Zum Stand der Vorbereitungen eines Überfalls auf den Iran

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

von

Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden (BAK AuF) von Linksjugend ['solid] und

 

DieLinke.SDS

 

28. November 2011

 

 

One-Way Ticket to Teheran

 

 

„Wir schließen keine Option aus“

 

 

 

 

 

Einige Tage blieb es in den Medien ruhig um den Iran, nachdem Israels Regierung zum

 

wiederholten Male mit Militärschlägen drohte und Barack Obama verkündete, dass er keine Option

 

in seiner Iranpolitik ausschließe, weil es angeblich laut der Internationalen Atomenergiebehörde

 

(IAEA) neue Hinweise auf ein iranisches Atomprogramm nach 2003 gebe. Es war nur die Ruhe vor

 

dem nächsten Sturm. Hinter den Kulissen ging die (neo)imperialistische Politik gegen den Iran

 

unvermindert weiter. Es folgten das erste Ultimatum an den Iran und eine weitere Sanktionsrunde.

 

Die Zeichen stehen mittlerweile auf Krieg.

 

 

 

 

Ein Bericht, Legendenbildung und ihre Folgen

 

 

 

 

 

Sowohl die aktuelle Zuspitzung infolge der vor der offiziellen Publikation an die Öffentlichkeit

 

gebrachten Informationen aus dem Bericht der IAEA über eine militärische Komponente des

 

iranischen Atomprogramms

1 als auch deren Folgen basieren auf nebulösen Interpretationen

westlicher Falken – und nicht auf Fakten oder Beweisen. Auch wenn es kleine Ungereimtheiten

 

gibt: die IAEA kann keine Belege für ein militärisches Atomprogramm liefern, nicht einmal mit

 

Geheimdienstinformationen aus den USA, die zudem noch höchst umstritten sind.

2

Die Abstände zwischen den Sanktionsrunden gegen den Iran werden dennoch kürzer, die neuen

 

Sanktionen sind die härtesten in der Geschichte. Die USA, Kanada und Großbritannien haben am

 

22. November 2011 bereits einseitig neue Restriktionen gegen den Iran beschlossen. VertreterInnen

 

der EU kündigten unterdessen ebenfalls nächste Schritte an und auch die USA wollen nochmal

 

nachlegen.

3 Eine Ausweitung der bestehenden UN-Sanktion scheitert im Moment nur am

Widerstand Chinas und Russlands. Der derzeitige IAEA-Chef Amano forderte zusätzlich zu den

 

laufenden Kontrollen Inspektoren, die den Iran durchkämmen. Eine neue Resolution des

 

Leitungsgremiums der IAEA wurde am 18.11.2011 mit den Stimmen aller ständigen UNSicherheitsratsmitglieder

 

und großer Mehrheit verabschiedet.

4 Das erste Ultimatum wurde dem Iran

gesetzt: Bis Ende März 2012 müsse der Iran für Klarheit in den strittigen Punkten sorgen.

5 Die im

bürgerlichen Recht verankerte Unschuldsvermutung wird damit im Handstreich umgekehrt. Auch

 

ausladende Erklärungen des Iran zu strittigen Punkten oder Vorwürfen konnte dies nicht verhindern.

 

Der Verhandlungsprozess zwischen dem Sextett (alle ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats

 

und die Bundesrepublik Deutschland) und dem Iran, der bislang als modus operandi zur

 

Konfliktlösung galt, besitzt momentan keine Relevanz mehr.

 

All dies erinnert zunehmend an die Vorbereitung des Irak-Kriegs. Auf Sanktionsrunden, die vor

 

allem die (ökonomische, politische und moralische) Kriegsfähigkeit des potentiellen Gegners

 

schwächten, folgten Inspektoren, die nichts bei ihrer Suche fanden. Zweifelhafte und zunehmend

 

drohende UN-Resolutionen flankierten die Propagandaoffensive. Ultimaten wurden verkündet und

 

verstrichen. Es bleibt abzuwarten, ob auch Hillary Clinton im UN-Sicherheitsrat der

 

Weltöffentlichkeit abenteuerliche „Belege“ für die Existenz von Massenvernichtungswaffen

 

vorführen wird – wie einst Colin Powell –, um einen Krieg zu rechtfertigen, für den es keine

 

Grundlage gibt außer den (neo)imperialistischen Interessen westlicher Regierungen und des

 

westlichen Kapitals.

