Afghanistan: Hoher Bundeswehr-Offizier fordert politischen Ausweg
Generalleutnant Heiducoff argumentiert als Militaer. Er lobt die "neue Afghanistan-Strategie", die offiziell im vergangenen Jahr konzipiert wurde - und praktisch nicht umgesetzt werden konnte. Das liegt an ihren unrealistischen Ausgangsannahmen: Die Aufstaendischen sollen von der Bevoelkerung getrennt werden. Aber sie sind Teil der Bevoelkerung, die Kaempfer gehen aus ihr hervor. Im Unterschied zu Bundeswehrfuehrung und Regierung sieht Heiducoff diesen Umstand und folgert daraus, dass eine "politische Loesung" gesucht werden muss - weil der Krieg fuer die Besatzer nicht zu gewinnen ist.
Hier stehen seine "persoenliche Betrachtung" zum Afghanistankrieg. Sie ist um so interessanter, als Heiducoff keine grundsaetzliche Kritik an diesem Krieg hat, sondern vom fachlich-militaerischen Standpunkt aus argumentiert. Und er schreibt nicht vom Buerosessel in der fernen deutschen Etappe aus, sondern war selber jahrelang an der deutschen Aggression in Afghanistan beteiligt.
Ich möchte weder die neue Afghanistan – Strategie schlecht reden, noch die ISAF–Soldaten kritisieren. Ich war selbst einer von ihnen und stehe auch heute in Verbindung mit Kameraden und Freunden, die diszipliniert ihre Pflicht in diesem fernen Land erfüllen.
Ich war mit Unterbrechungen zwischen 2004 und 2008 drei Jahre als Soldat in Afghanistan. Ich hatte das Glück, nicht in einem Camp isoliert gewesen zu sein, sondern konnte viele Landesteile kennen lernen – so auch den umkämpften Süden. Ich habe sehr viele beachtenswert gute Leistungen unseres ISAF – Personals wahr genommen. Leider wurde ich aber auch Zeuge von Handlungen westlicher Soldaten, die eine scharfe Kritik erforderten.
Bei mir entstand der Eindruck, die ISAF – Soldaten verhielten sich zunehmend aggressiver.
Und ich stellte fest, dass mit der Verschärfung der Sicherheitslage in den Jahren 2007/08 die eigenen Erfolge überbetont, Mängel vertuscht und die Lage unzulässig geschönt dargestellt wurde. Ich war zutiefst überzeugt, dass es so nicht weiter gehen konnte, dass es einer grundlegenden strategischen Veränderung bedurfte. Deshalb schrieb ich dem damaligen Bundesaußenminister im Frühjahr 2007: „gerate zunehmend in Widerspruch zu dem, wie die eigenen westlichen Truppen in Afghanistan agieren. Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime der Zivilgesellschaft bekämpfen. Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter den Menschen. Wir sind dabei, durch diese unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen der Afghanen zu verlieren.
Ich stelle dabei zunehmend fest, dass die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generäle beschönigen oder verschweigen eigene Probleme. Militär droht sich zu verselbständigen und von den politischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu lösen. Sorgen Sie bitte mit Ihren politischen Verbindungen dafür, die Militärs in die Schranken zu weisen!“
Inzwischen gibt es die längst überfällige neue Strategie für Afghanistan, die die Mängel der Vergangenheit überwinden helfen soll. Die Idee, die der neuen Strategie zugrunde liegt, ist theoretisch schlüssig: zivile Opfer eigener Waffenwirkung weitgehend vermeiden und die Bevölkerung zu schützen, damit sie nicht in die Feuerlinie gerät. Das sind gute Ansätze.
Und sicher ist diese Idee in der Praxis des Kampfes im Felde, in den Dörfern und Städten praktisch mit größter Anstrengung und Opferbereitschaft durch unserer tapferen ISAF-Truppen umsetzbar.
Doch diese Idee ist kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck des Vertrauensgewinnes bei der Bevölkerung und der Spaltung der Bevölkerung von der Aufstandsbewegung.
Dafür scheint es mir aber reichlich spät zu sein. Vertrauensaufbau bei Menschen, deren Vertrauen durch das eigene schlechte Verhalten in der Vergangenheit verloren gegangen ist – wie soll das funktionieren?
