Wer war Walter Ulbricht ?

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

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30. Juni 1893 - Gedanken zu Walter Ulbricht
 
Portraitbild von Walter Ulbricht aus dem DDR-Kabinett-Bochum
Wer war Walter Ulbricht, von dem man heute sagt, dass es vermutlich in der deutschen Geschichte keine zweite Persönlichkeit gibt, deren Bild so verzeichnet ist wie das von Ulbricht, der zu den erfolgreichsten und zugleich am meisten gehassten Politikern des vergangenen Jahrhunderts zählt.

Geboren wird er am 30. Juni 1893 als Sohn einer Schneiderfamilie und sozialdemokratischen Funktionärs in Leipzig. Er erlernt den Beruf eines Möbeltischlers, schließt sich 1908 der sozialdemokratischen Arbeiterjugend an, wird 1912 Mitglied der SPD, wirkt im ersten Weltkrieg als Antimilitarist im kaiserlichen Heer, bewährt sich in der Novemberrevolution 1918/19 und seitdem als Kommunist, ist bereits seit 1921 Berufsrevolutionär. Er arbeitet in hohen Funktionen in der KPD sowie im EKKI insbesondere auf organisatorischem Gebiet und von Juni 1929 bis November 1932 als Politischer Leiter der Bezirksorganisation Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark. Führend ist er im antifaschistischen Kampf tätig. Die stalinistischen Repressalien in der UdSSR in den dreißiger Jahren übersteht er im wesentlichen unbeschadet. Er gehört dem engsten Führungskreis der KPD an. Während des zweiten Weltkrieges ist er Mitbegründer des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ 1943 und im Einsatz an der Seite der Roten Armee.

1945 Leiter der in Berlin tätigen ersten Initiativgruppe der KPD zur Schaffung antifaschistisch-demokratischer Organe und zur Normalisierung des Lebens, eine der treibenden Persönlichkeiten bei der Vereinigung von KPD und SPD zur SED und bei deren Entwicklung zu einer marxistisch-leninistischen Partei nach dem Beispiel der KPdSU. Maßgeblich unter seiner Leitung werden die Grundlagen der neuen Wirtschafts-, Staats- und Rechtsordnung in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR geschaffen. Er betreibt in entscheidendem Maße die Gründung der DDR und ist Initiator des Übergangs zum Aufbau des Sozialismus. Aus der Krise der SED und der DDR 1953 und innerparteilichen Auseinandersetzungen mit seinen Widersachern in den fünfziger Jahren geht er gestärkt hervor.

Mindestens seit Beginn der fünfziger Jahre, also viele Jahre vor dem Tod Wilhelm Piecks 1960 und Otto Grotewohls 1964, ist er zum mächtigsten Mann in Partei und Staat aufgestiegen. Um den Frieden zu sichern und der Ausblutung der DDR Einhalt zu gebieten, betreibt er, seit 1960 Vorsitzender des Staatsrates, den zuverlässigen Schutz der Grenzen zu Westberlin und zur BRD. Er arbeitet weiterführende Vorstellungen aus über die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft in einem industriell entwickelten, gespaltenen und mit einem starken imperialistischen Gegner unmittelbar konfrontierten Land.
Das findet seinen Ausdruck in der Konzipierung des neuen ökonomischen Systems des Sozialismus und in der Bestimmung der sich daraus ergebenden weitreichenden Konsequenzen.

Ständig lernend und Probleme zeitig erkennend initiiert er viele Reformen, um den Sozialismus effektiv zu gestalten. Die von ihm in Angriff genommenen tiefgreifenden Reformen verleihen dem Sozialismus in der DDR spezifische Züge, die zugleich die internationalen Erfahrungen bereichern. Auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens wirkt er vorwärtsdrängend – als Ökonom, Staatswissenschaftler, Städteplaner und Architekt, als Historiker sowie als Freund und Förderer von Wissenschaft und Technik, Literatur, Kunst und Sport. Unter seiner Leitung wird der Entwurf der sozialistischen Verfassung der DDR ausgearbeitet, dem nach breiter öffentlicher Diskussion die Bevölkerung in einem Volksentscheid am 6. April 1968 mit der eindrucksvollen Mehrheit von 94, 49 Prozent aller Abstimmungsberechtigten zustimmt. Er setzt sich ein für ein einheitliches, friedliebendes und demokratisches Deutschland und – nach dem Scheitern dieser Hoffnung – für gleichberechtigte Beziehungen zwischen DDR und BRD. Er wirkt für Frieden, Sicherheit und antiimperialistische Solidarität, für die Festigung der sozialistischen Gemeinschaft und die Stärkung der Aktionseinheit der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung.

Am 3. Mai 1971, noch vor dem VIII. Parteitag, gibt er die Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees ab. Bis zu seinem Tod am 1. August 1973 und weit darüber hinaus wird er von vielen Freunden des Friedens und des Sozialismus diesseits und jenseits der Grenzen geachtet, von den Mitstreitern respektiert und verehrt, von den Gegnern des Sozialismus – wie kann es anders sein – geschmäht und verleumdet, von manchen aber auch ob seiner Leistung bewundert. ...
Walter Ulbricht war – wie wir alle – nicht frei von übertriebenen Erwartungen, vom Überschätzen des Erreichten und des Möglichen. Doch verglichen mit illusionären Vorstellungen der Führungen der KPdSU – vor allem unter den Nachfolgern Stalins – und anderer regierender Parteien sozialistischer Länder waren Ulbrichts Einschätzungen den Realitäten oft wohl noch am nächsten. Und insbesondere gaben ihm die Fortschritte der DDR, besonders nach dem 13. August 1961, recht. Durch sie sah er sich in seiner Auffassung bestärkt, dass er – oft früher und genauer als andere – Veränderungen der Lage und die Anforderungen daraus realistisch eingeschätzt und entsprechende Aufgaben herausgearbeitet, die Wege richtig gewiesen habe. Allerdings blieb auch bei ihm eine Kluft zwischen erkannten Anforderungen einerseits und den begrenzten Möglichkeiten andererseits, ihnen gerecht zu werden.

