Netto-Edeka, das Hausrecht und das Streikrecht

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

In einer Demokratie wie der deutschen hat jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äussern,Mitglied in demokratischen Organisationen zu werden und selbstverständlich das Recht zu streiken. Die meisten Menschen, die daran glauben, dass diese Sonntagsredenideale tatsächlich existieren, glauben das bloss deshalb, weil ihre Beteiligung an der Demokratie allenfalls im Stimmkreuzchenmalen besteht, die freie Meinung vor der Glotze im eigenen Wohnzimmer oder am Stammtisch geäussert wird und die Gewerkschaften, so man sie überhaupt für nötig hält, für ein Dienstleistungsunternehmen gehalten werden, vergleichbar dem ADAC. Wer dagegen öffentlich seine Meinung kundtut und auch nur an harmlosen Gewerkschaftsaktionen teilnimmt, bei denen es um nichts geht als ein bisschen mehr Lohn oder ein wenig menschenwürdigere Arbeitsbedingungen, erfährt ziemlich schnell, dass es mit der Demokratie, ausser eben in den Sonntagsreden, nicht weit her ist. Vor allem kriegt man schnell Schwierigkeiten, wenn es um die heiligen Unternehmerinteressen geht.

 

Die Gewerlschaft verdi z. B. führte in Niedersachsen eine kleine Kampagne durch, mit der sie gegen Missstände bei Netto - einer Tochter des Edeka-Konzerns vorgeht. Anschliessend hatte sie in einer Presseerklärung Folgendes zu berichten:

 

Pressemitteilung vom ver.di Bezirk Süd-Ost-Niedersachsen (S-O-N):

Armutszeugnis: Netto fällt zu berechtigter Kritik nur Hausverbot ein

Mehr als 100 ver.di Mitglieder, Politiker/innen und Unterstützer/innen beteiligten sich heute an Protestaktionen für bessere Arbeitsbedingungen in den beiden EDEKA- Unternehmen Netto und E- Center. Dabei erdreistete sich Netto, kurzerhand „allen Gewerkschaftern“ Hausverbot zu erteilen.

Netto Beschäftigte und ver.di Kolleg/innen des E- Centers Bad Gandersheim solidarisierten sich heute in ihrem Bemühen um Tariftreue und Einhaltung der Arbeitsschutzgesetze. Denn sie sind letztlich Beschäftigte beim gleichen Konzern: der EDEKA. [...]

Auf einer Kundgebung in Bad Gandersheim erklärte der Bundestagsabgeordnete Dr. Wilhelm Prießmeyer seine Solidarität. Ebenfalls unterstützten die Ratsherren Carlo Bleichert und Jürgen Steinhoff die Forderungen nach einem Anerkennungstarifvertrag beim E- Center in Bad Gandersheim. Spontan entschied sich ein großer Teil der Kundgebung, die Beschäftigten im E-Center zu besuchen und sie zu ermutigen, ihr Engagement für würdige und sichere Arbeitsbedingungen aufrecht zu erhalten. Begleitet von Trommeln und einem Saxophon wurden daraufhin das E- Center besucht und [selbstgetextete Protest-] Lieder gesungen. Im Rahmen der aktuellen tariflichen Auseinandersetzung mit Netto über die Wiedereinsetzung des Tarifvertrages über Urlaubs- und Weihnachtsgeld zog der musikalische Protestzug in die gegenüberliegende Bad Gandersheimer Netto Filiale. Als anschließend nach Einbeck gefahren wurde, um im Rahmen des Arbeitskampfes bei Netto dort ebenfalls die Beschäftigten zu besuchen und Kund/innen über den Tarifkonflikt zu informieren, kam es zu einem für ver.di empörenden Zwischenfall: EDEKA hatte die Polizei eingeschaltet und kurzerhand „allen ver.di Leuten“ ein bundesweites Hausverbot erteilt.