 

 

 

Westliche Kriegsvorbereitungen

 

 

 

Unterdessen werden militärische Vorbereitungen getroffen. Die US-SoldatInnen, die aus dem Irak

 

abgezogen worden sind, hat das Pentagon in den Nachbarstaaten des Iran, beispielsweise in Kuwait

 

 

1

 

http://www.iaea.org/newscenter/focus/iaeairan/bog112011-65.pdf

2

 

http://www.jungewelt.de/2011/11-10/051.php

3

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,799106,00.html

4

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,798508,00.html

5

 

http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-11/IAEA-Iran-Atomprogramm

stationiert. Neue US-Truppen sind in die Region entsandt worden.

6 Gleichzeitig sind rund um den

Iran neue US-Militärstützpunkte entstanden, auf denen mehrere Zehntausend US-SoldatInnen

 

stationiert wurden, unter anderem im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Bahrain, Katar usw. Andere

 

Anrainerstaaten des Iran, die zugleich dessen erbitterte regionale Widersacher sind, wie z.B. Saudi-

 

Arabien oder Israel, werden unter anderem von der Bundesrepublik aufgerüstet

7 – trotz der blutigen

Niederschlagung des Arabischen Frühlings im Bahrain durch Saudi-Arabien. Die bekannten

 

Kriegspartner der USA planen ebenfalls bereits für einen möglichen Krieg, der noch vor den USPräsidentschaftswahlen

 

beginnen könnte.

8 Die Regierung der Niederlande hat offen ihre

Unterstützung für militärische Operationen kund getan.

9 Wikileaks enthüllte, dass es für ein solches

Vorgehen von den US-Partnern im Nahen Osten ohnehin einen Freibrief gibt bzw. diese ein

 

militärisches Vorgehen sogar teilweise einfordern.

10

Strategisch gilt der Iran ohnehin schon lange als ausgemachtes Ziel. Der Iran ist der einzige Staat,

 

der bei der zukunftsweisenden Konferenz der NATO im vergangenen Jahr in Lissabon von den

 

anwesenden Staatschefs als mögliches nächstes Kriegsziel ausgegeben wurde. Einzig der türkische

 

Protest verhinderte, dass der Iran explizit als militärischer Feind in der neuen Strategie des

 

westlichen Kriegsbündnisses „Active Engagement, Modern Defence“

11 erwähnt wurde. Frankreichs

Präsident Sarkozy, mittlerweile etablierter Feldherr, machte jedoch noch während des NATOGipfels

 

keinen Hehl daraus, dass es den Iran in naher Zukunft treffen könnte.

 

In der aktuellen Nationalen Sicherheitsstrategie der USA wird dem Iran in traditioneller George

 

Bush-Manier lediglich die Wahl zwischen der Aufgabe des eigenständigen Kurses und nicht

 

spezifizierten „multiple means“

12 gelassen, mit deren Hilfe die US-Administration den Iran weiter

isolieren und notfalls zur „Einhaltung der internationalen Verpflichtungen“ zwingen will.

 

 

 

Westliche Doppelmoral

 

 

 

Ein militärisches Atomprogramm, an dessen Ende eventuell eine iranische Atombombe stehen

 

könnte, ist nicht per se eine Bedrohung für die NATO, auch nicht ihre illegale Entwicklung. Die

 

Politik der Doppelstandards ist hinlänglich bekannt: Indien, Pakistan, Israel – sie alle sitzen auf der

 

Bombe, obwohl sie sie eigentlich niemals hätten produzieren dürfen, ohne dass sie dafür irgendeine

 

Strafe erwarten müssten. Die NATO selbst betont, dass sie an Atomwaffen und deren Einsatz

 

festhalten will. NATO-Militärs haben in Afghanistan und im Irak Gebrauch von Uranmunitition

 

gemacht.

 

Wir lehnen es generell ab, Atombomben zu entwickeln und zu besitzen und sehen die derzeitigen

 

Atommächte zuvorderst in der Pflicht, ihre Atomwaffen umgehend unschädlich zu machen, da von

 

jeder einzelnen eine große Gefahr für die Menschheit ausgeht, egal welcher Staat sie kontrolliert.