Kurt Hager schrieb über ihn: „Er besaß große politische und organisatorische Erfahrungen und Fähigkeiten, die er zielstrebig einsetzte. Man konnte mit ihm reden, er nahm Vorschläge an, aber letzten Endes machte er doch , was er wollte ... Wir hatten viele Gespräche ... er suchte den Gedankenaustausch. Für Witze hatte er kein Verständnis ... Wahrscheinlich war sein Ernst das Ergebnis eines harten Lebens, in dem es viele gefährliche Momente und heftige Auseinandersetzungen gegeben hatte .. Er war ein Arbeiterfunktionär alter Schule. der in der kommunistischen Bewegung großes Ansehen genoss. Die Gegner der DDR taten alles, um ihn herabzusetzen. Sie mussten ihm aber die außerordentlichen Eigenschaften wie Realitätssinn und Einfallsreichtum zubilligen. Manche wollten ihn nur als bloßen Satrapen Moskaus sehen. Er war jedoch ein eigenständiger Politiker, der sich nicht scheute, seine eigene Meinung zu äußern.“1 ...

Gegen Ende der sechziger Jahre verstärkten sich bei Ulbricht übertriebene, subjektivistische Erwartungen hinsichtlich der Wirtschafts- und Wissenschaftsentwicklung, traten, wie Kurt Hager urteilte, „einige seiner negativen Eigenschaften wie Eigenmächtigkeit, Rechthaberei und Starrsinn immer stärker hervor“.2 Sie führten zu Rückschlägen, wie sie vor allem im Vorfeld der 14. Tagung des Zentralkomitees Mitte Dezember 1970 kulminierten und zu Korrekturen drängten. Seine mit den Realitäten immer mehr kollidierenden wirtschaftsstrategischen Zielstellungen sowie seine auf den Widerstand Breshnews stoßende Taktik gegenüber der Brandt-Scheel-Regierung waren begleitet von eigenem „Sendungsbewusstsein“. Dieses Bündel von objektiven Hindernissen und Schwierigkeiten und subjektiv geprägten Belastungen – vor allem Rückschläge auf ökonomischem Gebiet, die ihn zunehmend angreifbar machten – führten letztlich zu dem von der übergroßen Mehrheit der Mitglieder und Kandidaten des Politbüros betriebenen und von Breshnew unterstützten Rücktritt Ulbrichts von seiner Funktion als Erster Sekretär des Zentralkomitees, der dann am 3. Mai 1971 erfolgte.
Hager meinte, „dass nach 1945 zwei deutsche Politiker einander ebenbürtig waren in der Konsequenz, mit der sie ihre Ziele verfolgten – Adenauer mit seiner Westorientierung und Ulbricht mit seinem Streben nach einer starken, modernen sozialistischen DDR“.3 Und Sebastian Haffner nannte ihn – allerdings schon 1966 – den erfolgreichsten deutschen Politiker nach Bismarck und neben Adenauer.

Walter Ulbricht gehört zweifellos zu den Persönlichkeiten, die den Verlauf der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert über drei Jahrzehnte – von den vierziger bis zu den sechziger Jahren – maßgeblich, ja entscheidend mit geprägt und auf den Gang der allgemeinen Geschichte der neuesten Zeit entscheidend eingewirkt haben, und zwar im Sinne des Friedens, der antiimperialistischen Solidarität und der Schaffung des Beispiels einer sozialistischen Gesellschaft auf deutschem Boden. Alle wichtigen Ereignisse, und zwar nicht nur Defizite und Schwierigkeiten, sondern vor allem große Fortschritte und beeindruckende Errungenschaften im Leben der DDR, sind auf das Engste mit dem Wirken Walter Ulbrichts verbunden.

Person und Werk Walter Ulbrichts gegen alle dem „Zeitgeist“ hörigen Entstellungen sachlich und ausgewogen zu würdigen, sollte uns künftig mehr als bisher ein wichtiges Anliegen sein.

Prof. Dr. Eckhard Trümpler

1 Kurt Hager: Erinnerungen, Leipzig 1996, S. 309.
2 Ebenda.
3 Ebenda, S. 309/310

Veröffentlicht in DDR

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G
<br /> Stimmt.<br />
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G
<br /> Ich verbuch das Einmengen des Hafner-Zitats von der "Ebenbürtigkeit" der Politiker Adenauer und Ulbricht als antimaterialistischen Subjektivismus, um in Kurts Diktion zu bleiben.<br />
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S
<br /> <br /> Schon möglich, aber was solls. Du wirst Dich doch nicht über die Vermengung zweier "Kommunistenjäger" aufregen ?<br /> <br /> <br /> <br />
G
<br /> Ah, den kenn ich! War in den 30ern ein bekannter Kommunistenjäger.<br />
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S
<br /> <br /> Das verbuch ich unter der Rubrik unflätig.<br /> <br /> <br /> <br />