Libyen unter Gaddafi

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

 
 

 Der nachfolgende Text basiert auf dem Buch von Karam Khella "Die libysche Herausforderung", Theorie und Praxis Verlag - Hamburg Dritte Auflage 1989/90
Er dient ausschließlich der Information und Darstellung des Prozesses in Libyen, Kenntnisse, die als ein Mindestmaß für eine vernünftige Debatte zu Libyen vorhanden sein sollten.

Solidarische Grüße an die Brüder und Schwestern in Libyen und herzlichen Glückwunsch zum Jahrestag der Revolution.

Am 1.September 1969 wurde von Oberst Muammar - al - Quaddafi (klassische Aussprache, nach libyscher Mundart: Gaddafi) über Radio Benghazi verkündet:
"An das große Volk von Libyen!
In der Verwirklichung eures freien Willens, in der Erfüllung Eurer sehnlichsten Erwartungen und in der ernsten Antwort auf Eure wiederholten Rufe nach Veränderung und Erneuerung zur Aktion genötigt und zur Übernahme der Initiative, aufgerufen zur Erhebung und Gewalt, haben Eure bewaffneten Kräfte das reaktionäre, rückständige und veraltete Regime gestürzt ...".
Der Militärputsch wurde durch den Bund der freien Offiziere durchgeführt. In der Folge durchlief Libyen vier Etappen der Revolution.
Die erste Phase - die die Nasseristische Phase von 1969 bis 1973; die zweite - die Übergangsphase von 1973 bis 1975; die dritte - die Volksdemokratische Phase von 1975 bis 1977 und die vierte Phase - die Gamahiriyya - Phase seit 1977. (Gamahiriyya arabisch: Republik der Volksmassen - International auch durch Libyen verwendete Schreibweise Jamahiria).