 

Finanzielle und politische Sanktionen werden auch kaum einen Staat davon abhalten, eine

 

Atombombe zu bauen, wenn er daran ein Interesse besitzt. Der herrschenden Klasse des Westens

 

geht es in diesem Konflikt aber gar nicht darum, dass der Bau von Atombomben grundsätzlich

 

verhindert werden und eine Welt ohne Atomwaffen geschaffen werden soll. Der potentielle Bau

 

einer iranischen Atombombe wird nur deshalb von dem Friedensnobelpreisträger Obama und seinen

 

europäischen Verbündeten als eine Gefahr dargestellt, weil ihn mutmaßlich ein Staat anstrebt, der

 

sich ihrem Einfluss entzieht und den sie als Problem für ihre ökonomischen, geostrategischen und

 

machtpolitischen Interessen und für die Interessen ihrer Verbündeten einstufen.

 

Auch die Menschen- und Frauenrechtsrhetorik der „internationalen Gemeinschaft“ gegenüber dem

 

Iran strotzt vor Heuchelei angesichts der Unterstützung und Aufrüstung des saudi-arabischen

 

 

6

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,794884,00.html

7

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,797117,00.html

8

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,795558,00.html,

http://www.hintergrund.de/201111031779/globales/kriege/britische-und-israelische-angriffsvorbereitungen-gegenden-

 

iran-krieg-rueckt-naeher.html

 

9

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,797753,00.html

10

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,731605,00.html

11

 

http://www.nato.int/lisbon2010/strategic-concept-2010-eng.pdf

12

 

http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_security_strategy.pdf

 

Regimes, der kolumbianischen MenschenrechtsverbrecherInnen, der Warlords in Kabul, Mazar-i-

 

Sharif usw. und nicht zuletzt den eigenen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in Kundus, Abu

 

Ghraib oder Guantanamo Bay. Mit zweierlei Maß messen die Regierungen des Westens ebenso,

 

wenn es um die Verletzung internationalen Rechts oder internationaler Normen geht: Für den

 

Kosovokrieg gab es z.B. kein UN-Mandat und bis heute reklamieren die USA für sich, im Notfall

 

auch gegen UN-Beschlüsse zu handeln. Strafen drohen ihnen dafür freilich nicht.

 

 

 

Die Hintergründe für die aggressive Iran-Politik

 

 

 

 

 

Der Iran verfügt nicht nur über Unmengen Öl und Erdgas, die sowohl für die Diversifikation der

 

Energiezufuhr der EU als auch für die – vorrangig US-amerikanische – Kontrolle des globalen

 

Zugangs zu den Schmiermitteln der Weltwirtschaft und ihrer Preise von zentraler Bedeutung sind.

 

Der Iran liegt auch direkt an der Straße von Hormuz, einem Seeweg, den 40 Prozent des global

 

gehandelten Öls passieren. Kaum auszudenken, was eine neoliberale Öffnung des Iran nach dem

 

afghanischen Beispiel zusätzlich für Kapitalanlagemöglichkeiten böte. Der Iran ist zudem das letzte

 

Hindernis für eine geostrategische Kontrolle des Nahen Ostens und wohl der – wenn auch

 

reaktionäre – machtpolitisch stärkste Opponent des westlichen (Neo)Imperialismus, der militärisch

 

 

 

noch

 

schlagbar wäre. Eine mögliche Atombombe des Iran wäre daher auch ein doppeltes Problem

für Washington, London, Berlin usw., weil – so das unausgesprochene Gesetz – man einen Staat,

 

der über die Bombe verfügt, nicht militärisch angreifen und dementsprechend politisch nicht

 

einschüchtern kann. Dies schwäche laut Stiftung Wissenschaft und Politik auch unwiderruflich die

 

Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO.

13

„Wir schließen keine Option aus“

 

 

 

Der israelische Premierminister Netanjahu drohte in den letzten Wochen nicht zum ersten Mal mit

 

einseitigen Militärschlägen gegen den Iran. Jüngst schloss allerdings US-Präsident Obama auch

 

„keine Option“ mehr aus.

