Richtungskampf in der DKP. Patrik Köbele kandidiert für stellvertretenden Parteivorsitz.
In der DKP gibt es schon seit längerer Zeit politische Differenzen, deretwegen sich inzwischen regelrechte Strömungen ausgebildet haben. 2006 war nach mühsamen Diskussionen die Einigung auf ein neues Parteiprogramm gelungen, in dem die strittigen Positionen so eingingen, dass "alle damit leben" konnten.
Dieser Konsens ist mit der Vorlage Politischer Thesen des Sekretariats des Parteivorstands aufgekündigt. Diese haben programmatischen Charakter und zielen auf eine Revision des Programms ab - zugunsten eines politischen Kurses, der den kommunistischen Charakter der Partei in Frage stellt. Die Strömung um den stellvertretenden Parteivorsitzenden Leo Mayer macht damit den Versuch, die gesamte Partei ihrer Linie unterzuordnen.
Ähnliche Strömungen gab und gibt es auch in anderen kommunistischen Parteien; in Frankreich wollte der ehemalige Parteivorsitzende Hue die Partei "erneuern", in Italien der ehemalige Vorsitzende Bertinotti, in Österreich Walter Bayer. Die Folge war der Niedergang dieser Parteien und ihre Aufspaltung in verschiedene Organisationen.
In anderen kommunistischen Parteien konnten diese "Neuerungen" abgewehrt werden, so in Portugal und Griechenland. Diese Parteien konnten ihren Organisationsbestand und Masseneinfluss erhalten. In jüngster Zeit gibt es in der spanischen Partei, in der die "Erneuerer" eine Zeitlang dominierten, eine Umorientierung. Auch in Spanien war die PCE in Gefahr geraten, in der Izquierda Unida (Vereinigte Linke) aufzugehen. Jetzt reorganisiert sich die Partei.
Für die DKP sind solche Richtungskämpfe gefährlicher als für andere KPen, weil sie so klein ist, dass Abspaltungen schnell zur Existenzfrage werden. Meines Erachtens wäre es richtig gewesen, den 2006 erreichten Konsens gemeinsam zu vertreten, die bestehenden Strömungen in der praktischen Arbeit so gut wie möglich zusammen zu halten und die Führungsfunktionen ausgewogen und fair zu besetzen. Bei einer Reihe theoretischer Fragen geht es um aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen, die noch gar nicht mit letzter Sicherheit abschliessend beurteilt werden können. Bis dahin wäre das Programm von 2006 eine tragfähige Basis gewesen.
Die Strömung um Leo Mayer hat anders entschieden. Sie zwingt der Partei wíllkürlich und ohne sachlichen Grund eine neue Grundsatzdebatte auf und versucht auch organisationspolitisch, die Partei völlig zu dominieren.
Dagegen entwickelt sich Widerstand. Die Politischen Thesen wurden in der bisherigen Diskussion von der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer kritisiert und von vielen als ungeeignet für die Weiterentwicklung der Politik der DKP abgelehnt. Auch Mitglieder und Funktionäre, die sich lange aus den Streitigkeiten "herausgehalten" haben, weil sie um die Einheit und die Existenz der Partei fürchten, sehen sich jetzt gezwungen, Stellung zu beziehen. Sich "neutral" zu verhalten, ist jetzt kaum noch möglich, weil die Strömung um Leo Mayer fest entschlossen scheint, sich durchzusetzen.
Auf dem 19. Parteitag, der für den 9./10. Oktober 2010 nach Frankfurt/Main einberufen ist, werden die Weichen gestellt werden. Die Delegierten werden über das weitere Schicksal der DKP entscheiden müssen.
Der folgende Text ist ein Artikel von Patrik Köbele, der m.E. die Position derjenigen gut auf den Punkt bringt, die die Politischen Thesen für eine Gefährdung des kommunistischen Charakters der DKP halten.