Einige Bemerkungen zur Vorgeschichte
Bis zum Jahr 1911 war Libyen ein Teil des Osmanischen Reiches. Am 28.September 1911 tauchten vor dem Hafen von Tripolis Panzerschiffe und große Truppenverbände Italiens auf. Obwohl der türkische Sultan die Kolonie widerstandslos an die neuen Kolonialherren übergab, wurde Tripolis mit Bombardierungen angegriffen und hunderte libysche Bürger/innen gehängt. Der Vatikanbank "Banco di Roma" verschaffte sich bereits im Vorfeld - neben anderen europäischen Kapitalisten - Bergwerkskonzessionen, Schifffahrtseinrichtungen und Industrieanlagen. So wurde die militärische Invasion ökonomisch vorbereitet.
Die Kolonialherren stießen auf einen starken Widerstand. Dem setzten sie ihren Massenterror entgegen. Allein die Bevölkerung von Barqa ist von 300 000 Menschen im Jahre 1911 auf 120 000 im Jahre 1915 zurückgegangen. Nach dem Ende des 1.Weltkrieges konnten sich die Besatzer wieder verstärkt der Bekämpfung des Widerstandes in Libyen zu wenden. Ende 1918 waren bereits 3 Divisionen, 56 Bataillone und 29 Feldbatterien stationiert. Jedoch konnten sie sich lediglich in den größeren Städten wie Tripolis halten.
Eine neue Qualität erreichte die Kolonialisierung mit dem Einsatz von Siedlern - dem Siedlerkolonialismus. Da sich die Besetzer nicht auf einheimische Kolaboratteuere als soziale Basis stützen konnten, wurden viele Italiener nach Libyen umgesiedelt. Damit exportierten die Kapitalisten aus Italien ihre sozialen Probleme nach Libyen und schafften eine neue Kleinbürgerschicht von Siedlern. Diejenigen, die in Italien auf der untersten Stufe der sozialen Skala standen, gehörten nun zur neuen Herrenschicht, die die Menschen in Libyen zu beherrschen hatten. In Italien wurde für das Leben in Libyen massiv geworben. Durch die bürgerliche Klassenjustiz Verurteilte erhielten Straffreiheit, Schuldnern wurden ihre Schulden erlassen und zusätzlich gab es Prämien. In wenigen Jahren sind 10 000 Italiener nach Libyen ausgewandert. In Italien selbst wurde die Arbeiterbewegung geschwächt. Zwischen 1930 und 1940 siedelten noch einmal mindestens 100 000 Italiener nach Libyen aus.
Die Machtergreifung der Faschisten im Oktober 1922 in Italien gab dem Kolonialismus eine neue Qualität. Im äußersten Westen, in der Wüste Syrte, errichteten sie Konzentrationslager und Widerstandskämpfer wurden einer "Sonderbehandlung" unterzogen.
Einer der Massenmörder, der inzwischen in Italien still rehabilitiert wurde, hieß Grazianie. Seinen faschistischen Auftraggebern in Italien berichtete er, dass er 139 192 Menschen einsperren ließ. Aber seine Berichte zeugen auch vom Widerstand. Die Zahl der größeren Schlachten gibt er mit 53 an. Hinzu kommen 210 "Scharmützel". Die Faschisten zogen einen 300 km langen Stacheldrahtzaun durch die Wüste, um die Kämpfer in Libyen von ihren Basen auf der ägyptischen Seite abzuschneiden. Systematisch wurden die Lebensmittel der Menschen zerstört. Im Gegensatz zu den Berichten über die Menschen ermittelten hier die Faschisten exakte Zahlen. Gab es1910 in Barqa (Kyrenaika) 713 000 Schafe, 23600 Rinder und 27 000 Pferde, waren es 1933 nur noch 98 000 Schafe, 8700 Rinder und 1000 Pferde. (E.E. Evans - Pritchard: The Sannussi of Cyrenaica. Oxford 1949, S.37) In Libyen gab 1933 weniger Haustiere als noch 10Jahre vorher exportiert wurden sind. Bis 1923 wurden allein aus Barqa jährlich 80 000 Schafe nach Ägypten exportiert. Bis 1930 wurden 200 000 Hektar, das ist der größte Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche, durch die Faschisten beschlagnahmt und an weiße Kolonialisten übertragen. In den Städten dominierten italienische Geschäftsleute und in den Fabriken arbeiteten Arbeiter aus Italien. Der Widerstand gegen die Faschisten zeigte sich nicht nur in bewaffneten Aktionen. Libyen wurde zur "terra italiana" deklariert. Die Libyer/innen sollten die italienische Staatsbürgerschaft beantragen. Von 1927 bis 1938 wurden insgesamt 14 Anträge gestellt, davon waren 7 von Libyern.
Am 14.September fiel Graziani mit 9 Divisionen und 250 Flugzeugen in Ägypten ein. Es kam zur Schlacht von Sidial - Barrani. Noch vor Jahresende waren 8 Divisionen der Faschisten aufgerieben. Neben den regulären englischen Truppen wurden sie von Widerstandskämpfern aus Libyen bekämpft.
Daraufhin baten die Faschisten aus Italien die Faschisten aus Deutschland um Unterstützung. Es kam zur ersten unmittelbaren Konfrontation der Antifaschisten aus Libyen mit den deutschen Faschisten, nach dem diese in Libyen eingefallen waren.
Als die deutschen Faschisten unter Rommel im Nordwesten Ägyptens gelandet waren, stießen sie auf den erbitterten Widerstand arabischer und libyscher Antifaschisten. In langen und zähen Kleinkriegen fügten sie den deutschen und italienischen Einheiten empfindliche Verluste zu.
Bei der Reflektierung über diesen Zeitabschnitt wird mensch eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen der bürgerlichen und kommunistischen Geschichtsschreibung finden, die als Neuauflage in bestimmten "antifaschistischen" Kreisen eine Wiederbelebung findet. Die ersten Opfer des Faschismus waren außerhalb der faschistischen Länder Menschen aus dem arabischen Raum. Sie waren aber auch diejenigen, die anfingen, den antifaschistischen Kampf zu führen. Dieses Kapitel wurde sowohl aus der bürgerlichen und kommunistischen Geschichtsschreibung ausgeblendet. Die Niederlage Rommels in Ägypten wurde im Wesentlichen durch arabische und libysche Menschen vorbereitet. Die bürgerlichen Vertreter in der Anti - Hitler - Koalition, wie England, waren Kolonialmächte. In ihren Kolonien herrschten nicht Freiheit und Demokratie, sondern die brutalsten Formen der Unterdrückung. Die sich in der kommunistischen Bewegung durchsetzende Theorie vom Sozialismus in einem Land führte erst zum Arrangement mit dem bürgerlichen Kräften. Der Kampf gegen den Faschismus wurde dann genutzt, um die Interessen der kommunistischen Bewegung denen der bürgerlichen unterzuordnen, siehe Volksfrontpolitik und Auflösung Kommunistische Internationale.
In dem antifaschistischen Widerstandskampf wurden die Voraussetzungen für den eigenständigen Weg Libyens - so wie auch in Jugoslawien - zum Sozialismus geschaffen.
Nach der Niederlage der vereinigten italienisch - deutschen Faschisten in Nordafrika begann England seine Kolonialisierungsbestrebungen in Libyen zu intensivieren. Auch der Antifaschist De Gaulle marschierte 1943 in Libyen ein. Sein Plan war es, noch während Frankreich sich im Kampf mit dem faschistischen Deutschland befand, ein Kolonialreich aus dem Tschad, Algerien und Teilen von Libyen zu schaffen. Die Libyer mussten sich nun sowohl dem französischen als auch englischen Kolonialisierungsversuchen erwehren. Die soziale Basis der Engländer waren die Siedler Italiens. Die Siedler hatten sich nach der Niederlage Italiens von Anhängern des Faschismus zu gutbürgerlichen Demokraten gewandelt, die ihre Dienste umso eifriger England bei der Kolonialisierung Libyens anboten.
Von 1943 bis 1951 wurde Libyen zum britischen Mandatsgebiet "erklärt". Die USA nutzte ebenso die Gunst der Stunde. Fünf Militärstützpunkte errichte sie unter anderen in Wheelusfield als größten Luftwaffenstützpunkt außerhalb der USA.
Am 24.Dezember 1951 wurde der libysche Staat ausgerufen. Die bürgerlichen Demokraten Englands hatten gemeinsam mit den italienischen Siedlern und einheimischen Kollaborateuren eine Monarchie mit einer dürftigen parlamentarischen Fassade errichtet. König Idris war ein treuer Bediensteter Englands und der USA. Der Vertrag vom 29.Juni 1953 gab England das Recht, Truppen in Libyen zu stationieren und einen Stützpunkt in Tubruq zu haben. So konnte England die gerade eben aus Ägypten unter Nasser vertriebenen Truppen in Libyen stationieren. Außerdem stellte der Vertrag das gesamte Transportwesen einschließlich der zivilen Luftfahrt unter englische Verwaltung.
Am 9.September erfolgte die Unterzeichnung eines Truppenvertrages mit den USA. Die Stützpunkte dienten immer wieder für Aggressionen in andere arabische Länder. So griffen die Engländer 1956 und die USA 1967 Ägypten von Libyen aus an. Im Aggressionskrieg gegen Ägypten der am 29.Oktober 1956durch England, Frankreich und Israel begonnen wurde, die so genannte Suezkrise, spielten die Militärstützpunkte in Libyen ein wichtige Rolle.
In den 50ziger Jahren wurde in Libyen Erdöl entdeckt. Neben dem militärischen Aspekt begann Libyen aus ökonomischen Gründen für den Imperialismus interessant zu werden. Das erste Erdölgesetz wurde 1955 verabschiedet. Die Konkurrenz der kapitalistischen Staaten um Erdöl und Erdgas brachte die Zahl der Ölgesellschaften auf 42. Große Ölmonopole sind in Libyen häufig nicht in Erscheinung getreten, sondern als Subunternehmen. Den größten Anteil an der Vermarktung libyschen Erdöl hatten US Gesellschaften (ESSO Standard Libya, Occidental and Oasis u.a.) Über 80 % des libyschen Erdöls wurden von ihnen kontrolliert.
Eine wichtige Entscheidung für die Entwicklung Libyens fiel im Jahre 1956. Eine Armee, bestehend aus drei Bataillonen und einem Geschwader, wurde aufgebaut. Die Führungskräfte waren englische und irakische Offiziere. Bezeichnend für das Misstrauen der einheimischen Monarchisten gegenüber der eigenen Bevölkerung war, dass die Armee bewusst sehr klein gehalten wurde. Zusätzlich wurden weitere unabhängige militärische Organisationen vom König, u. a. eine Beduinenarmee, geschaffen. Diese sollten sich für den Ernstfall gegenseitig im Schach halten. Die erste Militärakademie wurde 1957 in Libyen eröffnet.
Die Sozialstruktur des monarchistischen Libyens spiegelte die feudale Struktur des Landes wider. 1964 gab es 400000 Lohnarbeiter/innen. Nur 10 % davon waren Produktionsarbeiter/innen. Als Hafenarbeiter arbeiteten 11 000 Menschen und als Ölarbeiter 4500 Menschen. Die Mehrheit war beim Staat, in der Armee, Polizei und der Verwaltung, beschäftigt.
In Libyen überlagerten sich mehrer Krisenpunkte. Das militärstrategische Interesse des Imperialismus an der Beherrschung des arabischen und afrikanischen Raumes aber auch die innerimperialistische Konkurrenz. Libyen als Ausgangspunkt für Europa. Hinzu kam die Abhängigkeit der kapitalistischen Produktion vom Erdöl. Im Inneren gab es verschiedene soziale Kräfte. Die Vertreter der Besatzungsmacht England, die Zwischenschicht der Siedler aus Italien, die wiederum keine homogene Gruppe waren, die einheimischen libyschen Feudalherren und die sich in Ansätzen herausbildende Arbeiterklasse. Zum Träger des Fortschritts wurden in dieser Situation die Vertreter des Kleinbürgertums, insbesondere Menschen aus dem Offizierskorps der offiziellen Armee.

