Russland: Offene Fragen nach dem Wahlsieg Putins

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Der folgende Text von Anton Latzo ist von der Internet-Seite der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei übernommen. ( http://www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistischeplattformderparteidielinke/mitteilungenderkommunistischenplattform/detail/zurueck/aktuelle-ausgabe/artikel/russland-nach-der-wahl/ ).

Antom Latzo schreibt auch für die Zeitschrift Theorie und Praxis http://theoriepraxis.wordpress.com/ .

Russland nach der Wahl

Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch

 

Russland hat sich auf den Weg gemacht. Die Frage ist: Wohin? Die Wahlen haben die Frage noch nicht beantwortet. Die meisten Wahlprogramme haben Vorschläge gemacht, wer die Politik in den nächsten sechs Jahren gestalten soll. Weniger wurde die Frage beantwortet, wohin die Gesellschaft in Russland in der nächsten Zeit gehen wird. Klarer sind die Aussagen über die Außenpolitik des Landes.

Die Wahlen waren eine wichtige Episode, die personelle Voraussetzungen schafft. Natürlich ist es wichtig, wer gewonnen hat. Aber noch wichtiger ist es, die Frage zu beantworten, wohin die Reise geht, wie die angehäuften Widersprüche in Gesellschaft und in der Politik gelöst werden sollen.

Die Einschätzungen nehmen zu, die besagen, dass Russland sich am Scheideweg befindet. Entweder Russland findet zu einem Weg, die gewaltigen Destruktivkräfte in der Gesellschaft zu stoppen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu ermöglichen, oder die Restauration kapitalistischer Verhältnisse wird so um sich greifen, dass nicht nur die Stabilität Russlands in Frage gestellt wird.

 

Die Wahlergebnisse

 

Mit 63,75 Prozent hat Wladimir Putin (Partei Einiges Russland) einen deutlichen Sieg errungen. Er verfügt damit über eine stabile Grundlage, um die konzeptionelle und praktische Arbeit in nächster Zeit so zu steuern, dass den gesellschaftlichen Erfordernissen des Landes Rechnung getragen wird und die Erwartungen von sehr breiten Kreisen der Bevölkerung erfüllt werden können.

Erfahrungen hat Präsident Putin schon in der Vergangenheit gesammelt. Er hat dieses Amt schon in den Jahren von 2000 bis 2008 innegehabt und war in der letzten Legislaturperiode als Ministerpräsident tätig. In dieser Zeit erwies er sich als "nationaler Führer", der nach dem Jelzin-Chaos den Staatsverfall und den Ausverkauf des Landes aufhalten, die Grenzen Russlands sichern konnte und eine Strategie der Entwicklung Russlands verfolgt hat, die auf die Schaffung von Mindeststandards im Lebensniveau der Bevölkerung und auf die Sicherung der internationalen Rolle Russlands ausgerichtet war. Er hat begonnen, wieder Ordnung zu schaffen, sich dabei jedoch nicht als Träger einer gesellschaftlichen Konzeption profiliert. Aber eine Politik der Stabilisierung ohne gesellschaftlichen Fortschritt trägt die akute Gefahr der Stagnation in sich.

Mit Putin wurde zugleich eine Persönlichkeit gewählt, die in der internationalen Politik Russlands bisher relativ klare Akzente gesetzt hat, die Russland den Ruf eines internationalen Stabilitätsfaktors zurückgebracht hat.

Die Hoffnungen einflussreicher Kreise der kapitalistischen Großmächte sind nicht aufgegangen, die darauf setzten, dass die Wahlen und ihre Ergebnisse solche Kräfteverhältnisse in Russland schaffen, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands erleichtern und die Kontrolle über die russische Außenpolitik, wie zu Zeiten Jelzins, zurückbringen würden.

Man könnte formulieren: Putin hat die Wahl gewonnen. Und Russland?

Der Kandidat der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), Gennadi Sjuganow, Vorsitzender der Partei, erreichte mit 17,9 Prozent das erwartete Ergebnis. Seine besten Ergebnisse erreichte er mit bis zu 32 Prozent in den 1990er Jahren.

Außerdem waren als Kandidaten angetreten: Michail Prochorow, der selbständig kandidierte und gleich 7,92 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Die anderen Kandidaten konnten keine entscheidenden Zeichen setzen. Der Liberaldemokrat Wladimir Schirinowski erhielt mit seinen nationalistischen Parolen 6,232 und für Sergej Mironow von der Partei Gerechtes Russland stimmten 3,85 Prozent der Wähler.

 

Russland am Scheideweg

 

Wurde der bisherige Kurs unter Putin bestätigt? Die Wahlen widerspiegeln eine deutlich veränderte Stimmungslage in der Gesellschaft. Dies nicht nur in den politischen Zentren, sondern auch in den ländlichen Regionen. Das bisherige Konzept stößt offensichtlich an seine Grenzen. Der Arm-Reich-Widerspruch spitzt sich zu.

Schon während des Wahlkampfes haben alle Akteure eine Modernisierung der Wirtschaft, des sozialen Lebens und auch des politischen Systems gefordert. Eine stabile Konstante bildet die Außenpolitik Russlands, die weitgehend in der Bevölkerung akzeptiert wird.

Die Staatsmacht hat den Wunsch, sich stärker des Rückhalts in der Bevölkerung zu versichern. Das geschah bisher jedoch zumeist in unverbindlichen Erklärungen bei dominanter Stellung der Exekutive und ihrer Partei. Während des Wahlkampfes sprach Präsident Medwedjew davon, dass es unmöglich sei, "den politischen Prozess unendlich zu dominieren. Früher oder später wird unser System in jedem Falle so sein, dass die Macht weitergegeben wird". Die Frage ist: an wen?

 

Vorstellungen über die Zukunft

 

Die Programmatik der Partei Einiges Russland (Putin) ergibt sich vor allem aus den Reden Medwedjews und Putins auf dem letzten Parteitag. Sie enthält die allgemeinen Grundsätze und Prioritäten der Partei: Modernisierung der Wirtschaft, nachhaltige Sozialpolitik, Bekämpfung der Korruption, Festigung einer unabhängigen Justiz und Weiterentwicklung des politischen Systems. Nähere Angaben z..B. über die Instrumente, Wege und Mechanismen für die Erreichung dieser Ziele sind nicht zu finden. Ebenso fehlt eine Einschätzung der Partei über die positiven und negativen Seiten bei der Umsetzung des bisherigen politischen Konzepts.

Es fehlen Aussagen und Orientierungen, die geeignet sind, die Gesellschaft zu eigenem Mittun zu mobilisieren. Von einer Aussprache über die Entwicklungswege des Landes kann man nicht sprechen. Für "Einiges Russland" stand bisher die Frage der Perspektiven des Landes mehr unter dem Gesichtspunkt der Sicherung der eigenen Position im bestehenden Machtgefüge. Weniger hoch wurden die Inhalte eingestuft, die im Interesse der Entwicklung der Gesellschaft auf der Grundlage der Erfahrungen der Geschichte Russlands gegangen werden müssen. Die Partei Einiges Russland hat dem Land Stabilität in der Gegenwart gebracht, jedoch bisher noch keine umfassende Vision für die weitere Entwicklung, vor allem der Gesellschaft in Russland, angeboten.

Die Initiativen, wie die Gründung der Volksfront oder das Versprechen einer erweiterten Regierung sind ein indirektes Zeugnis dafür, dass die Machtstrukturen ein Vertrauensdefizit in der Gesellschaft wahrnehmen und versuchen, die Situation zu ändern.

Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die Oppositionsparteien am bestehenden politischen System vor allem das Machtmonopol kritisieren. Ihre Vorschläge bezogen sich zumeist auf Einzelmaßnahmen, auf die Wahl der Gouverneure, Korruption und den hohen Grad der Bürokratisierung von Politik und Wirtschaft.

Das Grundproblem der Eigentumsverhältnisse wird auch im dritten Jahrzehnt nicht grundsätzlich thematisiert. Die Parteien versuchten, ihre Wählerschaft unter Betonung ausschließlich aktueller Themen zu mobilisieren. Bei den meisten ist zu wenig das Bemühen zu erkennen, die gesamtgesellschaftlichen Probleme, die Fragen der Entwicklung der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPFR), die gegenwärtig rund 150 Tausend Mitglieder zählt, wurde im Februar 1993 gegründet. Ihr erklärtes Ziel besteht in der Errichtung des Sozialismus in Russland und die Wiederherstellung der UdSSR. Für die nächste Zeit, kurzfristig, strebt sie die Macht der patriotischen Kräfte, die Verstaatlichung der Bodenschätze und der strategischen Wirtschaftszweige unter Beibehaltung der kleinen und mittelständischen Unternehmen und die Schaffung des Sozialstaates an.

