gemacht. Er sucht das "Anders-Sein" nicht in der Moral, sondern in den wirklichen Beziehungen zwischen seiner Partei und ihren Anhaengern. Bleiben diese hauptsaechlich auf das Malen von Kreuzchen auf Stimmzetteln beschraenkt, wird die Linkspartei auf Dauer nicht "anders als die anderen" bleiben koennen. - Das ist der Kern der Sache.

 

Hier der Text in junge welt:

 

31.08.2010

Anders als die anderen

Standpunkt. Die Linkspartei muß Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen. Zur Bedeutung der Betriebs-, Kommunal- und Landespolitik für die Programmdiskussion

Von Manfred Sohn
 
Dreh- und Angelpunkt der programmatischen Debatte in Die Linke sollte nicht etwa die Bundesregierungsbeteiligung im Jahr 2013 sein, sondern die Herausforderung, ihre Politik so zu gestalten, »daß die Leute Geschmack und Lust an weiteren Veränderungen gewinnen«, um einmal den Herausgeberkreis der Marxistischen Blätter zu zitieren. Das Wörtchen »weitere« setzt aber logischerweise schon eine vorausgehende Veränderung der bestehenden Verhältnisse voraus, sozusagen eine Initialzündung. Von »weiteren« Veränderungen kann also erst dann die Rede sein, wenn es seit der tiefen Enttäuschung der Linken über das Versagen von SPD und Grünen in der Regierung überhaupt in diesem Land Veränderungen gegeben hätte, die massenhaft zu der Überzeugung geführt hätten: »Na bitte, wir können dieses Land zum Besseren verändern.« »Weitere« erzeugt in diesem Kontext die Vorstellung, es gehe darum, die bereits erfolgte Initialzündung für eine Wende zum demokratischen und sozialen Fortschritt auszubauen. Das ist gerade nicht der Fall. Es geht vielmehr darum, diesen ersten Anstoß zu entfalten. Erst danach und nach ersten positiven Folgeerscheinungen bekommt die Debatte um eine Regierungsbeteiligung, die von Teilen der Linkspartei strategisch geführt wird, einen wirklichen Sinn.
Bevölkerung mobilisieren
In der Linken ist zu Recht beklagt worden, daß es zwar in den letzten Jahren gelungen sei, eine Reihe an Marx und Luxemburg orientierter Menschen in die Parlamente zu bringen, daß aber die Entfaltung linken außerparlamentarischen Drucks in mindestens demselben Maße mit diesem Positionsgewinn nicht Schritt gehalten hat. Der Sozialwissenschaftler Gerhard Armanski zum Beispiel übertreibt, wenn er im Neuen Deutschland vom 26. Juli urteilt: »Der postulierte Druck außerparlamentarischer Bewegungen auf linke Parlamentarier ist nicht zu sehen. Diese agieren weitgehend allein im parlamentarischen Raum (…).« Wer solche Positionen vertritt, kann weder bei den Demonstrationen der 30000 überwiegend jungen Menschen in und um Heiligendamm gewesen sein noch bei der großartigen, 120000 Menschen mobilisierenden Anti-AKW-Menschenkette von Brunsbüttel bis Krümmel – von der Blockade gegen Nazis in Dresden ganz zu schweigen. Der Druck ist also für jeden zu sehen; er ist aber zu schwach, um eine wirklich andere Politik durchzusetzen.

Eckart Spoo, Mitherausgeber der Zeitschrift Ossietzky, und andere haben einen solchen politischen Zustand »Zuschauerdemokratie« genannt. Zwar nimmt die Zahl der politisch aktiv Beteiligten leicht zu, aber noch mehr verharren auf der Zuschauertribüne. Deutlich wird dies bei Wahlen – zuletzt bei denen im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Dort war die Partei der Nichtwähler mit 40,7 Prozent größer als die der Wähler von SPD und CDU zusammen; diese »Volksparteien« erhielten nämlich lediglich 40,4 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten. Die darin liegende Problematik ist für jeden Anhänger bürgerlich-parlamentarischer Demokratie schon ernst genug. Zusätzlich problematisch ist, daß sich die Wahlbeteiligung proportional zum Einkommen entwickelt: Wohlhabende gehen deutlich öfter wählen als die von Lohnsenkungen, schlechten Arbeitsverhältnissen oder gar Arbeitslosigkeit Betroffenen. Das gegenwärtige Unvermögen der Linken, ihre potentiellen Unterstützer zur Wahlurne zu bringen, geht sogar noch über die Nichtwahrnehmung eines bürgerlichen Grundrechts hinaus. Auch die Beteiligung bei Bürgerbegehren läßt sehr zu wünschen übrig. So ist der Kampf für ein längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule in Hamburg vor allem deshalb verlorengegangen, weil die Beteiligung in den Villenvierteln deutlich höher war als in den Wohnsilos der abhängig Beschäftigten.

