Das französische Militär im Libyen-Krieg
In ihrem 6. Brief aus Frankreich beschäftigt sich Alexandra mit dem französischen Militär, speziell dessen Einsatz in Libyen.
Die nationale Verteidigung Frankreichs in Libyen
Mit der Operation « Harmattan » bezeichnet der französische Staat seinen Kriegseinsatz in Libyen. Er ist Teil seiner Auslandsoperationen (kurz: OPEX), die von der Gendarmerie nationale (der nationalen Polizei also) und der Armee durchgeführt werden. Im Rahmen der nationalen Sicherheit und Verteidigung erfolgten 2010 Neustrukturierungen letzterer, die einen Teil der Gendarmerie enger an das Verteidigungsministerium banden und einen anderen an das Ministerium des Innern. Damit wurden „Verteidigungs-" und Sicherheitsmaßnahmen" sowohl nach außen als auch im Inneren zentralisiert. Für OPEX steht ein eigenes Budget zur Verfügung.
So wurden z. B. die für den Auslandseinsatz der Streitkräfte 2010 eingeplanten 630 Mio. Euro allein in Libyen zur Hälfte verbraucht, wobei 60% auf die Munition fallen. Zum 30. September werden die Kosten der Operation Harmattan auf 330 bis 350 Millionen Euro geschätzt. Das ergibt geschätzte Kosten für Auslandseinsätze französischer Truppen von 1,2 bis 1,3 Milliarden Euro. Angemerkt werden muss, dass es sich hier um Kosten handelt, die generell nur durch die Auslandseinsätze, also zusätzlich zur normalen Unterhaltung der Truppen, entstehen. D. h.: Zusätzlich zu einer Verteidigung des Landes von seinem Territorium aus. Zur Bewaffnung der Armee generell bleibt anzumerken, dass Verteidigungs- und Angriffswaffen wesentliche Unterschiede aufzeigen. Dazu könnte ein Militärexperte mehr sagen. In den NATO-Staaten ist dies kein Thema.
Daniel Durand, der Friedensforscher, bezweifelt die angegebenen Zahlen. Er belegt diese Zweifel anhand des britischen Beispiels. Die britische Regierung habe die Kosten des Libyenkrieges im Juli 2011 mit etwa 300 Mio. Euro angegeben, im September aber habe eine Studie des Verteidigungsministeriums die Kosten mit 2 Milliarden bezeichnet, also sieben Mal mehr! Dort und auch in Frankreich wird mehr Transparenz gefordert.
Während der Operation Harmattan haben die Flugzeuge 950 Bomben abgeworfen und sind 240 Boden-Luft-Raketen abgeschossen worden, davon 15 vom Typ SCALP und 225 A2SM. Die Hubschrauber haben 431 Raketen vom Typ HOT abgeschossen. Zum ersten Mal seit langem wurden die Landstreitkräfte auch durch Marineeinrichtungen unterstützt, d. h. durch 3.000 Granaten von 100 und 78 Millimeter. Oder wie anders gesagt wurde: In Libyen wurden ungefähr 1.000 Bomben, 600 Missiles, 1.500 Raketen „verbraucht", ohne die Tausende Granaten verschiedenen Kalibers zu zählen. Etwa 70 Mio Euro kommen auf die Prämien der Militärs. Ein Kriegstag in Libyen oder auch in Afghanistan wird allgemein in der Presse mit einer Million an Kosten angegeben. Eine Stunde Flug des neuen Kampfflugzeuges Rafale kostet laut Presse 40.000 Euro, die Boden-Luft-Rakete 500.000. Viele dieser Zahlen sind der französischen Bevölkerung bekannt, sie wurden veröffentlicht, um die Notwendigkeit von Einsparungen an Lohn und Sozialausgaben zu belegen.
Die Diskussionen und Beratungen zur Aussprache über das Finanzgesetz strafen alle offiziellen Verlautbarungen während des Libyen-Krieges Lügen. Frankreich hat sowohl von seinem Hubschrauberträger vor der Küste Libyens aus bodennahe Einsätze zur Unterstützung der Kräfte des Nationalen Übergangsrates geflogen, als auch den direkten Beschuss von maritimen Flugzeugträgern aus durchgeführt (u. a. mit SCALP-Raketen).
Wir wissen mittlerweile in Libyen von 60.000, nichtimperialistische Quellen sprechen von 100.000 Toten. Man lese dazu folgende Aussagen des Chefs des französischen Armeegeneralstabs für OPEX:
„Die Reaktionsfähigkeit unserer Entscheidungskette hat nicht nur auf militärischem Gebiet einen Vorteil bei der Bewältigung von Krisen erreicht. In Diskussionen mit meinen Italienischen, britischen, deutschen und (us-) amerikanischen Gleichrangigen habe ich festgestellt, dass bei uns ein Gleichgewicht wie in nur wenigen Demokratien erreicht worden ist. Das gibt einem Armeechef eine große Aktionsfähigkeit bei gleichzeitiger Stärkung der parlamentarischen Kontrolle über unsere auswärtigen Einsätze. Ohne dieses Gleichgewicht, ohne die Entscheidung des Präsidenten der Republik vom 19. März [2011], über den Einsatz unserer Luftmittel wären die Panzer Kadhafis in Benghazi eingetroffen. Ich überlasse es Ihrer Vorstellungskraft, die Konsequenzen einzuschätzen angesichts der in einem Hangar in Tripolis aufgefundenen 50 verbrannten Körper."
(Admiral Edouard Guillaud gegenüber dem Präsidenten der Kommission für nationale Verteidigung im Rahmen des Finanzprojektes 2012 am 05.10.2011.) Ich stelle hier die Frage der Opfer in den Vordergrund.
Die Art der Angaben wirft durchaus folgende Frage auf: Hat die französische Armee in Bunde mit ihrer Regierung und der Rüstungsindustrie und mittels großangelegter Propagandakampagnen nicht nur die Bevölkerung des Landes, sondern vor allem auch einen Großteil ihrer Abgeordneten hinsichtlich der Motive des Libyen-Krieges getäuscht? Auf keinen Fall aber sollte man sich über die Gründe von Ablehnungen des Budgets des Verteidigungsministeriums täuschen. Es wurden bereits Gegenstimmen laut, die z. B. das Atomabwehr-Programm für nicht ausreichend finanziell unterstützt halten (trotz eines Budgets von 5 Mrd.).
Konstatiert wurde, dass in Irak der Krieg in den Medien (oder sollte man nicht besser sagen: Um die Köpfe) seitens des Militärs verloren wurde. Auch zum Afghanistan –Krieg stehe die Bevölkerung nicht geschlossen hinter ihrer Regierung. Für den Einsatz in der Elfenbeinküste wird konstatiert, dass man die „Klippe des Neokolonialismus und die Rückkehr Franzafrikas" umschifft habe. Manchmal hat man den Eindruck, das Militär würde an seine eigene Propaganda glauben. