Zum Beispiel Honduras

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Der gegenwaertige Staatsstreich in Honduras ist sozusagen klassisch. Immer, wenn die Oligarchie in einem lateinamerikanischen Land ihre Herrschaft bedroht sieht, setzt sie die republikanischen Institutionen ausser Kraft und stuetzt sich offen auf die blanke Gewalt, das Militaer.

Als in Lateinamerika im 19. Jahrhundert die formelle staatliche Unabhaengigkeit von den alten Kolonialmaechten erkaempft wurde, war die Bourgeoisie dieser Region eine revolutionaere Kraft. Der Kolonialismus behinderte ihre wirtschaftliche Entfaltung. Staatliche Unabhaengigkeit in der Form der Republik war ihr Interesse.

Mit dem Erreichen dieses Ziels hatte sich aber auch ihr revolutionaerer Impetus erschoepft. Die Latifundistas und die staedtische Bourgeoisie hatten jetzt ihren eigenstaendigen Machtapparat und begannen, ihn gegen die Masse der Bevoelkerung - die Bauern und Landarbeiter und, wo vorhanden, das Industrieproletariat - einzusetzen. Je weiter das nordamerikanische Grosskapital schliesslich auf den Subkontinent vordrang, desto mehr verschmolz diese Oligarchenherrschaft mit den Interessen der Multis. So gut wie nirgendwo vermochte die lateinamerikanische Bourgeoisie zu den kapitalistischen Staaten Europas und zu Nordamerika aufzuschliessen. Sie verwandelte sich in den Bluthund des auslaendischen Grosskapitals gegen das eigene Volk. Die staatliche Unabhaengigkeit wurde in den meisten Laendern immer mehr zu einer Formalitaet, die den Vasallenstatus gegenueber dem Imperium im Norden kaschierte. So war es durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch, und so ist es bis heute. 

Gegen diese mehr und mehr zur Kompradorenbourgeoisie verkommende Klasse von mittleren Kapitalisten und Grossgrundbesitzern erhoben sich immer wieder die unteren Klassen und Schichten und wurden wieder und wieder niedergeschlagen, buchstaeblich enthauptet, indem man deren Fuehrungen liquidierte, "befriedet", indem man Blutbaeder anrichtete, die die Ueberlebenden lehren sollten, dass Aufstand zwecklos ist und Ergebung ins erbaermliche Schicksal eines armen Campesinos oder Minenarbeiters unvermeidlich ist. Auch so war es durch das ganze 20. Jahrhundert hindurch.

In der zweiten Haelfte des vergangenen Jahrhunderts gab es eine Welle von Aufstandsbewegungen, nicht zuletzt befluegelt vom Beispiel Kubas, das sich mit einer sozialistischen Revolution gleichzeitig auch wirkliche Unabhaengigkeit erkaempft hatte. Die Antwort der Oligarchen war eine Welle von Miliaterputschen, Exzesse von Grausamkeit in Chile, Brasilien, Uruguay, Argentinien, Nicaragua, El Salvador. Die Koepfe einer Generation der unteren Klassen wurden wieder einmal abgeschlagen, wieder einmal wurde fuer ein paar Jahrzehnte Friedhofsruhe hergestellt.

Aber es bleibt nichts, wie es ist, auch wenn die Hoffnung der Voelker auf ein besseres Leben sich ein oder zwei Jahrhunderte lang nicht erfuellt. Inzwischen wird das Imperium schwaecher. Bewaffnet bis an die Zaehne, den ganzen Planeten hinter die Gitterstaebe seiner Stuetzpunkte, Kollaborationsregimes und Terrorbanden sperrrend, sind seine Kraefte bis zum aeussersten angespannt, wird die wirtschaftliche Basis schwaecher, fallen ihm die kleineren Hyaenen in Westeuropa und Asien in die Flanken, kommen neue Maechte herauf, ist die Welt mit jedem Jahrzehnt der Unverschaemtheit des Imperiums ueberdruessiger.

Auch die Positionen in Lateinamerika werden schwaecher. Westeuropaeisches, japanisches und chinesisches Kapital draengt in den ehemals von den US-Monopolen beinahe unangefochten dominierten Markt. Und eine neue Welle von Volksbewegungen draengt von unten gegen die morschen Herrschaftsapparate der heruntergekommenen, unfaehigen, durch und durch korrupten Kompradorenbourgeoisie. Die Panzer mussten fast ueberall zurueck in die Kasernen. Die inzwischen zu Greisen gewordenen Moerdergenerale koennen nur mit Muehe vermeiden, ihre letzten Lebensjahre im Gefaengnis zu verbringen. Sie sind geaechtet, Schandflecke in der Geschichte ihrer Staaten. In der vordersten Spitze dieser Bewegung haben sich Regierungen etabliert, die versuchen, sich auf die unteren Klassen und Schichten zu stuetzen, in deren Interesse zu handeln, die Macht der auslendischen Monopole zu brechen und die eigene Oligarchie zurueckzudraengen - Vernezuela, Bolivien, Ecuador, Nicargaua, vielleicht neuerdings El Salvador.