Sie fordert offen eine Verstaatlichung der Großindustrie, in erster Linie des Bergbaus und der Gas- und Erdölindustrie, des Bankensystems sowie eine Rückkehr zu kollektiven Landwirtschaftsbetrieben.

Im Wahlprogramm forderte sie auch die Gewährleistung der nationalen Sicherheit, den Übergang vom wirtschaftlichen Verfall zur beschleunigten Entwicklung, die Überwindung der Armut und des gesellschaftlichen Verfalls.

Die KPFR ist bereit, eine "Regierung des Volksvertrauens" zu bilden, um die gesetzten Ziele zu erreichen Ihr sollen Vertreter verschiedener Parteien und Parteilose angehören. Sie schlägt eine Direktwahl der Gouverneure, eine spezielle Antikorruptionsgesetzgebung, ein Gesetz über Referenden, ein einheitliches System der örtlichen Räte und der Finanzierung der örtlichen Selbstverwaltung ebenso vor, wie die Wahl der Richter durch die Bevölkerung auf der Ebene der Städte und Kreise sowie Maßnahmen zur Kontrolle der Machtorgane durch gesellschaftliche Organisationen.

 

Internationale Stellung Russlands

 

Eindeutigere inhaltliche Bestimmung als die Innenpolitik hat die Außenpolitik Russlands in den vergangenen Jahren erhalten. Die internationale Stellung Russlands hat sich in der Periode nach Jelzin wieder als internationaler Stabilitätsfaktor gefestigt. Als Leitidee wurde formuliert: "Ein starkes Russland in einer komplizierten Welt".

Ein Schwerpunkt wird darin gesehen, mit der Zollunion, dem Projekt eines einheitlichen Wirtschaftsraumes und der noch weiter gehenden Eurasischen Union die Integration im postsowjetischen Raum voranzubringen.

Ein wichtiger inhaltlicher Gesichtspunkt zur Frage der internationalen Politik Russlands bestand in dem vor der Wahl besonders hervorgehobenen Hinweis, dass die postsowjetische Ära zu Ende sei. Daraus ergibt sich auch die Schlussfolgerung, das Russland davon ausgeht, dass die Widersprüche der Gegenwart, die Nichtübereinstimmung der Interessen der kapitalistischen Großmächte und Russlands, ihre Wurzeln nicht im Zerfall der Sowjetunion haben, sondern in den Verhältnissen der Gegenwart.

Putin schreibt über die Grundlagen der Weltordnung, wie Russland sie anstrebt: Im Zentrum der internationalen Beziehungen steht das seit Jahrhunderten geltende Prinzip der staatliche Souveränität. Der Schutz der Menschenrechte von außen sei "einfache Demagogie". Die Weltpolitik basiere auf festen Prinzipien und nicht auf abstrakten Werten.

Eine weitere zentrale Idee Putins in seinem Grundsatzartikel zur Außenpolitik wird in die Aussage gefasst, dass Russland eine Weltmacht bleiben muss, die als Akteur in der Weltpolitik überall präsent ist.

Zum Platz Russlands in der Welt heißt es für jeden verständlich: "Die Spielregeln der internationalen Politik und Wirtschaft können nicht hinter dem Rücken oder unter Umgehung Russlands und unserer Interessen fortgesetzt werden. … Wir sind für konstruktive Zusammenarbeit und Dialog über Fragen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus, über Rüstungskontrolle und die Gewährleistung kollektiver Sicherheit.

Einseitige Schritte unserer Partner, die nicht die Meinung Russlands und seine Interessen berücksichtigen, werden von uns entsprechend eingeschätzt und auf unsere Gegenreaktion stoßen."

Im Namen Russlands plädiert Putin für eine globale Kooperation unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Staaten und nennt die Bedingungen, unter denen dieses Zusammenwirken möglich ist.

 

7. März 2012

Veröffentlicht in Osteuropa

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