Linkspartei: anders als die anderen ?
In der deutschen "Zuschauer-Demokratie" ist es praktisch Allgemeingut, dass die politischen Parteien meistens so ziemlich genau das Gegenteil von dem tun, was sie im "Wahlkampf" versprechen. Das ist so "selbstverstaendlich", dass ein gewisser Muentefering sogar einmal gemeint hat, es sei unfair, seine Partei an ihren Wahlversprechen zu messen.
Die Anhaenger der Linkspartei erhoffen sich, bei der Partei ihrer Wahl sei das anders. Die Wahlerfolge dieser Partei haengen nicht zuletzt an ihrem Image, dass es hier endlich eine Partei gebe, die auch tut, was sie sagt, die ehrlich ist und tatsaechlich fuer die Anliegen und Interessen derer eintritt, die sie waehlen. Wie wichtig das ist, kommt darin zum Ausdruck, dass es im neuen Programmentwurf der PdL gleich im zweiten Satz heisst: "Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wuenschen der Wirtschaftsmaechtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind."
Aber wovon haengt es ab, dass die Linkspartei nicht wie die anderen Parteien ist oder es mit der Zeit wird ? Einfach von der hoeheren Moral ihrer Mandatare ?
Manfred Sohn, Ko-Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im niedersaechsischen Landtag, hat sich in einem in der jungen welt erschienenen Artikel darueber Gedanken gemacht. Er sucht das "Anders-Sein" nicht in der Moral, sondern in den wirklichen Beziehungen zwischen seiner Partei und ihren Anhaengern. Bleiben diese hauptsaechlich auf das Malen von Kreuzchen auf Stimmzetteln beschraenkt, wird die Linkspartei auf Dauer nicht "anders als die anderen" bleiben koennen. - Das ist der Kern der Sache.
Hier der Text in junge welt:
Standpunkt. Die Linkspartei muß Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen. Zur Bedeutung der Betriebs-, Kommunal- und Landespolitik für die Programmdiskussion
Von Manfred SohnEckart Spoo, Mitherausgeber der Zeitschrift Ossietzky, und andere haben einen solchen politischen Zustand »Zuschauerdemokratie« genannt. Zwar nimmt die Zahl der politisch aktiv Beteiligten leicht zu, aber noch mehr verharren auf der Zuschauertribüne. Deutlich wird dies bei Wahlen – zuletzt bei denen im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW. Dort war die Partei der Nichtwähler mit 40,7 Prozent größer als die der Wähler von SPD und CDU zusammen; diese »Volksparteien« erhielten nämlich lediglich 40,4 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten. Die darin liegende Problematik ist für jeden Anhänger bürgerlich-parlamentarischer Demokratie schon ernst genug. Zusätzlich problematisch ist, daß sich die Wahlbeteiligung proportional zum Einkommen entwickelt: Wohlhabende gehen deutlich öfter wählen als die von Lohnsenkungen, schlechten Arbeitsverhältnissen oder gar Arbeitslosigkeit Betroffenen. Das gegenwärtige Unvermögen der Linken, ihre potentiellen Unterstützer zur Wahlurne zu bringen, geht sogar noch über die Nichtwahrnehmung eines bürgerlichen Grundrechts hinaus. Auch die Beteiligung bei Bürgerbegehren läßt sehr zu wünschen übrig. So ist der Kampf für ein längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule in Hamburg vor allem deshalb verlorengegangen, weil die Beteiligung in den Villenvierteln deutlich höher war als in den Wohnsilos der abhängig Beschäftigten.