Der Bund freier Offiziere(Libyens)
Der Bund freier Offiziere wurde 1964 gegründet. Vorbild war der in Ägypten gegründete Bund mit gleichen Namen. Offiziere um Gamal Abd an Nasir gründeten ihn 1948. Am 23. Juli 1952 stürzten sie den Monarchen in Ägypten und riefen die Republik aus.
Muammar - al - Quaddafi schrieb darüber: "Das erste Kommando - Komitee wurde gebildet, als wir noch die Oberschule in Sibh besuchten. Unsere Zahl wuchs und unsere Organisation verbreitete sich unter der Jugend. So könnte man ein Datum für den Plan und die Vorbereitung der Revolution angeben. Wir gehen 10 Jahre zurück - auf 1959. Unsere Seelen waren im Aufstand gegen die Rückständigkeit, die unser Land umfing, dessen heute beste Güter und Reichtümer geplündert wurden, und gegen die Isolierung, die unserem Volk aufgezwungen wurde, um es vom Weg des arabischen Volkes fernzuhalten und seiner großen Aufgabe."
Der revolutionäre Kommandorat verkündete am 19.Jumada al - Ahir 1389 (entspricht dem 1.September 1969) über Radio Benghazi den Sturz der Monarchie und verlas die bereits eingangs zitierte Erklärung.
"... Von diesen Tage an wird Libyen eine freie und souveräne Republik unter dem Namen "Libysche Arabische Republik" sein, aufsteigend mit der Gnade Gottes, zur Arbeit, zur Höhe, vorwärts schreiten den Weg der Freiheit, Einheit und sozialen Gerechtigkeit. Sie wird ihren Bürgern das Recht der Gleichheit sichern und ihnen die Tore zu ehrlicher Arbeit öffnen. Nicht Unterdrückte, Betrogene oder Benachteiligte, nicht Herren und Knechte, sondern freie Brüder in einer Gesellschaft, über der das Banner der Brüderlichkeit und Gleichheit wehen soll. ..."
Die Namen "Libysche Arabische Republik" wurde unter den Leitsatz "Freiheit, Sozialismus, Einheit" ausgerufen.
Eine wichtige Rolle in der Unterstützung der Revolution spielten die Gewerkschaften.
Die 1952 gegründete "Libyan Generals Workers Union" (LGWU) erweis sich als wichtiger Initiator der Organisation der Arbeiterbewegung. Sie beteiligte sich an dem Aufbau des "Internationalen Bundes Arabischer Gewerkschaften"(ICATU) im Jahre 1956. Der zunehmende Einfluss der Monarchie auf diese Gewerkschaft veranlasste den fortschrittlichen Teil auszutreten und die "Federation of Libyan Trade Unions"(FLTU) zu gründen. Die Arbeiter/innen aus den wichtigsten Industriezweigen - und die Erdöl, Hafen-, Transport und Tabakproduktion waren in ihr organisiert. Schon unter der Monarchie konnten sie wichtige Erfolge verzeichnen. In der Arbeitsgesetzgebung wurde in den Jahren von 1958 bis 1962 das Recht auf Organisationsfreiheit und kollektive Tarifverträge anerkannt. Anderseits versuchte der Staat immer wieder direkt sowohl das Streikrecht einzuschränken als auch die Löhne gesetzlich festlegen zu lassen. Der Staat war immerhin einer der größten Unternehmer in Libyen.
Unmittelbar nach dem 1.September 1969 wurden bisher inhaftierte Gewerkschafter/innen freigelassen und die Gewerkschaften in den Prozess der Revolution eingebunden.
Mit dem am 1. Mai 1970 verkündeten Gesetz 58 wurden die Arbeitsbeziehungen neu geregelt. In ihm wurden die Rechte und Pflichten der Arbeiter/innen, die Mindestlöhne (diese wurden sofort verdoppelt), Ausgleichs und Altersversorgung, Kranken- und Mutterschaftsurlaub, Überstundentarife, Mindestarbeitszeitpausen, Achtstundentag etc. festgelegt. Die gesetzlichen Reglungen enthielten Mustertarife, die von den großen Ölkonzernen eingehalten werden sollten. Das Gesetz 12 vom 14.März 1973 regelte die Gewinnbeteiligung der Arbeiter/innen an allen Industriezweigen außer den Ölgesellschaften. Außerdem wurde die Mitbestimmung der Arbeiter/innen bei der Unternehmensleitung, dem "Managementrat" rechtlich verankert. Die Belegschaft wählt aus ihren Reihen Kollegen/innen, die an der Leitung und Organisation der Unternehmen mitwirken.