Das Organisieren von hundertausendfachem Druck außerparlamentarisch Aktiver auf jeden einzelnen parlamentarischen Akteur wird in der jetzigen Entwicklungsetappe linker Politik die entscheidende Aufgabe sein, um einerseits rechnerische linke Mehrheiten zu realpolitischen zu machen und andererseits die Zahl der konsequent auf ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem drängenden Parlamentarier zu erhöhen. Gelingt das nicht, werden nach den nächsten Bundestagswahlen Sigmar Gabriel von der SPD und Jürgen Trittin von den Grünen als Erben von Gerhard Schröder und Joseph Fischer keinen Anlaß sehen, die Koordinaten der von ihnen mit eingeleiteten Politik des Schröder-Kabinetts zu ändern. Der Linkspartei verbleibt dann nur die Hoffnung auf einen neuen Anlauf in der Opposition oder aber sie resigniert und gibt linke Einsichten um der Fleischtöpfe einer Regierungsbeteiligung willen auf. Es wird daher keine Öffnung nach links und damit auch keine Wende zum Frieden und zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Fortschritt geben, ohne die Frage der permanenten Mobilisierung Hunderttausender für eine solche Politik zu lösen.
Regierung, Opposition, Widerstand
 
Es ist eine linksradikale Kinderei zu glauben, eine wachsende Kampfbereitschaft in der Bevölkerung ließe sich nur dann erreichen, wenn sich die linken Kräfte in der Opposition zu einer bürgerlichen Regierung befinden. Erinnert sei an Luis Corvalán, der leider am 21. Juli verstorben ist. Neben Salvador Allende und einigen anderen war er der Architekt der Unidad Popular. Die von ihr geführte Volksfrontregierung, die niemals die Illusion hatte, mit dem Wahlsieg schon die Macht errungen zu haben, hatte in den späten 60er und frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zweierlei gleichzeitig erreicht: eine Reihe sozialer Fortschritte für die Bevölkerung und gleichzeitig einen Aufschwung von Massenkämpfen, ohne die jene Regierung diese Fortschritte gegen die damals weiterhin vorhandenen Machtbastionen der Rechten – vor allem das Militär und die Medien– überhaupt nicht hätten erzwingen können. Eine der Hauptlehren der damaligen Kämpfe lautet: Es gibt kaum etwas erbarmungswürdigeres und zugleich hoffnungsloseres als eine linke Regierung ohne aktive linke Massenbewegung. Und umgekehrt: Wenn eine auf einen Systemwechsel orientierende Partei in der Lage ist, für die Ziele einer von ihr (mit)gestellten Regierung eine große Zahl von Menschen aktiv für das Eingreifen in die politischen Auseinandersetzungen zu gewinnen, vermag sie Großes zu leisten. Der Grund ist die Hoffnung, genauso wie der Grund für die gegenwärtige Zurückhaltung »unserer« Leute ihre Hoffnungslosigkeit ist. Der Kern der Erfolge der Politik der Unidad Popular war, daß es ihr gelungen war, Millionen Menschen das Gefühl zu geben, daß sie, wenn sie und die von ihnen gewählte Regierung an einem Strang ziehen, ihre Lebensverhältnisse tatsächlich zum Positiven verändern können. Erst das von den USA maßgeblich organisierte Zusammenschießen der rechtmäßig gewählten Regierung und die Ermordung ihres Präsidenten Allende und vieler anderer tapferer Männer und Frauen hat diesen Siegeszug der Unidad Popular stoppen können.