Patrik Köbele
Vor dem 19. Parteitag der DKP:
Den eigenen Widersprüchen eine produktive Wendung geben
MIT NEUEM SELBSTBEWUSSTSEIN
IN DIE KLASSENKÄMPFE EINGREIFEN!
Die aktuelle kapitalistische Krise ist noch lange nicht überstanden. Das deutsche Kapital und seine politischen dienstbaren Geister versuchen, ihre eigene Position in der Krise zu stärken
und die Krisenlasten vorrangig auf die Arbeiterklasse und die Mittelschichten abzuwälzen. In dieser Lage bedarf es einer DKP, die es versteht, ein plausibles Handlungskonzept gegen die Politik der Herrschenden zu entwickeln und umzusetzen. Es bedarf einer DKP, die aktives,selbstbewusstes Handeln in den Tageskämpfen mit einer grundlegenden Kritik des kapitalistischen Wirtschafts- und Herrschaftssystems verbindet. Dazu brauchen wir klare, begreifbare und, gemessen an den Kräften der Organisation, sehr nüchterne Beschlüsse. Wir
brauchen eine Führung, die willens ist, die fähig ist, die mögliche Stärke dieser Organisation im Sinne einer kämpfenden Partei zu realisieren.
Alles deutet darauf hin, dass die gegenwärtige Mehrheit des Parteivorstands,die sich mit den PolitischenThesen des PV-Sekretariats eine Plattform gegeben hat, darauf setzt, die Partei weiter in ihrem Sinne zu formieren. Dafür stehen der Personalvorschlag für die Vorsitzenden und den Parteivorstand, die erkennbare Anlage des Parteitags ebenso wie die bislang vorliegenden Dokumente.
Offensichtlich hat sich eine Linie durchgesetzt,wie sie am deutlichsten vonThomas Hagenhofer, dem Bezirksvorsitzenden der DKP Saar, vertreten wird. Er sagt:„Machen wir uns also nichts vor: Es gibt zurzeit keine gemeinsame DKP. Die politisch-ideologischen
Unterschiede zwischen Berlin und Saarbrücken, zwischen München und Brandenburg sind so groß, dass die Spaltung in der Praxis real ist – so sehr wir uns eine andere Realität wünschen mögen. Würden da nicht dieselben drei Buchstaben stehen, niemand käme auf den Gedanken, dass es sich um ein und dieselbe Organisation handelt. (…) Es gibt vor diesem Hintergrund erst recht keine Hoffnung, dass sich diese Spaltung überwinden lässt" [1].
Nun will ich gar nicht anzweifeln, dass die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Politischen Thesen einerseits und dem sogenannten 84er-Papier bzw. dem Krisenaktionsprogramm andererseits riesig sind und inhaltlich überwundenwerden müssen. Die Politischen Thesen jedenfalls stellen aus meiner Sicht eine Aufgabe der Identität als kommunistische Partei dar [2]. Ich will auch gar nicht bezweifeln, dass diese tiefen inhaltlichen Unterschiede aktuell dazu
führen, dass das politische Eingreifen der DKP in verschiedenen Städten oder
Bezirken stark differiert.
Allerdings ist es ein Problem, dass diese inhaltlichen undpolitischen Unterschiede nicht für die gesamte Mitgliedschaft der DKP transparent sind. Es ist nur zu deutlich, dass die gegenwärtige PV-Mehrheit diese Transparenz überhaupt nicht will. In der UZ kein Wort zur Thesendiskussion, sie wurde ins Internet abgeschoben. Die Politischen Thesen selbst jedoch sollen Grundlage für die Vorbereitung einer theoretischen Konferenz im Jahr 2011 sein, sie wurden gedruckt und können bestellt werden. Sie werden Bruderparteien übergeben und als Quelle in Bildungsmaterialien benannt.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht für Denk-oder Diskussionsverbote. Wenn größere Teile der Partei solche Inhalte wie in den Politischen Thesen formulieren, dann muss man sie diskutieren. Allerdings muss eine solche Diskussion auch den Namen verdienen, indem alternative Positionen streitbar, verständlich und für alle Parteimitglieder zugänglich veröffentlicht werden.