„Es handelt sich um eine Protestform, die vom Bundesarbeitsgericht kürzlich als legal bezeichnet wurde, [daher] können wir diese polizeiliche Entscheidung nicht nachvollziehen“, so Katharina Wesenick. “Hier wird das Grundrecht auf Streik ausgehebelt. Die Polizei wurde in einem Tarifkonflikt instrumentalisiert und hat sich damit einseitig in den Arbeitskampf verwickeln lassen“, kritisiert Wesenick weiter. Letztlich sei es ein Armutszeugnis für Netto, „Wovor hat Netto denn Angst? Wir haben doch nur unser Grundrecht auf Meinungsfreiheit wahrgenommen. Tritt Netto nun außer den Arbeitsschutzgesetzen auch die Grundrechte mit Füßen?“ so die Beschäftigte Fatima K.

Die ver.di Kolleg/innen entschlossen sich, ihren Protest vor der Netto Filiale in Göttingen, Güterbahnhofstraße erneut zum Ausdruck zu bringen. Die ebenfalls anwesende Polizei wies die Netto –Kolleg/innen auf Anweisung des Netto Managements an, das Gelände nicht zu betreten. Dort überbrachte der Landtagsabgeordnete Patrick Humke solidarische Grüße der Landtags- und Bundestagsfraktion der LINKEN und forderte Netto öffentlich zum Dialog mit den Gewerkschafter/innen auf.

 

 

Zum Hintergrund der Geschichte schreibt ein Unterstützer der Gewerkschaftsaktion im secarts Forum http://www.secarts.org/?site=forum& :

 

Südniedersachsen: Polizei verhindert Arbeitskampfmaßnahme im Einzelhandel                        

Am 08.10.2011 fanden im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen im niedersächsischen Einzelhandel (hier sollen für Neueingestellte Urlaubs- und Weihnachtsgeld wegfallen) in Südniedersachsen Gewerkschaftsaktionen des Fachbereich 12 (Handel) von ver.di statt. Ver.di hatte einen Bus gechartert, um damit das E-Center in Bad Gandersheim sowie verschiedene Netto-Filialen im Göttinger Umland anzusteuern. An den Aktionen in Bad Ganderheim selber nahmen etwa 100 Personen teil, bei den übrigen Filialen die etwa 50 Teilnehmer der Bustour. Während in Bad Gandersheim die Aktionen wie geplant verliefen, setzte das Unternehmen andernorts Polizei ein, um die Arbeitskampfmaßnahme zu unterbinden. Der Netto-Vertriebsleiter erteilte vor Ort mündlich "allen Gewerkschaftsmitgliedern" [sic!] ein Hausverbot bei Netto, die Polizei sicherte dies ab. Der Bus wurde nachfolgend von Polizeikräften eskortiert, eine Ausübung der Arbeitskampfmaßnahmen bei anderen Filialen unterbunden.
An der Busfahrt und den Aktionen beteiligten sich, wie bei anderen Netto-Aktionen zuvor, u.a. auch Gewerkschaftskollegen, die als regionale Mandatsträger von SPD bzw. PDL auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene tätig sind. (Vor einiger Zeit hatte ver.di zur Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen Patenschaften von lokalen Politikern aus SPD, Grünen und PDL für einzelne Netto-Filialen initiiert, um so den öffentlichen Druck gegenüber dem Unternehmen zu erhöhen.)