Diese Lehre kann nicht nur aus den damaligen chilenischen Verhältnissen gezogen werden. Sie ist auch die Lehre aus den Volksfrontregierungen von Sachsen und Thüringen im Jahr 1923, der Front populaire von 1935 in Frankreich oder der spanischen Frente popular ein Jahr später. Diese Machtergreifungen sind vor allem in den Schriften Antonio Gramscis theoretisch verarbeitet worden, dessen Kern­erkenntnis für unser Thema zusammengefaßt lautet: Anders als zu Zeiten der russischen Oktoberrevolution müssen sich sozialistisch orientierte Veränderungen in unserer Zeit – die in ihren Grundstrukturen eben dieselben wie zu Gramscis Zeiten sind – durch ein ganzes System von Kasematten zur Verteidigung des Kapitalismus hindurchkämpfen, bevor der qualitative Bruch – die Aufhebung des Privateigentums an den entscheidenden Produktionsmitteln – erfolgen kann. Weil dieses Herankämpfen notwendig ist, weil also diese Eroberung einer politischen Position nach der anderen vor uns liegt, ist eine Gegenüberstellung von Regierung und Opposition als vermeintliche Kardinalfrage komplett überflüssig. Sie wird auch deshalb so hartnäckig vorgetragen, weil sie von den Voraussetzungen ablenkt, die erst zu schaffen sind, bevor sich die Regierungsfrage überhaupt stellt.
Konzentration auf die Partei
Die Partei Die Linke war eine Sturzgeburt, eingeleitet durch den Versuch Schröders, 2005 durch das Vorziehen einer Bundestagswahl seine Position zu retten. Der politische Ertrag dieses mißlungenen taktischen Manövers war die Zusammenfügung von linkssozialdemokratischen Kräften, kämpferischen Gewerkschaftern, der sich formierenden Arbeitslosenbewegung und der alten, im Osten verankerten Partei des Demokratischen Sozialismus zu einer neuen politischen Formation, die seitdem mit wenigen Ausnahmen in allen bundesdeutschen Parlamenten vertreten ist. Der Aufbau dieser Fraktionen, insbesondere der inzwischen 76köpfigen Bundestagsfraktion, hat der Partei Stabilität gegeben. Sie könnten bei weiterhin guter Entwicklung der Beginn der Initialzündung für einen Aufbruch nach links sein.

Aber die Fraktionen müssen ihrer Rolle für die Entwicklung einer Bewegung für einen neuen sozialistischen Anlauf gerecht werden. Sie können einen solchen Prozeß wesentlich mit anstoßen und im weiteren Verlauf begleiten, sie sind aber systemisch nicht in der Lage, die Initialzündung allein hervorzurufen, die ja von der Stärkung außerparlamentarischer Bewegungen abhängt.

Deshalb kann es nur eine Schlußfolgerung geben: Nach der Phase der Parteigründung, die vor allem über die Etablierung von Fraktionen auf Bundestags- und Landtagsebene verlaufen ist, rückt nun die Entwicklung der Parteiorganisation in den Vordergrund. Die Partei muß also – auch um ihrer Fraktionen willen – diese aus dem Mittelpunkt der politischen Entwicklung herausnehmen und das inhaltlich orientierende, die außerparlamentarischen Kampagnen organisierende Zentrum werden, wobei die einzelne Landtags- oder die Bundestagsfraktion nur eine Nebenrolle innehaben. Michael Schlecht, Mitglied des Parteivorstandes, schreibt im Neuen Deutschland vom 17./18. Juli völlig richtig: »Ob Merkels Angriff abgewehrt werden kann, ob sogar ein Politikwechsel möglich ist, entscheidet sich am wenigsten im Parlament. Widerstand in den Betrieben und auf der Straße ist angesagt. Erst wenn die Straße kocht, erst wenn im Herbst in vielen Städten Hunderttausende aufstehen, dann verändert sich das politische Klima.«