Wenn sich solche Bewegungen entwickeln, entstehen ab und zu kuriose Konstellationen. Es kommt vor, dass human gesinnte Leute aus der Oligrachie sich unvermutet auf die Seite des Volkes schlagen, gewissermassen ihre eigene Klasse verratend. Ein solches Kuriosum ist in Honduras passiert. Zelaya, "Mel", wie er im Volk genannt wird, ist nach seiner sozialen Stellung einer aus der Oligarchie. Als er zum Praesidenten gewaehlt wurde, schien er fuer seine Klassengenossen ein harmloser Mann zu sein, ein wenig zu liberal vielleicht, mit einem gewissen weichherzigen Hang zum Mitleid mit den Armen, aber kaum mehr. Aber nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass Mel dem Volk nicht nur Honig ums Maul schmierte, sondern es ernst meinte. Er haelt fuer Honduras noetig, was in den uebrigen ALBA-Staaten schon im Gang ist. Er wollte eine konstituierende Versammlung waehlen lassen, die eine neue Verfassung ausarbeiten sollte. Er wollte die Voraussetzungen dafuer schaffen, dass das Volk der Oligrachie die Macht aus der Hand nimmt. Das war sein "Verbrechen". Man hatte Venezuela vor Augen. So hat es Chavez auch gemacht, mit dem vorlaeufigen Ergebnis, dass die venezolanische Oligarchie sich ernsthafte Sorgen um ihre Geschaefte und ihre Einflussnetze machen muss. Deswegen versucht man gerade, sich dieses Mel zu entledigen, diesem Klassenverraeter, diesem sozialromantischen Weichei.

Wenn die aeonenlange Oloigarchenherrschaft im Dienst des Imperiums auch die Entwicklung in Lateinamerika behindert hat, gab es doch Entwicklung. Es entstand eine moderne Arbeiterklasse, das staedtische Kleinbuergertum, nicht zuletzt die Intelligenz, wurde groesser, die Kleinbauern und Landarbeiter und die marginalisierten Indigenas selbstbewusster. Der Herrschaftsapparat braucht Menschen vor allem aus dem kleinbuergertum, weil die Oligarchen selbst nicht alle Funktionen besetzen koennen. Fuer die Angehoerigen der Intelligenz und das Keinbuergertum sind die staatliche Verwaltung und die Armee oft die einzige Aufstiegsmoeglichkeit. Die Folge ist, dass auch das Personal dieses Machtapparats politisch nicht unbedingt zuverlaessig ist. Auch dafuer ist Chavez das Beispiel: Als Sohn eines Lehrer-Ehepaars ging er zum Militaer und machte dort Karriere. Er hat aber nicht vergessen, was er "unten" sah. Er hat das Gewehr gegen die Herrschaft gerichtet und sich vom Offizier in den Volkstribun verwandelt. 

Solche "Chavez" muessen unter den gegebenen Umstaenden entstehen. Wenn die Volksbewegungen stark genug sind, stellt sich auch fuer die einfachen Soldaten und selbst fuer die Offiziere, die kein Blut an den Haenden haben, die Frage, weiter fuer die Herrschaft deren Interessen zu schuetzen - oder mit dem Volk zu gehen. Und ganz ab und zu gibt es auch einen Zelaya. Dass man ihn nicht stante pede umgebracht hat und so tun muss, als sei der Putsch eine verfassungsmaesssige Aktion, weist darauf hin, dass die Herrschaften sich nicht sicher fuellen. Sie wollen nicht alle Bruecken hinter sich abbrechen. Womeoglich koennte das im Gefaengnis enden. Hoffentlich wird es so enden. 




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S
Hallo Maya."danke fuer die Blumen". Es ist natuerlich, in der Kuerze, ein Gehoppel ueber die Stoppeln. Aber ich wollte wenigstens ansatzweise in den historischen Zusammenhang setzen, was in Honduras gerade geschieht. Ich hoffe, dass das nicht der Beginn einer Konteroffensive ist. Sie haben sich das schwaechste Glied gepackt, der Prozess in Honduras ist ja noch ganz am Anfang oder gerade erst im Entstehen. Im gluecklichsten Fall koennten die Putschisten ihn aber auch ungewollt beschleunigen.LG, Sepp
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M
Hallo Sepp,wiedereinmal ein wunderbarer Artikel auf den ich auch beii mir im blog wieder gerne hinweisen werde...herzlichen Gruss Deine Maya
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