Hertha Lindner, eine deutsch-tschechische Heldin
Übernommen von http://ddr-kabinett-bochum.blogspot.de/2012/07/uber-leben-und-sterben-der-jungen.html :
Meine Brigade trug ihren Namen
Hertha Lindner hatte für mich und auch für die Angehörigen meiner Jugendbrigade im VEB Eisen- und Hüttenwerk Thale, die ihren Namen trug, große Bedeutung, obwohl sie zu dem Zeitpunkt, als wir erstmals von ihr erfuhren, schon lange tot war. 1920 in Mariaschein (Kreis Teplice/CSR) geboren, besuchte sie zunächst die dortige deutsche Volksschule und anschließend die tschechische Bürgerschule. Sie war aktive Sportlerin, aber als Kind sozialdemokratischer Eltern auch frühzeitig politisch engagiert. Mit vierzehn trat sie der Sozialistischen Jugend (SJ) bei. Der aus Nazideutschland vertriebene Berliner Kommunist Ludwig Mayer, der etwa zwei Jahre bei den Lindners als Emigrant lebte, schilderte den tief verinnerlichten Antifaschismus der Heranwachsenden. "Sie bewunderte den Mut und die Unbeugsamkeit der Hitlergegner, interessierte sich lebhaft für Politik und las auch die 'Rote Fahne', die ich regelmäßig mitbrachte."
1935 nahm Hertha eine Lehre als Verkäuferin auf, obwohl sie lieber eine höhere Handelsschule besucht hätte, was ihr die Eltern aus finanziellen Gründen jedoch nicht ermöglichen konnten. In jener Zeit beteiligte sie sich bereits aktiv am gesellschaftlichen Leben.
Zu einem Schlüsselerlebnis wurde für Hertha eine gemeinsame Großkund-gebung von Deutschen und Tschechen, die 1935 in Teplitz (Teplice) stattfand. Gegen den Willen rechtssozialdemokratischer Führer wurde hier die antifaschistische Einheitsfront vollzogen. Herthas Eintreten für dieses Ziel führte zu ihrem Ausschluß aus der SJ. Doch sie steckte nicht auf. Die 17jährige gründete eine Ortsgruppe des Deutschen Jugendbundes und übernahm deren Leitung. Ihr leidenschaftlicher Einsatz für linke Anliegen blieb den politischen Gegnern indes nicht verborgen. Sie geriet ins Visier der Henlein-Faschisten, deren Formation ein Ableger der Nazipartei im Sudetenland war. Eines Abends wurde sie auf dem Heimweg überfallen und brutal zusammengeschlagen. Solchen Drohungen trotzend, bekannte sich Hertha Lindner immer eindeutiger zu linken Anliegen. So beteiligte sie sich an Solidaritätsaktionen für die von Franco, Hitler und Mussolini überfallene Spanische Republik. Als 1938 dann die schlagartige Besetzung des Sudetenlandes durch die deutschen Faschisten erfolgte, wurden Tausende Hitlergegner sofort verhaftet. Hertha Lindner konnte sich zunächst nach Prag retten. Nach einigen Monaten in ihren Heimatort zurückgekehrt, nahm sie an der Seite von Genossen der KP der Tschechoslowakei die illegale Widerstandsarbeit auf. Sie verteilte Flugblätter und gab verbotene Literatur weiter. Noch im selben Jahr übersiedelte sie nach Dresden, wo sie ihre unterbrochene Lehre als Verkäuferin fortsetzte, zugleich aber Kontakt zu dortigen Antifaschisten herstellte. Aktiv beteiligte sie sich an der Spendensammlung für politische Gefangene der Nazidiktatur. Vermutlich im Sommer 1940 wurde Hertha Lindner Mitglied der illegalen KPC, für die sie zunächst als Kurier zu Genossen der KPD tätig war. Später setzte sie ihre Arbeit im Sudetenland fort, wohin sie zurückgekehrt war, um ihre erkrankte Mutter zu pflegen. Sie wurde in die Untergrundleitung der Partei aufgenommen, vermittelte Treffs und nahm Mitgliedsbeiträge entgegen. Auch ihr Vater wechselte von den Sozialdemokraten zu den Kommunisten.
Regelmäßig verfolgte Hertha inzwischen die aus Moskau und London im Rundfunk übertragenen Nachrichten, stenographierte Texte und verwendete sie für Flugblätter. Im Auftrag der Partei schloß sie sich im Frühjahr 1941 einem aus Antifaschisten bestehenden Bergsteiger-Klub an, dessen Mitglieder von ihren weiteren Aktivitäten indes nichts wußten. Sie nutzte auch diese Möglichkeit für die Vermittlung von Kontakten und Informationen zwischen illegal kämpfenden Kommunisten in Deutschland und der CSR. Hertha legte ihre Post in "toten Briefkästen" ab, die sich im Felsgebirge zwischen Fieland und Tyssa (heute Ostrov und Tisa) befanden.
Währenddessen setzte sie ihre Tätigkeit als Verkäuferin fort. Mit Bestellzetteln von Kunden empfing sie Mitteilungen ihrer Genossen und verpackte ihrerseits wichtige Nachrichten in die verkaufte Ware.
Die antifaschistische Widerstandstätigkeit war schwer und gefährlich. Solidarität und gegenseitige Hilfe erwiesen sich als lebenswichtig, zumal es Spitzel gab, die mutige Kämpfer an die Gestapo auslieferten. 1941 wurde Heinrich Lindner verhaftet, nur einen Tag später seine Tochter. Beide waren durch Verräter preisgegeben worden.
Am 12. Januar 1942 wurde Hertha von der Gestapo verhört. Dem Protokoll ist folgendes zu entnehmen: "Ich weiß nicht, daß im Sudetengau eine kommunistische Organisation besteht. Mir sind keine Personen bekannt, die sich illegal betätigen ... Ich weiß nicht, warum ich festgenommen wurde, und bitte um meine Entlassung."
Auch noch Wochen und Monate später trotzte die junge Kommunistin den Foltern und Repressalien der faschistischen Geheimpolizei. Diese erhielt von ihr bis zuletzt keinerlei Hinweise auf die Organisation. Im Herbst 1942 verurteilte Freislers Volksgerichtshof Heinrich Lindner zum Tode. Nach nervenaufreibendem Bangen zwischen Hoffnung und Verzweiflung erfuhr die erst 22jährige Hertha am Mittag des 29. März 1943, daß sie am Abend desselben Tages hingerichtet werde. Mit ihr starben zur gleichen Zeit auf dem Schafott auch ihre enge Kampfgefährtin Wilhelmine Rubal und weitere Genossen. Zwei Wochen nach Hertas Tod wurde ihr Vater ermordet. Sie alle, Deutsche wie Tschechen, bleiben als aufrechte Kämpfer für die kommunistische Idee, für Frieden und Menschlichkeit unvergessen.
Jens Wunderlich, Stecklenberg (Harz)