Der antiimperialistische Kampf
An England und die USA wurde die Forderung gestellt, ihre Militärbasen aufzulösen. Am 23. Dezember 1969 wurde ein Abkommen zur Räumung der Militärstützpunkte geschlossen. England hielt sich an das Abkommen und räumte die Basen. Die USA verschleppte die Räumung systematisch. Daraufhin mobilisierte die Revolutionsführung die Massen. Fast eine Millionen Menschen (damals bei 2 Millionen Einwohner/innen Libyens) beteiligten sich an der Demonstration gegen den Militärstützpunkt der USA in Wheelus. Das veranlasste die USA, ihren Stützpunkt so schnell wie möglich in die BRD zu verlegen. Ende des Jahres 1970 waren in Libyen alle Militärstützpunkte des Imperialismus geräumt. Vom Territorium Libyens konnten so keine Angriffe mehr auf fortschrittliche Bewegungen in Afrika und im arabischen Raum durchgeführt werden.
Die Massenaufmärsche(Zahf) gestalteten sich in Folge für die Revolution zu einem wichtigen Mittel bei der Durchsetzung fortschrittlicher Ziele. Sie waren nicht einfache Demonstrationen sondern immer auch Orte der Diskussion, der Theorievermittlung und der Kommunikation zwischen den Bürger/innen in Libyen.
Weitere Maßnahmen der Revolution waren
- die Nationalisierung der Banken und Unternehmen;
- die Stufenweise Überführung des Erdölsektors in staatliche Verfügungsgewalt;
- die Siedler aus Italien mussten Libyen verlassen.