Das Organisieren von hundertausendfachem Druck außerparlamentarisch Aktiver auf jeden einzelnen parlamentarischen Akteur wird in der jetzigen Entwicklungsetappe linker Politik die entscheidende Aufgabe sein, um einerseits rechnerische linke Mehrheiten zu realpolitischen zu machen und andererseits die Zahl der konsequent auf ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem drängenden Parlamentarier zu erhöhen. Gelingt das nicht, werden nach den nächsten Bundestagswahlen Sigmar Gabriel von der SPD und Jürgen Trittin von den Grünen als Erben von Gerhard Schröder und Joseph Fischer keinen Anlaß sehen, die Koordinaten der von ihnen mit eingeleiteten Politik des Schröder-Kabinetts zu ändern. Der Linkspartei verbleibt dann nur die Hoffnung auf einen neuen Anlauf in der Opposition oder aber sie resigniert und gibt linke Einsichten um der Fleischtöpfe einer Regierungsbeteiligung willen auf. Es wird daher keine Öffnung nach links und damit auch keine Wende zum Frieden und zu einem demokratischen, sozialen und ökologischen Fortschritt geben, ohne die Frage der permanenten Mobilisierung Hunderttausender für eine solche Politik zu lösen.
Diese Lehre kann nicht nur aus den damaligen chilenischen Verhältnissen gezogen werden. Sie ist auch die Lehre aus den Volksfrontregierungen von Sachsen und Thüringen im Jahr 1923, der Front populaire von 1935 in Frankreich oder der spanischen Frente popular ein Jahr später. Diese Machtergreifungen sind vor allem in den Schriften Antonio Gramscis theoretisch verarbeitet worden, dessen Kernerkenntnis für unser Thema zusammengefaßt lautet: Anders als zu Zeiten der russischen Oktoberrevolution müssen sich sozialistisch orientierte Veränderungen in unserer Zeit – die in ihren Grundstrukturen eben dieselben wie zu Gramscis Zeiten sind – durch ein ganzes System von Kasematten zur Verteidigung des Kapitalismus hindurchkämpfen, bevor der qualitative Bruch – die Aufhebung des Privateigentums an den entscheidenden Produktionsmitteln – erfolgen kann. Weil dieses Herankämpfen notwendig ist, weil also diese Eroberung einer politischen Position nach der anderen vor uns liegt, ist eine Gegenüberstellung von Regierung und Opposition als vermeintliche Kardinalfrage komplett überflüssig. Sie wird auch deshalb so hartnäckig vorgetragen, weil sie von den Voraussetzungen ablenkt, die erst zu schaffen sind, bevor sich die Regierungsfrage überhaupt stellt.
Aber die Fraktionen müssen ihrer Rolle für die Entwicklung einer Bewegung für einen neuen sozialistischen Anlauf gerecht werden. Sie können einen solchen Prozeß wesentlich mit anstoßen und im weiteren Verlauf begleiten, sie sind aber systemisch nicht in der Lage, die Initialzündung allein hervorzurufen, die ja von der Stärkung außerparlamentarischer Bewegungen abhängt.
Deshalb kann es nur eine Schlußfolgerung geben: Nach der Phase der Parteigründung, die vor allem über die Etablierung von Fraktionen auf Bundestags- und Landtagsebene verlaufen ist, rückt nun die Entwicklung der Parteiorganisation in den Vordergrund. Die Partei muß also – auch um ihrer Fraktionen willen – diese aus dem Mittelpunkt der politischen Entwicklung herausnehmen und das inhaltlich orientierende, die außerparlamentarischen Kampagnen organisierende Zentrum werden, wobei die einzelne Landtags- oder die Bundestagsfraktion nur eine Nebenrolle innehaben. Michael Schlecht, Mitglied des Parteivorstandes, schreibt im Neuen Deutschland vom 17./18. Juli völlig richtig: »Ob Merkels Angriff abgewehrt werden kann, ob sogar ein Politikwechsel möglich ist, entscheidet sich am wenigsten im Parlament. Widerstand in den Betrieben und auf der Straße ist angesagt. Erst wenn die Straße kocht, erst wenn im Herbst in vielen Städten Hunderttausende aufstehen, dann verändert sich das politische Klima.«
An dieser Stelle aber setzt innerhalb der Linkspartei das Prinzip Hoffnung ein. Denn es gibt keine Strukturen, die dieses Ziel bewirken könnten. Es gibt noch nicht einmal ein Dutzend der dafür notwendigen Hunderte oder Tausende Betriebsgruppen, die darauf hinwirken, daß aus den Betrieben heraus nach entsprechenden Beschlüssen in Vertrauenskörperleitungen und auf Personal- oder Belegschaftsversammlungen die Beschäftigten vor die Tore ziehen. Es gibt im Osten nicht mehr und im Westen noch nicht die Dichte von Stadtteilgruppen, die in der Lage wären, eine gleiche Mobilisierung auch ohne Unterstützung bürgerlicher Medien durch Kärrnerarbeit von Tür zu Tür zu leisten. Es gibt – anders als bei den zunehmend von Jugendlichen geprägten Protestbewegungen – nicht die elektronischen Netzwerke, die so dicht geknüpft und durch persönliches Vertrauen gestärkt sind, daß sie in der Lage wären, auch ohne gedrucktes Material Hunderttausende in Bewegung zu setzen.