14

Ein weiterer westlicher Angriffskrieg ist also durchaus im Bereich des Möglichen – mit allen

 

verheerenden destabilisierenden und eskalativen Konsequenzen für den Nahen Osten. Zu den

 

Opfern eines möglichen (neo)imperialistischen Kriegs gegen den Iran zählten nicht nur die

 

Wahrheit und die iranische Zivilbevölkerung. Auch der Aufbau einer linken Opposition wäre auf

 

Jahre zerstört, wohl wissend, dass die Repressionen nach Innen sich im Kriegsfall weiter drastisch

 

verschärfen würden. Militärische Konfrontationen zwischen dem Iran und anderen Staaten des

 

Nahen Osten wären bei einem Überfall ebenfalls keineswegs auszuschließen. Ganz zu schweigen

 

von weiteren Schüben für die globale Aufrüstungsspirale.

 

Diejenigen, die sich in der Bundesrepublik an der Vorbereitung von militärischen Operationen

 

materiell oder ideologisch beteiligen, z.B. indem sie das iranische Regime dämonisieren

15,

delegitimieren

16, doppelte Standards an die iranische Regierung anlegen (siehe oben) oder schlicht

eine militärische Operationen gutheißen

17, tragen Mitverantwortung für die Opfer und die Leiden,

die ein solches Vorgehen nach sich ziehen. Sie machen sich zum Gehilfen des westlichen

 

(Neo)Imperialismus und sind damit in guter Gesellschaft mit der deutschen Bundesregierung.

 

 

 

13

 

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/arbeitspapiere/WP_Thraenert_Nato_Juli_2011.pdf

14

 

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,797531,00.html

15

 

„Der Irre aus Teheran“ (BILD), der einen „Islamische[n] Weltherrschaftsanspruch“ (Stop the Bomb) formuliere und

als Wiedergänger Hitlers den „nächsten Holocaust“ (Henryk M. Broder) begehe. Vgl.

 

http://de.stopthebomb.net/de/text-audio-und-video.html und http://www.welt.de/debatte/henryk-mbroder/

 

article12356538/Ein-Ritual-ebenso-wohlfeil-wie-folgenlos.html

 

16

 

Z.B. durch Forderung nach einem „Regime Change“ (BAK „Shalom“) oder indem man den Iran der „Achse des

Bösen“ und der Gruppe der „Schurkenstaaten“ zuschlägt (George W. Bush) und sie damit als Kriegsgegner

 

ausweist.

 

http://bak-shalom.de/index.php/2009/06/14/pressemitteilung-14-juni-2009-wahlen-im-iran/

 

 

17

 

 

Der BAK „Shalom“ spricht z.B. von der „Notwendigkeit von Sanktionen und eventuellen Militärschlägen“ und

 

 

sieht im „Sturz der Islamischen Republik Iran [nicht nur z.B. ihrer derzeitigen Regierung; BAK AuF] die einzige

 

langfristige Perspektive“. http://bak-shalom.de/index.php/2010/06/18/19062010-nieder-mit-dem-islamischenregime-

 

im-iran-2/

 

 

Wir sehen allerdings trotz der Tatsache, dass die westlichen Regierung nun endgültig die Lunte des

 

riesigen Pulverfasses angezündet haben, keinen Anlass zur vorschnellen Hysterie. Vielmehr

 

betrachten wir es als unsere Aufgabe, bereits jetzt der Kriegspropaganda mit Aufklärung, der

 

antiiranischen Mobilmachung mit rationalen Argumenten und Ideologiekritik und dem möglichen

 

Krieg mit einer klaren Friedensposition und der Mobilisierung der Friedens- und

 

Antikriegsbewegung zu begegnen. Sollte es zu einem Krieg kommen, steht nicht nur die politische

 

Zukunft und Bedeutung der Friedens- und Antikriegsbewegung auf dem Spiel. Auch DIE LINKE

 

muss in diesem Einzelfall klar Position gegen den Krieg beziehen – sonst ist sie als

 

emanzipatorisches Projekt obsolet.

 

Bundesarbeitskreis Antimilitarismus und Frieden (BAK AuF) von Linksjugend ['solid] und

 

DieLinke.SDS

 

28. November 2011



______

Quelle: http://www.steinbergrecherche.com/20111128BAKAuFIranPositionspapier.pdf





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