Nach Karam Khella lässt sich die Revolution in Libyen ideologisch in vier Phasen unterteilen. Aus heutiger Sicht müsste mensch die 5.Phase, die nachrevolutionäre Phase hinzufügen.
Die erste Phase - die Nasseristische Phase von 1969 bis 1973
Anfänglich organisierte die Revolutionsführung sich nach den Prinzipien des Nasserismus. Als Organisationsform wählte sie die "Arabische Sozialistische Union" gleich der in Ägypten. In Libyen wiederholten sich die negativen Erfahrungen die mensch bereits in Ägypten gemacht hatte. Entfremdung gegenüber den Volksmassen, Bürokratismus, Korruption, Vetternwirtschaft und Klientelismus. Deshalb wurde ein Prozess der Kritik und Selbstkritik eingeleitet. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die Erfahrungen der arabischen Geschichte und dem nationalen Erbe zu berücksichtigen. ( Nasserismus - eine Mischung aus Antiimperialismus, Staatskapitalismus und Panarbismus, Unter Panarabismus versteht man das Bestreben nach einem Zusammenschluss und Vereinheitlichung aller arabischer Staaten, die nicht zuletzt durch ihre Sprache miteinander verbunden sind. Der Gedanke eines gemeinsamen arabischen Staates ist die panarabische Antwort auf das Motto der damaligen europäischen Besatzer „Teile und herrsche“. Die jetzigen Staaten wurden von den Besetzern während der Kolonialisierung unterteilt und somit wurde auch die arabische Gesamtheit auseinandergerissen. /Gamal Abdel Nasser * 15. Januar 1918 in Alexandria; † 28. September 1970 in Kairo/)
Dies bildete den Hintergrund für die zweite Phase.