An dieser Stelle aber setzt innerhalb der Linkspartei das Prinzip Hoffnung ein. Denn es gibt keine Strukturen, die dieses Ziel bewirken könnten. Es gibt noch nicht einmal ein Dutzend der dafür notwendigen Hunderte oder Tausende Betriebsgruppen, die darauf hinwirken, daß aus den Betrieben heraus nach entsprechenden Beschlüssen in Vertrauenskörperleitungen und auf Personal- oder Belegschaftsversammlungen die Beschäftigten vor die Tore ziehen. Es gibt im Osten nicht mehr und im Westen noch nicht die Dichte von Stadtteilgruppen, die in der Lage wären, eine gleiche Mobilisierung auch ohne Unterstützung bürgerlicher Medien durch Kärrnerarbeit von Tür zu Tür zu leisten. Es gibt – anders als bei den zunehmend von Jugendlichen geprägten Protestbewegungen – nicht die elektronischen Netzwerke, die so dicht geknüpft und durch persönliches Vertrauen gestärkt sind, daß sie in der Lage wären, auch ohne gedrucktes Material Hunderttausende in Bewegung zu setzen.

Es gibt, mit einem Wort, noch gar keine Partei, die organisatorisch in der Lage wäre, die große Lücke zwischen der Ausgangs- und der Zielbestimmung im Programmentwurf tatsächlich zu füllen.1 Also muß diese Partei erst noch geschaffen werden. Eine solche Partei entsteht nicht durch Beschluß, sondern nur durch die Kombination einer überzeugenden Gesamtpolitik mit unermüdlicher Organisa­tionsarbeit. Daran haben neue Kommunikationstechniken im Kern nichts geändert. Eine solche Partei entsteht auch nicht binnen Monats- oder Jahresfrist. Ihr Aufbau ist keine Kampagne, sondern ein sich über mehrere Jahre und Jahrzehnte erstreckender Prozeß. Verantwortung der Parteiorganisation auf nationaler und auf Landesebene ist es vor allem, diesen Prozeß nicht dadurch zu zerstören, daß sie das Wertvollste vernichtet, das diese noch junge Partei hat: das Vertrauen von Millionen Bundesbürgern. Es muß Sorge dafür getragen werden, daß sie tatsächlich anders bleibt als die anderen, daß sie so bleibt, wie sie völlig zutreffend gleich im zweiten Satz des Programmentwurfs verspricht: »Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind.« Fehlerfreiheit in diesen Bereichen vorausgesetzt, beginnt dann die eigentlich Arbeit: der Aufbau von festen Strukturen in den Betrieben sowie in den Städten und Gemeinden unseres Landes. Deshalb muß in der vor uns liegenden Etappe die gewerkschaftliche und örtliche Arbeit in den Mittelpunkt der politischen Tätigkeit rücken.
Vertrauensgewinn vor Ort
Ein sorgfältiger Blick auf die Wahlergebnisse der Linkspartei der letzten fünf Jahre zeigt, daß auch sie von der Flüchtigkeit der Wahlerfolge nicht verschont geblieben ist. Es ist ein Irrtum zu glauben, daß wir – um einen Spruch aus der Anfangszeit der Grünen zu zitieren – auch einen Besenstiel als Kandidaten aufstellen könnten und zumindest auf kommunaler Ebene trotzdem gewählt würden. Das ist sachlich falsch und die Tatsache, daß alle Erfolge dieser Partei gegen den Widerstand der herrschenden Medien errungen werden mußten, bestätigt die Richtigkeit der Ablehnung dieses Spruchs.

Angesichts der deutschen Medienlandschaft und solange wir nicht in der Lage sind, sie zu verändern, ist die Gewinnung von Vertrauen vor Ort durch nichts zu ersetzen. Das setzt eine andere Relation zwischen Mitgliedern und Unorganisierten voraus als die von 1:1000, die wir gegenwärtig haben. Sogar bei einer Verzehnfachung der dann auch tatsächlich aktiven Mitglieder kann nicht davon gesprochen werden, daß eine Partei in der Lage wäre, auch gegen die von der politischen Gegenseite beherrschten Medien das politische Klima im Land dauerhaft zu prägen.