Es gibt, mit einem Wort, noch gar keine Partei, die organisatorisch in der Lage wäre, die große Lücke zwischen der Ausgangs- und der Zielbestimmung im Programmentwurf tatsächlich zu füllen.1 Also muß diese Partei erst noch geschaffen werden. Eine solche Partei entsteht nicht durch Beschluß, sondern nur durch die Kombination einer überzeugenden Gesamtpolitik mit unermüdlicher Organisationsarbeit. Daran haben neue Kommunikationstechniken im Kern nichts geändert. Eine solche Partei entsteht auch nicht binnen Monats- oder Jahresfrist. Ihr Aufbau ist keine Kampagne, sondern ein sich über mehrere Jahre und Jahrzehnte erstreckender Prozeß. Verantwortung der Parteiorganisation auf nationaler und auf Landesebene ist es vor allem, diesen Prozeß nicht dadurch zu zerstören, daß sie das Wertvollste vernichtet, das diese noch junge Partei hat: das Vertrauen von Millionen Bundesbürgern. Es muß Sorge dafür getragen werden, daß sie tatsächlich anders bleibt als die anderen, daß sie so bleibt, wie sie völlig zutreffend gleich im zweiten Satz des Programmentwurfs verspricht: »Wir sind und werden nicht wie jene Parteien, die sich devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen und gerade deshalb kaum noch voneinander unterscheidbar sind.« Fehlerfreiheit in diesen Bereichen vorausgesetzt, beginnt dann die eigentlich Arbeit: der Aufbau von festen Strukturen in den Betrieben sowie in den Städten und Gemeinden unseres Landes. Deshalb muß in der vor uns liegenden Etappe die gewerkschaftliche und örtliche Arbeit in den Mittelpunkt der politischen Tätigkeit rücken.
Angesichts der deutschen Medienlandschaft und solange wir nicht in der Lage sind, sie zu verändern, ist die Gewinnung von Vertrauen vor Ort durch nichts zu ersetzen. Das setzt eine andere Relation zwischen Mitgliedern und Unorganisierten voraus als die von 1:1000, die wir gegenwärtig haben. Sogar bei einer Verzehnfachung der dann auch tatsächlich aktiven Mitglieder kann nicht davon gesprochen werden, daß eine Partei in der Lage wäre, auch gegen die von der politischen Gegenseite beherrschten Medien das politische Klima im Land dauerhaft zu prägen.
Die Vertrauensgewinnung kann sich nur in den Betrieben und den Kommunen vollziehen. Insofern ist es goldrichtig, wenn die aus WASG- und Gewerkschaftstraditionen kommenden Kräfte unserer Partei darauf drängen, die betriebliche Arbeit zu verstärken. Und es ist genauso richtig, wenn die aus der kommunalen Verwurzelung der PDS kommenden Kräfte darauf drängen, unserer Kommunalpolitik ein stärkeres Gewicht einzuräumen.