Die zweite - die Übergangsphase von 1973 bis 1975
Diese Phase ist in sich sehr widersprüchlich. Zum einen gab es Bemühungen einer Reislamisierung aber zum anderen auch die bürgerlichen Strukturen des Nasserismus durch volksdemokratische Strukturen zu ersetzen. Es begann eine Kultur- und Verwaltungsreform. Prägend sind die drei Elemente Nasserismus, Islam und Volksdemokratie.
Seit 1975 wurde die Reislamiserung des öffentlichen Lebens wieder abgebaut. Die Rechte der Imame wurde ausschließlich auf die Ausübung der Religion festgelegt. Außerdem wurden nur der Koran und nicht die verschiedenen Rechtsschulen, die eine Interpretation des Korans waren, anerkannt.
Es begann der Aufbau von volksdemokratischen Strukturen in Form der Volkskomitees und der Milizen. Die Milizen wurden als Selbstverteidigungskräfte der Bürger/innen angesehen und waren eine Stütze der Revolution im Gegensatz zur Armee. Diese wurde weiterhin von konservativen bis reaktionären Kräften beherrscht.

Die dritte - die Volksdemokratische Phase von 1975 bis 1977
Eingeleit wurde sie mit der Auflösung der Arabischen Sozialistischen Union und der Bildung von Basiskonferenzen. Zu dem wurden Volksausschüsse in den Betrieben, Stadtteilen, öffentlichen Einrichtungen, schulen, Hochschulen und Krankenhäusern gebildet. Sie erhielten direkten Einfluss auf die Leitungen der Einrichtungen.
An einer Basisvolkskonferenz kann jeder Libyer/in teilnehmen, der /die das 18.Lebensjahr erreicht hat. Eine Einheit der Versammlung besteht aus 600 bis 1200 Menschen. Für die Versammlungen werden Schulen und Sporthallen zur Verfügung gestellt. Eine Basisvolkskonferenz hat als Leitung ein Exekutivorgan und ein Sekretariat. Bei Entscheidungen müssen sich deutliche Mehrheiten herausbilden.
Die Basiskonferenzen werden zusammengefasst zum Allgemeinen Volkskongress. Jede Basiskonferenz, jeder Volksausschuss, jede Gewerkschaft entsendet in den Allgemeinen Volkskongress ein bis zwei Vertreter mit imperativem Mandat. Das bedeutet, dass die Delegierten im Allgemeinen Volkskongress die Beschlüsse vertreten müssen, die von den Gremien die sie gewählt haben, beschlossen worden sind.
1976 und 1977 wurde eine umfassende Bodenreform durchgeführt.