Netto war für diese Gewerkschaftsaktion ausgewählt worden, weil Netto zwar in der Tarifgemeinschaft ist, den Tarifvertrag aber immer wieder unterläuft. Der Netto-Konzern (eine Tochter der EDEKA) versucht seit einiger Zeit, die Nummer 1 im Lebensmittel-Discount-Bereich zu werden. Um die eigene Position in dieser heiss umgekämpften Branche gegenüber der Konkurrenz auszubauen, muss Netto billiger anbieten. Daher betreibt Netto systematisches Lohndumping. Netto-Beschäftigte können ihre Pausen während der Arbeitszeit nicht nehmen, vor und nach der Schicht muss in vielen Filialen jeweils 15-30 Minuten unbezahlt gearbeitet werden (u.a. Filiale herrichten, Kasse abrechnen), die gesetzlich vorgeschriebene 11-stündige Ruhepause zwischen den Schichten wird unterlaufen, Azubis und Geringfügigbeschäftigte müssen Arbeiten wie Voll- oder Teilzeitkräfte leisten (bei weitaus geringerer Vergütung) etc. Nachdem Netto vor geraumer Zeit den Konkurrenten Plus gefressen hat, betreibt Netto systematisch das Rausmobben der ehemaligen Plus-Beschäftigten, da diese noch vergleichsweise gute Arbeitsverträge haben. Mobbing und Psychoterror durch Vertriebsleiter sind bei Netto (trotz anderslautender Statements aus der Geschäftsführung) immer noch gängige Praxis. Außer beim Lohn spart Netto auch bei den technischen Hilfsmitteln: oftmals gibt es keine hydraulischen Hubwagen (zum Heben der schweren Kartons und Verbundverpackungen) in den Filialen; die Anschaffung ergonomischer Kassenstühle lehnt das Unternehmen aus Kostengründen kategorisch ab. So wird auf den Knochen und der Gesundheit der Beschäftigten weiter eingespart, um den Sprung an die Spitze der Discounterbranche zu schaffen.
In Südniedersachsen haben die Netto-Beschäftigten gemeinsam mit ver.di vor einigen Monaten ein Organizingprojekt für ihe Filialen gestartet. Erste Erfolge dabei gibt es schon, der Druck aus der Belegschaft und unterstützender Kreise von außen hat dazu geführt, dass einige der Forderungen der organisierten Belegschaft umgesetzt wurden. Bei wesentlichen Punkten jedoch sperrt sich das Management und sitzt die Angelegenheit aus; entsprechend wurden die Gespräche zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber mittlerweile ausgesetzt.

 

Merke: Wenn die Sozialpartner auch nur ein wenig aufmüpfig werden, hat es sich ausgesozialpartnert. Dann kommt die Unternehmerwirklichkeit zum Vorschein: "Der Herr im Haus bin ich !" Und der Herr im Haus erlässt Hausverbot gegen jeden, der ihm nicht passt. Und die Polizei setzt das Recht durch. Das Hausrecht des Unternehmers, nicht das Recht der Lohnabhängigen, sich um ihre Interessen zu wehren. So gehört es sich in einer ordentlichen Sonntagsredendemokratie wie der deutschen. Wo kämen wir denn hin, wenn am Werktag auch Demokratie wär.

 

 

Veröffentlicht in Deutschland

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R
<br /> <br /> "Wo kämen wir denn hin, wenn am Werktag auch Demokratie wär."<br /> <br /> <br /> Oder anders formuliert: Wo kämen wir denn hin, wenn hinterm Werkstor auch Demokratie wäre? - Hinterm Werkstor, dort wo es<br /> jeden Tag konkret um die Frage geht, wie die Produktionsmittel eingesetzt werden und was mit dem geschaffenen Mehrwert passiert, sind die vielgerühmte Demokratie und (ökonomische) Mitsprache<br /> nämlich weitgehend ausgeschaltet zugunsten der offenen Unternehmerwillkür. Wer nicht spurt oder die eigene Meinung nicht an der Garderobe abgegeben hat, wird schnell mal mit sog.<br /> Verdachtskündigung aus dem Betrieb entfernt oder durch systematischen Psychoterror rausgemobbt. Der Einzelhandel in Deutschland liefert dafür immer wieder beredtes Beispiel. Netto ist da derzeit<br /> die Spitze eines ziemlich wuchtigen Eisbergs.<br /> <br /> <br /> <br />
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