Bullen oder Polizisten ?
"Die Polizei, dein Freund und Helfer" stand in den ersten Jahrzehnten der BRD auf den Plakaten, die in jeder Sparkasse aushingen. Die paternalistische Staatspropaganda wollte den Bürgern beibringen, dass die uniformierte Staatsgewalt nicht eine solche, sondern eine Art Bürgerservice sei. Die grösseren Städte hatten noch ihre eigenen Polizisten. Das Dienstfahrzeug des Dorfpolizisten war ein Fahrrad. Spezialeinheiten für den Fall kommunistischer Umtriebe standen trotzdem stets bereit. Dann begann man, die Reviere in der Fläche auszudünnen und als grössere Einheiten zu konzentrieren, buchstäblich weiter weg von den Bürgern, anonymer, apparatmässiger.
Heute bewirkt die Parole vom "Freund und Helfer" nur noch ein müdes Lächeln. Irgendwie wird Polizei ja schon sein müssen. Schliesslich gibt es keinen Staat auf der ganzen Welt, der keine hätte. Aber wenn man einen Fahrraddiebstahl anzeigt, macht der Beamte hinter dem Reviertresen zwar ein ordentliches Protokoll, bemerkt aber nebenbei, das Gestohlene wiederzufinden sei bestenfalls ein glücklicher Zufall. Ansonsten kennt man die Freunde und Helfer als Knöllchenverteiler und Leute, die mit gezückter Radarpistole hinterm Busch lauern, um via bewiesener Geschwindigkeitsüberschreitung der Staatskasse eine nette Nebeneinnahme zuzuführen. Der Freund und Helfer, der bei der Verkehrskontrolle "die Papiere bitte" sehen will, braucht bloss ein paar Mouseclicks, und schon weiss er mehr über dich als du selber, weil Datenbänke ein besseres Gedächtnis haben als Menschen. Und dann sind da diese Robocops im Fernsehen, die divisionsweise Atomtransporte und Staatsgipfel vor aufgebrachten Büergern schützen und dabei in der Regel nicht zimperlich sind. Da wird die Staatsgewalt eine wortwörtliche und sinnlich erfahrbare.
Die Polizisten selbst befinden sich in einer seltsamen Lage. Einerseits leben sie nicht anders als der Nachbar, der bei BMW am Band steht und sind bei jeder Mehrwertsteuererhöhung und sonstigen bürgernahen sozialen Wohltat als Zahlende dabei wie der auch. Andererseits besteht ihr Job darin, im Notfall Sachen mit Gewalt durchzusetzen, von denen sie immer mehr selber nicht einsehen. Bulle oder Polizist - so steht die Frage im Befehlsfall. Sie ist in der Regel schon entschieden, ehe sie sich konkret stellt: Schliesslich hängen Stellung und Gehalt davon ab, dass man tut, was befohlen wird. Aber je mehr davon man selber eigentlich gar nicht einsieht, desto mehr gesellt sich zum Gehorsam ein schlechtes Gefühl. - Sollte man nicht eigentlich für die Bürger da sein, anstatt sie zu neppen oder zu verprügeln und ihnen im übrigen meistens nicht helfen zu können, wenn sie sich auf "Recht und Ordnung" Hoffnungen machen ?
Wallmann senior hat sich Gedanken über diese Problemlage gemacht und in seine randzone geschrieben:
Das Dilemma eines Polizisten
Von Klaus Wallmann sen. | 9. September 2010
Vor dem Hintergrund der monopolfreundlichen Verlängerung der Laufzeiten der Strahlenmeiler durch die Regierung Merkel-Westerwelle und dem daraus resultierenden und bereits angekündigten Widerstand, veröffentlichte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) nur wenige Stunden nach der Entscheidung eine bemerkenswerte Pressemitteilung.
“Die Polizei wird zunehmend als Puffer zwischen Politik und Gesellschaft missbraucht”, beklagt sich darin der GdP-Bundesvorsitzende Freiberg. “Die Atompolitik ist das jüngste Beispiel dafür, wie sehr sich die Politik von Bürgerinnen und Bürgern abzusetzen scheint. Die Verlässlichkeit in politische Entscheidungen scheint einer … großen Nähe zur Wirtschaftslobby gewichen zu sein.”