Die vierte Phase - die Gamahiriyya - Phase seit 1977
Diese Phase ist das Zeitalter der Volksmassen oder arabisch "Gamahiriyya". In dieser Epoche sollte alle Macht dem Volk übergeben werden, der Staat aufgelöst und das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben werden. Die Libysche Arabische Republik wird umbenannt in "Sozialistische Libysche Arabische Volksgamahiriyya"(Republik der Volksmassen). Der amtierende Revolutionsrat wird aufgelöst. An Stelle des bisherigen Ministerrates tritt ein "Allgemeines Volkskomitee". Gleichzeitig wird im ganzen Land mit dem Aufbau von "Revolutionskomitees" begonnen.
Zwei Aspekte sollen die Volksmacht sichern. Die Basisdemokratie und das Imperative Mandat.
Die Organe der Volksmacht sind von unten nach oben
- Volksausschüsse
- Revolutionskomitees
- Basisvolkskonferenzen
- Allgemeiner Volkskongress
- Generalsekretariats des Allgemeinen Volkskongress
- Allgemeines Volkskomitees.

Der Allgemeine oder Generalvolkskongress ist die oberste Volksvertretung. Er fasst die Beschlüsse der Basiskonferenzen zusammen. Er verabschiedet Landesgesetze, wenn diese vorher in den Grundeinheiten beschlossen wurden. Nur in diesem Sinne gilt der Generalvolkskongress als Legislative. Er besteht aus 1112 Mitgliedern, die aus ihrer Mitte einen ständigen Arbeitsausschuss, das Generalsekretariat des Allgemeinen Volkskongress, wählen.
Sowohl das Prinzip des demokratischen Zentralismus als auch die Stellvertreterdemokratie werden in Libyen abgelehnt.

Die Banken wurden endgültig nationalisiert. 1978 wurde auch der Einzel- und Binnenhandel vergesellschaftet. Eine Maßnahme die für den Einzelhandel später wieder teilweise zurückgenommen wurden ist. Ende 1978 wurde die Kampagne "al- bait il - sakinihi", die Häuser denen die in ihnen wohnen, eingeleitet. Das führte dazu dass alle Libyer entweder über ein Haus oder eine Wohnung verfügten, für die sie keine Miete bezahlen mussten. Die Häuser selber durften nicht vermietet werde, jede Familie durfte nur ein Haus besitzen.
Im Frühjahr 1979 übernahmen die Arbeiter/innen die Betriebe und 1981 wurden auch die kleineren Unternehmen vergesellschaftet. Lohnarbeit war seit dieser Zeit verboten.

Die theoretische Konzeption des besonderen Weges zum Sozialismus wurde im Grünen Buch von Muammar - al - Quaddafi dargestellt. Es besteht aus drei Bänden
1. 1976 "Lösung des Problems der Demokratie - durch die direkte Volksmacht"
2. 1977 " Lösung des ökonomischen Problems - durch Sozialismus"
3. 1979 " Soziale Basis".
Zusätzlich erschienen Kommentare zum Grünen Buch.

Gegenwärtig

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Quelle: http://parteilehrjahr.dkp-lsa.de/html/libyen.html

 

Anmerkung: Die im Text nebenbei angesprochene Bewertung der kommunistischen Volksfrontpolitik und der Aussenpolitik der SU halte ich für falsch. 

Veröffentlicht in Afrika

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