Wolfgang Junkers, ein verdienstvoller Bauminister der DDR

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

 

 Zwanzig Jahre nach dem Untergang der DDR ist die von der damaligen BRD-Führung angeordnete "Deligitimierung" der DDR nach wie vor im Gange - weil sie nämlich nicht so gelungen ist, wie die Herrschaften es wollten und wollen. Im Gegenteil - viele ehemalige DDR-Bürger lehnen es mit zunehmendem Selbstbewusstsein ab, dass ihre Arbeit und die Gesellschaft, in der sie gelebt haben, systematisch in den Dreck gezogen wird. Die Erinnerung an die guten Seiten der DDR kann nicht ausgelöscht werden.

 

In der neuen Septemberausgabe der Zeitschrift RotFuchs erinnern zwei ehemalige Mitarbeiter Wolfgang Junkers, Bauminister in der DDR von 1964 bis zum Untergang des Staates, an ihren ehemaligen Chef:

 

Wolfgang Junkers tragischer Tod. Vom Gegner gehetzt, von den eigenen Leuten im Stich gelassen.

 

 

Am 9. April 1990 schied ein grossartiger Mensch kurz nach seinem 61. Geburtstag in tiefer Verzweiflung aus dem Leben. Seit diesem tragischen Geschehen sind 20 Jahre vergangen.

 

Wolfgang Junker, am 23. Februar 1929 in einer Quedlinburger Arbeiterfamilie geboren,

erlebte das Kriegsende als Befreiung. So fuhrte sein Weg in die FDJ und die SED. Nach Mittelschule, Maurerlehre und Fachschulstudium übernahm der junge Ingenieur Verantwortung an Brennpunkten des Geschehens. Er war Bauleiter an der Stalinallee, dann Direktor grosser Baubetriebe in Berlin und Brandenburg. Schon damals legte er viel Wert auf hochproduktive

Neuerungen. So geriet er in das Blickfeld Walter Ulbrichts, der fähige Organisatoren im Bauministerium einsetzen wollte. Junker wurde stellvertretender Minister für Industriebau, bald darauf Staatssekretär. Als Bauminister Ernst Scholz 1964 starb, war der erst 34jahrige sein Nachfolger.

 

Damals bestand eine sehr komplizierte Lage. Ob Wohnungs- oder Industriebau,

Stadtentwicklung oder Baumaterialienproduktion – überall blieb das Leistungsvermögen hinter den Bedürfnissen der Gesellschaft zurück. Arbeitskräfte und Ressourcen waren begrenzt. Hinzu kamen die von der BRD ausgehenden Störmanover.

 

Es musste eine Konzeption der Industrialisierung entwickelt werden, die das Bauwesen auf Erfolgskurs brachte. Wolfgang Junkers Verdienst bestand darin, alle Kräfte – Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten, Technologen, Ökonomen und vor allem die Bauarbeiter – dafür zu gewinnen.

 

Vorfertigung, Montagebau und Mechanisierung, verbunden mit der rationellen Technologie der Takt- und Fliessfertigung verdrängten die körperlich schwere Arbeit. Es entstanden Polikliniken für Bauarbeiter, Arbeitsschutz und Unfallverhütung erhielten einen immer

höheren Stellenwert. Der Konsum schuf an Bauschwerpunkten spezielle Versorgungseinrichtungen.

 

Anfang der 70er Jahre erklärte das ZK der SED das Wohnungsbauprogramm zum Kernstück der Sozialpolitik. Die Konzentration auf den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Stadtzentren war wegen des höheren Aufwands nicht geeignet, den Mangel an Wohnraum kurzfristig zu beheben. Wolfgang Junker leistete dabei eine immense Arbeit. Am 24. Februar 1989 konstatierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“:

 

„Seit dem VIII. Parteitag der SED 1971 sind in der DDR unter Bauminister Junker mehr als 3 Millionen Wohnungen, darunter 1,9 Millionen neu gebaute, fertiggestellt worden. Anfang 1971 standen für je eintausend Einwohner 345 Wohnungen zur Verfügung, 1987 waren es 417. Die

Wohnfläche pro Person stieg im gleichen Zeitraum von 20,6 auf 26,8 Quadratmeter, und der Anteil der Wohnungen mit Bad oder Dusche und Innentoilette verdoppelte sich.“

 

Ab 1973 wirkte Wolfgang Junker als Vorsitzender der Ständigen Kommission Bauwesen beim Rat fur Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Damit zog dort ein neuer, praxisnaher Arbeitsstil ein, der die Probleme der anderen Länder stets in Rechnung stellte.

