Das "Vertrauen der Finanzmärkte wiederherstellen" ?
Aus der EZB verlautete gestern, die alles überragende Aufgabe jedweder griechischen Regierung sei es, "das Vertrauen der Finanzmärkte wiederherzustellen". Für jede andere Regierung gilt das natürlich auch. Griechenland wird nur deswegen herausgehoben, weil hier die Fähigkeit, das zu tun, sehr in Frage steht. - Das "Vertrauen der Finanzmärkte" - also die Bereitschaft der "Investoren", Staatsanleihen zu kaufen, steht in der gesamten westlichen Welt an oberster Stelle. Jeder Staat, für den das nicht mehr gegeben ist, stürzt in den Abgrund, wie jetzt gerade Griechenland. Dieses "Vertrauen" wieder zu erlangen, macht erforderlich, dass ganze Generationen die aufgehäuften Schulden abbezahlen und "im Notfall" dafür existentielle Armut in Kauf nehmen müssen. Das ist nicht nur die Meinung der EZB, sondern das ist "Allgemeingut", etwas Selbstverständliches, unausweichlicher Sachzwang.
Weil das so ist, wird die Ungeheuerlichkeit dieses Anspruchs von der bürgerlichen Öffentlichkeit kaum erfasst. Das Schicksal der Völker hängt von den Geldverleihern ab ? Der Schuldendienst bestimmt darüber, wie die Masse der Bevölkerung leben kann ? Wenn er nicht mehr geleistet werden kann, ist es mit jeder normalen Existenz aus ? - Damit sind die Hosen heruntergelassen, der Arsch der bürgerlichen Gesellschaft bleckt nackt hervor. Ihre Repräsentanten schwören alle in irgendeiner gestelzten Formel, sich das "Wohl des Volkes" zur Richtschnur zu machen und "Schaden von ihm abzuwenden". Das war schon immer eine Lüge. Aber diesen Meineiden die Bedingung voranzustellen, "... soweit die Finanzmärkte das erlauben ...", ist ein postmoderner Fortschritt, der diese Meineide zu Offenbarungseiden macht.
So lange alles seinen leidlichen Gang geht, nehmen die meisten Bürger die Meineide hin, gläubig oder mit einem Hohnlächeln oder gelangweilt. Wenn, wie in Griechenland, die Löhne auf einen Schlag um ein Viertel oder ein Drittel gekürzt werden und in Aussicht gestellt wird, dass über Jahrzehnte hinweg nicht ein allmählich besser werdendes Leben in Aussicht steht, sondern eins mit verdammt eng geschnalltem Gürtel, geht das nicht mehr. Dann ist unausweichlich - auch sachzwangsmässig - die Frage gestellt: Kann eine Ordnung hingenommen werden, in der die Arbeit von Generationen von vornherein an irgendwelche Geldverleiher verpfändet ist ? Das ist auch eine Vertrauensfrage, unter anderem die nach der eigenen Denkfähigkeit, nach dem sinngemässen Erfassen der Realität, nach der Fähigkeit, aufrecht zu gehen und um ein sinnvolles eigenes Leben zu kämpfen.
Damit stehen zwei Vertrauensfragen, die sich wechselseitig ausschliessen: Soll das eigene Leben dazu dienen, das "Vertrauen der Finanzmärkte" wiederherzustellen ? Oder ist es nicht doch vielleicht klüger, nicht für die Geldverleiher, sondern zum eigenen Nutzen zu arbeiten ?
Im letzteren Fall entsteht dieser Sachzwang: Die Macht der Geldverleiher muss gebrochen werden; und da diese Macht ihren Ursprung im Profitmachen hat, das das Geldverleihen überhaupt erst ermöglicht, die Macht der Kapitalisten überhaupt. Der Schuldenstrick, der die Völker erwürgt, muss durchschnitten werden. Man muss die "Finanzgenies" eigentlich nicht einmal enteignen. Man muss die Reichtumsansprüche, die auf ihren Zetteln und Konten stehen, bloss ignorieren. - Ihr kriegt nichts mehr, weder Zins noch Tilgung, basta. Dann können die "Finanzinvestoren" ihre "Wertpapiere" als Altpapier in die Tonne werfen, und der Albtraum ist zu Ende.
"... Als ob das so einfach wäre ..." Nein, das ist es nicht. Aber gegen Sachzwänge kann man bekanntlich nichts machen.