Die Politischen Thesen sind ein programmatisches Dokument, das eine Revision des Partei
programms nach „rechts" bereits vorwegnimmt. Damit ist es als Diskussionsgrundlage untauglich.
Das Hauptziel der derzeitigen PV-Mehrheit besteht darin, das innerparteiliche Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verändern. Dieser Kurs ist erkennbar, auch wenn versucht wird, ihn zu
vernebeln. Gerade fehlende Transparenz und das Vermeiden inhaltlicher Klärungsprozesse begünstigt den Kurs der scheibchenweise Transformation der DKP auf Positionen der Politischen Thesen: Ein Kurs des schrittweisen Übergangs weg vom Parteiprogramm hin zu programmatischen Positionen, die von denen der PdL kaum zu unterscheiden sind.
Personalpolitisch zielt die gegenwärtige PV-Mehrheit auf den Erhalt der Mehrheiten im PV und die alleinige Besetzung der Vorsitzenden-Funktionen und des Sekretariats durch ihre Vertreterinnen und Vertreter. Im Sinne der organisationspolitischen Festigung der
eigenen Position ist ein solches Ziel verständlich – für die weitere Existenz der DKP als kommunistische Partei aber ist es katastrophal.
Ein „Weiter so!" in der Führungsarbeit der DKP, für das Bettina Jürgensen, Nina Hager und
Leo Mayer aus heutiger Sicht stehen, bedeutet die Denunziation eines erheblichen Teils des Parteiaktivs als linksradikal und verschärfte organisationspolitische Kontroversen, bedeutet
fehlende Transparenz über inhaltliche Unterschiede und Debatten, bedeutet Schmusekurs mit PdL und Europäischer Linkspartei.
Auch hier zur Klarstellung: Eine Ablehnung eines Kurses des Hinter-der-PdL-Herlaufens ist nicht zu verwechseln mit einer Ablehnung von Bündnispolitik. Eine Zusammenarbeit aller Linkskräfte gegen die Angriffe des Kapitals ist dringend geboten.
Ein prinzipienloses Anbiedern an die Linkspartei ist allerdings für alle Beteiligten schädlich. Wir sollten uns wieder angewöhnen, im Sinne unserer erprobten Aktionseinheits-und Bündnispolitik zu fragen: Wo können wir zur Stärkung der Positionen des Widerstands gegen die Krisenabwälzung gemeinsam handeln? Wo müssen wir aber auch antikommunistische Positionen und Illusionen über die Klassenverhältnisse in diesem Lande bekämpfen?
Nach diesen Überlegungen ergibt sich für den Parteitag meiner Ansicht nach vor allem: Er darf nicht zu einer Spaltung der Partei führen! Die Spaltung einer Organisation, das wissen wir aus unserer Geschichte (1988/89), kann unvermeidlich werden, wenn die inhaltlichen Unterschiede zu groß sind. Ein möglichst hohes Maß an Verantwortung für die weitere Perspektive verlangt aber, dass sich möglichst alle Mitglieder, egal mit welcher inhaltlichen Position, ihres Handelns bewusst sind. Voraussetzung für Klarheit und bewusstes Handeln ist
ein solidarischer Umgang miteinander und Transparenz in Bezug auf die zentralen politischen Fragen.
Konkret heißt das für diesen Parteitag:
• Der Parteitag muss Signale in Richtung des stärkeren und selbstbewussten Eingreifens der Partei in die Klassenkämpfe geben, das erfordert Schritte in Richtung der Klärung unserer kommunistischen Identität und eine verständliche, den Kräften der Organisation angemessene und mobilisierende Handlungsorientierung.