 

In seinem Verhalten blieb Wolfgang Junker immer bescheiden. Nichts war ihm mehr zuwider als deutsche Arroganz. Der Minister war kein Einzelkämpfer. Die Arbeitsergebnisse seines Hauses beruhten in hohem Masse auf seiner Fähigkeit, Kollektive zu formen und andere zu hohen Leistungen anzuspornen sowie Verbündete und Freunde zu gewinnen.

 

Zu ihnen gehörten vor allem Prof. Dipl.-Ing. Werner Heynisch, Präsident der Bauakademie,

der sich durch neuartige, kühne und rationelle Konstruktionslösungen einen Namen gemacht hatte, und Prof. Dr.-Ing. Erhardt Giske, zu dessen Hauptwerken der Palast der Republik, das Nikolaiviertel, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, der Pionierpalast in der Wuhlheide,

das chirurgisch orientierte Zentrum der Charite und der neue Friedrichstadtpalast

zählen.

 

Wolfgang Junker setzte sich selbst fur den Wiederaufbau der Dresdner Semperoper, den Neubau des Leipziger Gewandhauses und die Schaffung der Bauernkriegs-Gedenkstätte bei Bad Frankenhausen ein.

 

Anfang der 80er Jahre war das DDR-Bauwesen noch intakt. Die Pläne wurden erfüllt. Viele Menschen bezogen Neubauwohnungen. Weil die Baubetriebe aber immer weniger Maschinen, Ausrüstungen und Transportmittel zugeteilt bekamen, sah sich Wolfgang Junker gezwungen, auf andere Weise die Deckung des dringenden Bedarfs zu sichern. Unter seiner

Leitung wurde z. B. die Energieträgerumstellung kurzfristig realisiert und so die Versorgung mit Zement und Baukeramik aufrechterhalten.

 

Doch insgesamt spitztesich die Lage zu. In alteren innerstadtischen Wohngebieten verschlechterte sich die Bausubstanz zusehends. Der Vorschlag des Ministers, diese Situation durch differenzierte Mieten ohne soziale Harten abzumildern, wurde abgelehnt. Auch seine Anregung, die „FDJ-Initiative Berlin“ geordnet zum Abschluss zu bringen und die Bauleute in ihren Heimatorten für die Modernisierung der Altbausubstanz einzusetzen, stiess nicht auf Gegenliebe.

 

1988/89 komplizierte sich die materielltechnische Versorgung sowohl der volkseigenen

als auch genossenschaftlichen und privaten Baubetriebe noch mehr. Wieder wurden Entlastungsvorschläge Wolfgang Junkers in den Wind geschlagen. Man kürzte sogar Kontingente bei wichtigen Zuliefererzeugnissen. In Leipzig organisierten sogenannte Bürgerrechtler eine „Baukonferenz von unten“. Wolfgang Junker musste dort den aufgestauten Frust gegen die Führung von Partei und Staat über sich ergehen lassen. Wenigstens die Volkskammer befasste sich nun mit der entstandenen Lage. Auf ihrer Tagung am 18. November 1989 trat Wolfgang Junker fur eine sozialistische Erneuerung der DDR ein. Doch der gerade erst gebildete Volkskammerausschus „Zur Überprüfung von Amtsmissbrauch“ veranlasste, dass ihm unter fadenscheinigen Vorwänden die Immunität als Abgeordneter

entzogen wurde. Fast zeitgleich leitete man ein Untersuchungsverfahren gegen

ihn ein. Die immer mehr abdriftende Presse überschlug sich in Vorverurteilungen.

 

Während der Untersuchungshaft verschlechterte sich Wolfgang Junkers

Gesundheitszustand dramatisch. Ein ärztlicher Antrag auf Haftverschonung wurde abgelehnt. In der Regierung fand sich niemand, der diesem üblen Treiben ein Ende setzte. Als Wolfgang Junker schliesslich wegen erwiesener Unschuld freigelassen werden musste, war er ein an Leib und Seele gebrochener Mann.

 

So kam es zur Tragödie. Uns aber, die wir auf das engste mit ihm zusammengearbeitet

haben, wird der Bauminister als ein hochgeachteter Fachmann und als ein wunderbarer Mensch, der den Idealen des Sozialismus stets die Treue wahrte, unvergessen bleiben.

 

 

Gerhard Trölitzsch / Rolf Kühnert

 

Quelle: http://www.rotfuchs.net/Zeitung/Aktuell/RF-152-09-10.pdf

 

 

 

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