Katalonien - ein neuer Staat in Europa ?

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

In den Massenmedien fand die traditionelle Kundgebung in Barcelona am katalanischen Nationalfeiertag  dieses Jahr viel Aufmerksamkeit. Die FAZ dazu: link ; und die NZZ: link . Dagegen berichtet RedGlobe weniger sensationalistisch: link . Kundgebungen zum Nationalfeiertag "Diada Nacional de Catalunya" sind jedes Jahr für eine Teilnehmerzahl von hunderttausend oder auch mehreren hundertausend Menschen gut. Aber dieses Jahr waren es offenbar besonders viele. Nach den höchsten Zahlen, die die Veranstalter angeben, war jeder fünfte Katalane in Barcelona und auf der Strasse. Die Parole "Katalonien - ein neuer Staat in Europa" war ausserdem besonders "radikal". Wie ist das einzuschätzen ?

 

Der regionale Nationalismus ist in Katalonien stark verankert. Spanien ist eine "Nation von Nationen". Es gibt vier Sprachen - ausser dem "Spanischen" (Kastlischen) das Baskische, das Galizische und eben das Katalanische. Ausserdem gibt es stark ausgeprägte regionale Kulturen auch in den Regionen, in denen Spanisch gesprochen wird, und alle haben wegen der zentralstaatlichen Unterdrückungspolitik in der Geschichte einen anti-kastilischen Einschlag. Bis heute ist die Existenz der nicht-kastilischen Nationen nicht anerkannt, ungeachtet einiger Zugeständnisse an "Autonomie". Katalonien gehört(e ?) zu den unterdrückten Nationen in Spanien, insbesondere unter Franco. Nach dem Übergang zur bürgerlichen Demokratie wurden einige Freiheiten erreicht. Katalonien ist jetzt offiziell zweisprachig - katalanisch und "spanisch" (also kastilisch). Im Bildungswesen ist die Unterrichtssprache teils katalanisch, teils kastilisch. Die eigenen Traditionen werden eifrig gepflegt. Das Land hat eine eigene Verfassung, die allerdings vom obersten spanischen Gerichtshof auf Betreiben der PP (der derzeitigen spanischen Regierungspartei) im Sinn des spanischen Zentralstaats "domestiziert" wurde.

 

Mit Ausnahme der zentralstaatlich orientierten Volkspartei (Partido Popular - PP), deren schwächlichen getarnten Ablegern wie der Cuitadans und der Rechtsabspaltung von der PSOE namens UPyD führen alle Parteien die "Rechte Kataloniens" im Mund. Diese Parteien repräsentieren um die 80 % der Wählerschaft. Das sind die CiU, eine grossbürgerliche Partei, die etwa der CSU vergleichbar ist; die sozialdemokratische PSOE; die kleinbürgerliche independistische Katalanische Linke; die linken Grünen (ICV), und die drei kommunistischen Parteien PSUC (Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens, ein Landesverband der PCE), die PCC (Kommunistische Partei Kataloniens, eine Abspaltung von der PCE) und die PCPC (die katalanische Organisation der kleinen, aber sehr aktiven PCPE - Kommunistische Partei der Spanischen Völker).

 

Der von diesen Parteien vetretene "Regional-Nationalismus" hat zwar die Berufung auf die katalanische Nation gemein, ist ansonsten aber sehr verschieden bzw. gegensätzlich. Die CiU repräsentiert den Anspruch der katalanischen Grossbourgeoisie auf einen eigenen nationalen Claim, ist aber - entsprechend denGeschäftsinteressen - im Umgang mit der Madrider Zentralmacht recht "flexibel". Ähnliches gilt für die Sozialdemokraten. Die kleinbürgerliche Katalanische Linke ist die radikalste Verfechterin staatlicher Unabhängigkeit. Die kommunistischen Parteien sind für das Selbstbestimmungsrecht der spanischen Nationen, treten aber für deren freiwilligen Verbleib im spanischen Staatsverband ein, in dem alle Nationen/Nationalitäten gleiche Rechte haben müssten und der föderativen Charakter haben müsse.

 

Das derzeitige "Hochkochen" des katalanischen Nationalismus ist natürlich kein Zufall. Es ist Krise. Da kommt der CiU (die zur Zeit in Katalonien an der Regierung ist), die "Gemeinsamkeit der (katalanischen) Nation" gerade recht. Die CiU betreibt die selbe drakonische "Anti-Krisen-Politik" wie die PP in Madrid, auf Kosten der Arbeiter und kleinen Angestellten und auch des Kleinbürgertums. - Gut, wenn man das "Madrid" in die Schuhe schieben und damit von der eigenen Klassenpolitik ablenken kann. Gut auch, wenn die Lohnabhängigen nicht für höhere Löhne oder gar für die Enteignung des Grosskapitals auf die Strasse gehen, sondern für ein "freies Katalonien". Die Kommunisten stellen dagegen klar, dass Freiheit nicht von sozialer Freiheit zu trennen ist. Die PSUC führt das in einer Erklärung zum Nationalfeiertag aus; - leider gibt es diese nur in Katalanisch, aber wer Spanisch versteht, kann sich den Inhalt vielleicht einigermassen erschliessen: link . 

 

Mit dem "neuen Staat in Europa" wird es wohl nichts werden. Die katalanische Grossbourgeoisie betreibt damit mit ihrer Partei CiU ein demagogisches Spiel, das sie für geeignet hält, die Massen zu übertölpeln, aber selbst nicht ernst nimmt. Die "Klassenbrüder" im Baskenland, die das selbe Spiel mit ihrere Partei PNV betreiben, sind denn auch auffällig leise. 

 

Ernst könnte aus dem Spiel nur werden, wenn Spanien in dieser Krise im Chaos versinkt. In dem Fall könnten gewisse Beobachter aus dem Norden die Balkanisierung des Landes diskret befördern. In Jugoslawien ist das schliesslich auch gelungen und dessen neue "freie" Zwergstaatsnationen sind gegenüber dem neuen Oberherren gezwungenermassen recht willig. Es ist aber aus vielen Gründen unwahrscheinlich, dass solche deutschen Blütenträume in Erfüllung gehen, falls sie denn in grösster Heimlichkeit schon geträumt werden.

 

 

Veröffentlicht in Spanien

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