Tripolis: Krieg, Propaganda und irgendwo dahinter die Wahrheit
Als die Nachrichten von der Einnahme Tripolis´ durch die "Rebellen" von allen Seiten kamen, war ich zunächst ein wenig verunsichert. Ich hatte gerade einen Blog-Beitrag geschrieben, in dem ich behauptet hatte, das Problem der NATO-Hilfstruppen sei, dass sie zwar an fast jeden beliebigen Ort vordringen könnten, weil ihnen die NATO einfach den Weg freibombt, dass sie eingenommene Gebiete aber nicht halten können, weil sie von der Bevölkerung nicht akzeptiert werden ( http://kritische-massen.over-blog.de/article-libyen-die-rebellen-schwimmen-wie-ratten-im-kessel-82071357.html ). - Aber Tripolis eingenommen, über Nacht, ohne Widerstand ... ? Hatte ich mich getäuscht ? War die Bevölkerung schon so kriegsmüde gebombt, dass sie lieber aufgab als weiter Widerstand zu leisten ? Oder hatte sich gar die Stimmung gegen die Regierung gedreht ?
Im Nachhinein vermute ich, dass auch die Bewohner von Tripolis, die nicht eingeweiht waren, konsterniert gewesen sein müssen. - Von See her kamen Hunderte Boote der NATO-Spezialtruppen und ihrer HiWis, landeten, brachten schweres Kriegsgerät mit. Auf dem Landweg drangen Konvois von "Rebellen" in die Stadt ein. - Und keinerlei Widerstand. Da mag sich auch mancher gefragt haben, ob er sich nicht doch in der Regierung getäuscht habe, ob Gadaffi nicht doch abgehauen, ob das nun das Ende sei. Dazu kamen über die Kriegssender der NATO ALJazeera und AlArabjia, über Twitter und alle Kanäle in der Hand der Aggressoren Nachrichten, die den Eindruck erwecken sollten, nun sei "alles vorbei". Gaddafi auf der Flucht, seine Söhne gefangen, die Garde hat sich ergeben, die Armee bleibt untätig, viele Soldaten Gadaffis sind gefangen ... Ende. Dazu kamen SMS-Botschaften an alle Handy-Besitzer gleichen Inhalts. Der CIA-Offizier, der sich das ausgedacht hatte, wird einen Orden kriegen: Ein ganzes Volk mit einer falschen SMS-Botschaft zum Aufgeben zu kriegen muss einem erst einmal einfallen. Das sind halt wirkliche Spezialisten ( http://kritische-massen.over-blog.de/article-libyen-die-rebellen-schwimmen-wie-ratten-im-kessel-82071357.html ). ( Der "Übergangsrat" kann so etwas nicht organisiert haben. Die Typen sind zu blöd, sich eine geklaute Rolle Dollars von der linken in die rechte Hosentasche zu schieben.)
Die Sache verhielt sich wohl anders. Für die NATO stand das Problem, eine Entscheidung herbeiführen zu müssen, weil das UN-Mandat, auf das sie sich, wenn auch fälschlich, berufen, ausläuft, weil die Gefahr besteht, dass sich die HiWis gegenseitig an die Gurgel gehen, obwohl der gemeinsame Feind noch gar nicht erledigt ist, weil jeder Tag mehr, an dem sie bomben "müssen", auch dem Publikum im Westen mehr vor Augen führt, dass alles, was sie über diesen Krieg gesagt haben, ein einziger Haufen dreckiger Lügen ist. Für die Loyalisten stand das Problem, dass die Aggressoren unter diesem Druck dazu übergehen würden, grossflächig zu bomben und Tripolis in Schutt und Asche zu legen.
Beide Problemstellungen trafen sich wohl an diesem Punkt. - Die "Rebellen" marschieren unbehelligt in Tripolis ein.
Das geschah, aber damit hatte sich die Sachlage verändert.
Für die NATO verboten sich jetzt Flächenbombardements. Dabei hätten sie unvermeidlich auch ihre HiWis getötet, und darüber wäre ihr die mühsam gezimmerte und fragile Koalition von Verrätern, Opportunisten, religiösen Fanatikern, Clanchefs, die mit Gaddafi eine Rechnung offen haben, und dummen Jungs, die es geil finden, auf Pick Ups mit aufmontiertem MG herumzurasen, um die Ohren geflogen.
Für die Loyalisten stand die Sache jetzt auch anders. Was die NATO an HiWis aufzubieten hatte, war in der Stadt. Sie waren nicht mehr, unangreifbar hinter dem Schirm der NATO-Bomber, irgendwo im Umland. Sie waren jetzt vor den Gewehrläufen der Armee und Miliz. Die Falle hatte in einer Nacht 1300 Menschenleben und 5000 Verwundete gefordert. Die NATO hatte wie verrückt gebombt. Aber jetzt konnte dem Feind ein schmerzhafter Schlag gegeben werden.
Das ist, was gerade passiert. Man kann es "zwischen den Zeilen" z.B. bei AlJazeera hören: Am Sonntag waren bis zu 95 % von Tripolis in der Hand der "Rebellen", gab es nur noch einige wenige Widerstandsnester der Loyalisten. Gestern zog der Lügensender es vor, von 80 % zu reden, und die angeblichen kleinen Widerstandsnester verwandelten sich in "schwere Kämpfe in Teilen der Stadt". Am Sonntag waren die noch lebenden drei Gaddafi-Söhne gefangen und Gaddafi selbst auf der Flucht. Gestern fuhr sein ältester Sohn im Triumph vor das Hotel der West-Journaille, gab dem Gesindel eine Pressekonferenz und lud sie dann ein, mit ihm durch die Stadt zu fahren. Die Stadt war voll mit Bewaffneten - Loyalisten. Ziemlich, aber wirklich ziemlich peinlich ...
Damit ist noch nicht entschieden, wie der Kampf ausgeht. Die NATO bietet, ausser dem Masseneinsatz regulärer Bodentruppen, alles auf, was sie hat. Sie greift sogar in die Strassenkämpfe mit Hubschraubern ein. Und wenn die "Rebellen" fliehen oder sie alle masakriert sind, steht die Sache wieder anders. Dann könnten die NATO-Kriegsverbrecher aus Tripolis eine Ruinenstadt machen.
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update:
FAZ, 23. August 2011, 17 Uhr:
"Nach Angaben der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton kontrollieren die Rebellen erst acht Prozent von Tripolis. Das habe ihr der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschilil, gesagt, erklärte Ashton am Dienstag in Brüssel." ( http://www.faz.net/artikel/C32315/aufstand-in-libyen-schwere-gefechte-in-tripolis-30489834.html )
AlJazeera zitiert Ashton zur gleichen Zeit so: "Ashton says that Libyan rebels currently control about 80 per cent of Tripoli."
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