In Frankreich tut sich was

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

Diese Roma sind furchtbar lästig, man muss sie vertreiben. 23 Burkaträgerinnen in ganz Frankreich sind ein nationales Problem. - So hätte es Sarkozy gern. Aber die Franzosen sind nicht so dumm, wie Sarkozy sie gern hätte. Nicht wenige erkennen, dass es nicht die Burkaträgerinnen sind, die ihnen die Renten kürzen und das Leben von Lohnarbeit immer sauerer machen.  

Millionen im Streik
Von Christian Giacomuzzi, Paris

 

So viele Menschen »wie seit Jahren nicht mehr« seien am Dienstag in Frankreich auf die Straße gegangen, bilanzierte am Ende des Tages ein Gewerkschaftssprecher. Die Streiks und der Protest von Millionen Franzosen – selbst den Zahlen des Innenministeriums zufolge demonstrierten allein in Paris 450000 – galten zuvorderst der sogenannten Rentenreform von Präsident Nicolas Sarkozy. Zugleich veranschaulichte die massenhafte Beteiligung aber auch den wachsenden Unmut über den scharfen Rechtskurs der konservativen Regierung. Bereits am vergangenen Wochenende hatten sich in der französischen Hauptstadt Zehntausende an Märschen gegen die Abschiebung von Roma aus Frankreich beteiligt; am Montag war es im Bildungssektor zu Ausständen gegen die dort geplante Vernichtung von Arbeitsplätzen gekommen. Der Widerstand formiert sich.

Am Dienstag diente der Auftakt zur Rentendebatte in der Nationalversammlung als Anlaß für die landesweiten Demonstrationen. In Marseille, Lyon, Bordeaux, Strasbourg und Dutzenden anderen Provinzstädten folgte schon am Vormittag weit über eine halbe Million Menschen dem gemeinsamen Aufruf aller großen Gewerkschaften. Die Streikbeteiligung in den Schulen betrug 55 Prozent, bei der Staatsbahn SNCF lag sie bei 52, bei der Post erreichte sie 40 Prozent. Etwa 35000 Beschäftigte von »France Telecom« traten in den Ausstand. Die Arbeit niedergelegt wurde auch in den Krankenhäusern, bei den öffentlich-rechtlichen Medien sowie in Banken und der Industrie. Der Nah- und Fernverkehr wurde stark beeinträchtigt; Flüge fielen aus.

 

»Unsere Rechnung ist aufgegangen«, konstatierte der Vorsitzende der Gewerkschaft UNSA, Alain Olive, in Paris. »Jetzt muß die Regierung sagen, welche Zugeständnisse sie machen wird.« Auch CGT-Chef Bernard Thibault zeigte sich optimistisch: »Das Gesetz kann in der Form nicht durchkommen.« François Chérèque von der CFDT meinte, es sei »die größte Sozialbewegung der letzten Jahre« entstanden. Diese hatte sich in den vergangenen Monaten an mehreren Protesttagen herausgebildet. Demonstriert wurde insbesondere gegen die Anhebung des Mindestrentenalters bis 2018 von 60 auf 62 Jahre, aber auch gegen das Vorhaben, wonach in Zukunft nach 1956 geborene Beitragszahler erst mit 67 Jahren Anrecht auf eine Vollrente haben, falls sie nicht vorher 41,5 Beitragsjahre nachgewiesen haben.

 

Die Regierung erklärte, daß das Gesetz »absolute Priorität« besitzt. Es soll im Schnellverfahren durchgedrückt werden. Während der Sommerferien berieten die Parlamentsausschüsse den Text, in den beiden Kammern des Parlaments ist jeweils nur eine Lesung vorgesehen, abgestimmt werden soll Ende Oktober.

 

»Wir müssen zur Rente mit 60 für alle zurückkehren«, erklärte unterdessen am Dienstag Sozialistensprecher Benoit Hamon. Die Kommunistische Partei (PCF) übergab in der Nationalversammlung 100000 Unterschriften gegen die Rentenpläne. Davon zeigten sich die Konservativen zunächst unbeeindruckt. Präsident Sarkozy kündigte »Festigkeit« an. Premierminister François Fillon rief die konservative Parlamentsmehrheit bei einem Treffen im Elyséepalast zu »völliger Einheit« auf. An dem angestrebten höheren Renteneintrittsalter sei nicht zu rütteln.

 

junge Welt

Veröffentlicht in Frankreich

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post
A
<br /> <br /> Eher früher als später wird es knallen in Europa! Wenn die Staaten schon soweit gefleddert sind, dass man an das soziale "Eingemachte" gehen muss, um dem unersättlichen Kapital seine Rendite zu<br /> liefern, dann spitzt sich die Lage unvermeidlich zu. Woher soll nächstes Jahr die Rendite kommen? Woher übernächstes Jahr? Es liegt auf der Hand, das dies nicht klappen kann, sondern sehr schnell<br /> scheitern muss! Kürzlich las ich, dass bei relativ stabiler Inflationsrate und Null-Lohnsteigerungen die Kosten des Kapitalmarktes, also Banken und Versicherungen um etwa fünf Prozent steigen<br /> würden. Das ist einfach nur die geforderte Mindest-Rendite. Das hat mit realem Wirtschaften nichts mehr zu tun. Jetzt gilt es noch Versicherungen, Altersversorgungen und Geldvermögen zu enteignen<br /> zugunsten des Kapitals und wir werden in sklavenähnlichen Zuständen leben. Aber Hauptsache ist, dass RTL und Pro 7 Verdummung in Full HD senden...<br /> <br /> <br /> <br />
Antworten
S
<br /> <br /> Der Lucas Zeise, der überhaupt ein herausragend qualifizierter Bursche ist, hat zum Thema Profit, Kapital und Staat was geschrieben, das ich empfehle: http://www.triller-online.de/index2.htm<br /> <br /> <br /> <br />