Die Vertrauensgewinnung kann sich nur in den Betrieben und den Kommunen vollziehen. Insofern ist es goldrichtig, wenn die aus WASG- und Gewerkschaftstraditionen kommenden Kräfte unserer Partei darauf drängen, die betriebliche Arbeit zu verstärken. Und es ist genauso richtig, wenn die aus der kommunalen Verwurzelung der PDS kommenden Kräfte darauf drängen, unserer Kommunalpolitik ein stärkeres Gewicht einzuräumen.

Die Landesebene ist zur Zeit – vor allem durch die Beteiligung an Landesregierungen in Berlin und Brandenburg sowie die Tolerierung des SPD-Grünen-Kabinetts in NRW – zu Recht am stärksten im Fokus der Frage, ob wir durch unser Handeln auf dieser Ebene Vertrauen gewinnen oder abbauen. Die niedersächsische Landtagsfraktion hat dazu einstimmig als ihren Beitrag für die Debatten in der Landespartei am 10. Mai dieses Jahres ein Papier verabschiedet, in dem es zu den Spezifika der Landesebene heißt: »Wir sagen in unserem Parteiprogramm­entwurf: Die entscheidende Ebene ist die der Bundespolitik. Die Landespolitik zeichnet sich dadurch aus, daß sie hinsichtlich ihrer realen Spielräume objektiv eher bei der Begrenztheit der Kommunalpolitik angesiedelt ist als bei der Gestaltungsqualität der Bundespolitik, subjektiv – im Bewußtsein auch unserer eigenen Wähler – aber große Gestaltungsspielräume, also ›Macht‹ hat. Die Landesebene ist daher strategisch mit Blick auf die Bundespolitik die für das kommende Jahrzehnt entscheidende Ebene. Hier nämlich bildet sich im Bewußtsein von Millionen Bundesbürgerinnen und -bürgern entweder der Satz ›Die sind doch so wie die anderen‹ oder der Satz ›Die sind wirklich anders als die anderen!‹. Diese Überzeugungen aber entscheiden die Frage, ob wir dieses Land verändern können oder ob wir versagen, den Weg von SPD und Grünen gehen und möglicherweise der wachsenden Verzweiflung im Lande den Weg nach rechts öffnen.«

Diese Tatsache erklärt die Nervosität, die die gesamte Partei – und viele ihrer Unterstützer – bei dem Agieren auf den Landesebenen erfaßt hat. Der auf Initiative von Sahra Wagenknecht zustande gekommene Beschluß, nach dem die neugewählten Abgeordneten »sämtliche Vorschläge ablehnen« sollen, »die Privatisierung, Personal- oder Sozialabbau bedeuten und insbesondere jeden Haushalt ablehnen« sollen, »der Einsparungen zu Lasten der Mehrheit der Menschen oder sozial Benachteiligter beinhaltet«, ist ohne Zweifel ein wichtiges Signal. Das Erfolgskriterium einer solchen Haltelinienpolitik ist aber letztlich, ob es in NRW gelingt, außerparlamentarische Bewegungen zu initiieren, die auf SPD und Grüne einen unabweisbaren Druck ausüben, so daß substantiell eine andere Politik machbar wird, als beide Parteien in der Ära Schröder/Fischer vorgelegt hatten. Diese Arbeit wiederum kann nicht die Fraktion leisten. Sie kann, wenn überhaupt, nur von der Landespartei geleistet werden. Und diese Konstellation ist in allen Bundesländern grundsätzlich dieselbe.

Anmerkung

1 Der erste Entwurf für ein Programm der Partei Die Linke hat einen Ausgangs- und einen Zielpunkt, die zusammen eine Klammer um alle Teile der nach wie vor zersplitterten Linken in Deutschland bilden sollten: Als Ausgangspunkt aller unserer Bestrebungen wird im Entwurf definiert, daß wir in der »schwersten kapitalistischen Wirtschaftskrise seit 1929« leben. Zur Überwindung dieser tiefen Krise wird nach Nennung konkreter Zielpunkte das grundlegende Ziel genannt: »Um das zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.« Wenn sich Ausgangsanalyse und Zielbestimmung nicht ändern, wird dieses Programm das einer systemüberwindenden Partei.

 

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Manfred Sohn gehoerte in den 1990er Jahren der Parteifuehrung der DKP an. 2002 trat er in die PDS ein.

 

Quelle: http://www.jungewelt.de/aktuell/

 

 

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