Wenn mein Dorf über viele Jahre immer wieder durch Jagdbomber, Drohnen und Kampfunterstützungshubschrauber der fremden Truppen überflogen und auch angegriffen wurde, wenn nächtliche Hausdurchsuchungen Angst und Schrecken verbreiteten, wenn willkürliche Festnahmen erfolgten, wie soll ich dann, selbst wenn meine Familie dadurch nicht zu Schaden kam, Vertrauen gegenüber eben diesen Fremden gewinnen? Dies könnte ich persönlich nicht! Wie kann dies von einem traditionsbewussten paschtunischen Stammesältesten erwartet werden?
Eine solche kollektive Vertrauensbildung, die im Rahmen der neuen Strategie erreicht werden soll, bedarf einer langen Zeit, vielleicht der Lebenszeit einer Generation.
Doch der Abzug der ausländischen Truppen ist bereits offiziell in Aussicht gestellt worden.
Es ist ein edles Ziel, dass ausländische Truppen die Bevölkerung in einem Stationierungsland schützen sollen und so ihr eigenes Risiko steigt!
Doch vor wem sollen die Menschen geschützt werden? Vor den Aufständischen!
Ohne den Widerspruch, dass zunehmend mehr Aufständische die Söhne der zu schützenden Leute sind, könnte das vielleicht funktionieren.
Gut, dass der Kommandeur ISAF und der US–Truppen in Afghanistan mit einer Richtlinie zur Aufstandsbekämpfung vorgibt, wie sich seine Unterstellten in einem fremden Land zu verhalten haben. Zu viele Verstöße und Verletzungen solcher Regeln waren in der Vergangenheit zu verzeichnen.
Aber es sind elementare Verhaltensanweisungen, die der General seinen Kriegern erteilt: achtet die Menschen und ihr Eigentum; verlasst eure Kampffahrzeuge, wenn ihr in Dörfer kommt; setzt eure Sonnenbrillen ab, wenn ihr den Menschen begegnet etc.
Viele dieser Verhaltensregeln stellen doch aber normale Umgangsformen zwischen Menschen dar. Der Drill solchen Verhaltens – das ist doch die Aufgabe der militärischen Ausbildung vor der Entsendung der Soldaten in ein Kriegsgebiet. Wie stark müssen die Eigenschaften der Ranger verkümmert sein, dass solch detaillierte und elementare Hinweise zur Chefsache erklärt werden mussten?
Die Afghanen sind kriegsmüde und haben die Nase voll von Besatzung und gewaltsamer Kontrolle. Und als Besatzer werden nicht nur die ausländischen Truppen wahr genommen, sondern auch die afghanische Armee und Polizei, weil sie sich meist aus den nicht - paschtunischen Stämmen rekrutieren und weil sie als Vollstrecker eines korrupten Regimes betrachtet werden.
Wir im Westen denken in materiellen Kategorien. Deshalb hier ein Beispiel in diesen Kategorien: das Geld, welches ein Diplomat oder General für ein Abendessen mit zehn Gesprächspartnern aufwendet, muss auch reichen für die Ernährung einer zehnköpfigen paschtunischen Familie über viele Wochen. Das macht die Relationen deutlich, die sich leider seit 2001 nicht verändert haben. Und die einfachen Afghanen wissen dies. Viele mögen ungebildet sein, aber sie nicht dumm. Die Mehrheit der paschtunischen Landbevölkerung verfügt über keine Arbeitseinkünfte. Sie leben von der Hand in den Mund, von der Selbstversorgung, vom Tauschgeschäft oder sie schicken ihre Söhne zu den Aufständischen, damit ihr Sold der Familie zur Verfügung steht und damit sich vielleicht etwas an ihrem hoffnungslosen Leben ändert.
Ich wünsche unseren ISAF–Soldaten, dass es ihnen gelingen möge, der Idee der neuen Strategie zu folgen, dass es ihnen gelingen möge, Gefahren von der Zivilbevölkerung weitgehend abzuwenden und sich selbst effektiv schützen zu können.
Und ich wünsche uns allen, dass mit der neuen Strategie der Weg zu einem Waffenstillstand, zur Versöhnung und zu Vertrauen und Frieden geebnet wird. Auch das geht nur über Vertrauensbildung – allerdings auch zum Gegner, mit dem die Waffenruhe vereinbart werden soll.
Der Autor ist Oberstleutnant der Bundeswehr und vertritt in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen.
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