• Das höchste Gremium der Partei, der Parteitag würde sich selbst entmündigen, wenn er nicht dazu Stellung nimmt, dass das Arbeitsgremium des Parteivorstands, das Sekretariat, Politische Thesen vorgelegt hat, die die kommunistische Identität der Partei in Grundfragen revidieren. Deshalb muss der Parteitag verdeutlichen, dass dieses Dokument nicht die Grundlage einer Diskussion in der Partei sein kann. Auf Basis des Parteiprogramms muss die transparente Diskussion strittiger Fragen mit all den Teilen der Partei organisiert werden, die nicht auf die Spaltung der Partei und Denunziation einer politischen Position orientieren. Dabei helfen einseitige Auslegungen der Fragen, in denen das Parteiprogramm einen Kompromiss darstellt, nicht weiter.
• Der PV-Antrag einer Politischen Resolution des Parteitags geht mindestens beim Thema ,politische Macht der Arbeiterklasse‘, bei der ideologischen Grundlage unserer Partei
und bei der Imperialismusanalyse den Weg der Politischen Thesen. Der Antrag der Landesorganisation Berlin hat das sogenannte 84erPapier und das Krisenaktionsprogramm weiterentwickelt, dabei die kritischen Anmerkungen vieler Genossinnen und Genossen einbezogen und stellt deshalb eine gute Alternative dar.
• Der PV-Antrag für das Aktionsorientierte Forderungsprogramm ist eine unstrukturierte, von Wunschdenken gezeichnete Ansammlung von Forderungen. Eine Alternative ist dringend erforderlich. Hier stellt der Antrag aus Hamburg-Altona eine diskussionswürdige Alternative dar.
• Große Bedeutung wird der Korrektur des Alleinvertretungsanspruchs der jetzigen PV-Mehrheit im personellen Bereich zukommen. Vorsitzende und ein Sekretariat, das sich
ausschließlich aus Vertretern der Autorengruppe der Politischen Thesen zusammensetzt, ein PV, der diese Positionen mit übergroßer Mehrheit teilt, stehen, wie wir in den letzten Jahren leidvoll erfahren haben, nicht für die notwendigen politischen Klärungsprozesse. Ein solcher PV besitzt nicht die Fähigkeit zur politischen Führung der Organisation. Genossen, die offen zur Spaltung der Partei aufrufen, sollten nicht mehr im PV vertreten sein.
Ich lege hier meine Position in den Kontroversen im Vorfeld des 19. Parteitags
dar. Um diesen Inhalten auch Gesicht zu geben, habe ich mich entschlossen, für
das Amt eines stellvertretenden Vorsitzenden zu kandidieren.
Quellen:
[1] Internet-Fundstelle:
www.kommunisten.de/attachments/1347_
T025_thomas_hagenhofer_210210.pdf
[2] Internet-Fundstelle:
www.kommunisten.de/attachments/1286_
T012_Patrik_Koebele_070210.pdf
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Patrik Köbeles Artikel steht in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Theorie + Praxis, Heft 22, September 2010. Der Heftinhalt wird demnächst auch im Netz nachzulesen sein: http://www.tundp.info/ ... update 27.10.2010: kann inzwischen heruntergeladen werden.
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Das Politischen Thesen des DKP-Parteivorstands können hier nachgelesen werden: http://www.kommunisten.eu/index.php?option=com_content&view=category&id=100&Itemid=236 . Die ins Internet gestellten Diskussionsbeiträge zu diesen Thesen stehen hier: http://www.kommunisten.eu/index.php?option=com_content&view=category&id=99&Itemid=235 .
Hier stehen die Anträge des Berliner Landesverbandes der DKP an den 19. Parteitag - Vorschlag für ein Krisen-Aktionsprogramm und Antrag auf Zurückweisung der Politischen Thesen durch den Parteitag: http://www.kommunisten.eu/index.php?option=com_content&view=category&id=99&Itemid=235