Abgesehen von der bürgerlichen Denkweise, die in den daraus resultierenden Formulierungen zum Ausdruck kommt, sind die Feststellungen Freibergs zum einen richtig. Zum anderen widerspiegeln sie offenbar die Tatsache, daß wohl immer mehr Polizisten Probleme damit haben, während ihres Einsatzes gegen Demonstranten politische Entscheidungen faktisch verteidigen zu müssen, hinter denen sie selbst aber nicht stehen. Zudem sehen Demonstranten den Polizisten zwangsläufig als Vertreter des Staates und der Regierung, was ihn ebenso zwangsläufig in die Rolle des Prügelknaben bringt. Was das Problem verschärft.
Wenn Freiberg “eine Zuspitzung des immer offener zu Tage tretenden Konflikts zwischen Politik und Gesellschaft” befürchtet, so befürchtet er tatsächlich, daß der historische gesellschaftliche Widerspruch zwischen herrschender und unterdrückter Klasse deutlicher ins Bewußtsein der Massen rücken könnte. Als Staatsbeamter kann er das zwar nicht so ausdrücken - deshalb “befürchtet” er ja diese positive Entwicklung - doch an den Tatsachen kommt auch er nicht vorbei.
Und die Auswirkung dieser “Zuspitzung” hat er wohl auch in den Reihen seiner Polizisten wahrgenommen. Was verständlich ist, sind doch auch diese nicht nur “Staatsdiener”, sondern vor allem Mitglieder der Gesellschaft, in welcher Eigenschaft sie und ihre Familien ebenfalls alle Auswirkungen der herrschenden Politik erfahren. Wie immer weiteren Kreisen und Schichten der Bevölkerung klar wird, daß die bürgerlichen Politiker nur die Kommis des herrschenden Kapitals sind; wie immer mehr Bürger erkennen, daß es mit der bürgerlichen Demokratie nicht weit her ist; wie immer mehr Menschen deshalb zu Recht das Vertrauen in diese Regierungen von Gnaden der Monopole verlieren und damit der antagonistische Widerspruch zwischen herrschender und unterdrückter Klasse nicht nur immer sichtbarer, sondern auch immer schärfer wird, so geschieht das auch bei immer mehr Polizisten und anderen Staatsbediensteten. Stammen die meisten von ihnen doch ebenfalls aus der unterdrückten und nicht aus der herrschenden Klasse. Die Interessen, die sie als Polizisten verteidigen sollen, sind objektiv nicht die ihrigen, und vor allem nicht die ihrer Klasse. Und das ist ihr Dilemma, ihr persönlicher gesellschaftlicher Widerspruch.
Der angesichts einer immer offener praktizierten monopolfreundlichen und volksfeindlichen Politik ebenfalls nur größer und schärfer werden kann. Es wird abzuwarten bleiben, wie die Polizisten mit dieser “Gewissensfrage” umgehen werden, und wie sie sich letztlich entscheiden. Da die Polizei aber ein Exekutivorgan des Staates, also ein Instrument zur Herrschaftssicherung der derzeit herrschenden Klasse ist, werden Kapital und Regierung der von Freiberg angedeuteten Entwicklung innerhalb der Polizei nicht tatenlos zusehen. Sie werden alles Notwendige tun, um die Polizeitruppe ideologisch auf Vordermann zu bringen, damit sie “gewissenlos” selbst gegen die eigenen Brüder vorgeht, falls diese ernsthaft den Aufstand proben sollten.
Dem können wir nur mit Worten begegnen, indem wir jede sich bietende Gelegenheit nutzen, mit den Polizisten zu sprechen. Ihnen deutlich zu machen, daß das, wogegen man demonstriert, auch sie selbst, ihre Eltern und ihre Familien betrifft, daß sie sich der falschen Sache verschrieben haben. Ein Erfolg dieser mühseligen Kleinarbeit wird nicht sobald sichtbar sein, doch im Falle eines Falles könnte es von großer Bedeutung sein, daß ein Großteil der Exekutive nicht mehr dem Befehl der herrschenden Klasse folgt.
Klaus Wallmann sen.
http://www.randzone-online.de/?p=7405