Die Landesebene ist zur Zeit – vor allem durch die Beteiligung an Landesregierungen in Berlin und Brandenburg sowie die Tolerierung des SPD-Grünen-Kabinetts in NRW – zu Recht am stärksten im Fokus der Frage, ob wir durch unser Handeln auf dieser Ebene Vertrauen gewinnen oder abbauen. Die niedersächsische Landtagsfraktion hat dazu einstimmig als ihren Beitrag für die Debatten in der Landespartei am 10. Mai dieses Jahres ein Papier verabschiedet, in dem es zu den Spezifika der Landesebene heißt: »Wir sagen in unserem Parteiprogrammentwurf: Die entscheidende Ebene ist die der Bundespolitik. Die Landespolitik zeichnet sich dadurch aus, daß sie hinsichtlich ihrer realen Spielräume objektiv eher bei der Begrenztheit der Kommunalpolitik angesiedelt ist als bei der Gestaltungsqualität der Bundespolitik, subjektiv – im Bewußtsein auch unserer eigenen Wähler – aber große Gestaltungsspielräume, also ›Macht‹ hat. Die Landesebene ist daher strategisch mit Blick auf die Bundespolitik die für das kommende Jahrzehnt entscheidende Ebene. Hier nämlich bildet sich im Bewußtsein von Millionen Bundesbürgerinnen und -bürgern entweder der Satz ›Die sind doch so wie die anderen‹ oder der Satz ›Die sind wirklich anders als die anderen!‹. Diese Überzeugungen aber entscheiden die Frage, ob wir dieses Land verändern können oder ob wir versagen, den Weg von SPD und Grünen gehen und möglicherweise der wachsenden Verzweiflung im Lande den Weg nach rechts öffnen.«
Diese Tatsache erklärt die Nervosität, die die gesamte Partei – und viele ihrer Unterstützer – bei dem Agieren auf den Landesebenen erfaßt hat. Der auf Initiative von Sahra Wagenknecht zustande gekommene Beschluß, nach dem die neugewählten Abgeordneten »sämtliche Vorschläge ablehnen« sollen, »die Privatisierung, Personal- oder Sozialabbau bedeuten und insbesondere jeden Haushalt ablehnen« sollen, »der Einsparungen zu Lasten der Mehrheit der Menschen oder sozial Benachteiligter beinhaltet«, ist ohne Zweifel ein wichtiges Signal. Das Erfolgskriterium einer solchen Haltelinienpolitik ist aber letztlich, ob es in NRW gelingt, außerparlamentarische Bewegungen zu initiieren, die auf SPD und Grüne einen unabweisbaren Druck ausüben, so daß substantiell eine andere Politik machbar wird, als beide Parteien in der Ära Schröder/Fischer vorgelegt hatten. Diese Arbeit wiederum kann nicht die Fraktion leisten. Sie kann, wenn überhaupt, nur von der Landespartei geleistet werden. Und diese Konstellation ist in allen Bundesländern grundsätzlich dieselbe.
1 Der erste Entwurf für ein Programm der Partei Die Linke hat einen Ausgangs- und einen Zielpunkt, die zusammen eine Klammer um alle Teile der nach wie vor zersplitterten Linken in Deutschland bilden sollten: Als Ausgangspunkt aller unserer Bestrebungen wird im Entwurf definiert, daß wir in der »schwersten kapitalistischen Wirtschaftskrise seit 1929« leben. Zur Überwindung dieser tiefen Krise wird nach Nennung konkreter Zielpunkte das grundlegende Ziel genannt: »Um das zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.« Wenn sich Ausgangsanalyse und Zielbestimmung nicht ändern, wird dieses Programm das einer systemüberwindenden Partei.
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Manfred Sohn gehoerte in den 1990er Jahren der Parteifuehrung der DKP an. 2002 trat er in die PDS ein.
Quelle: http://www.jungewelt.de/aktuell/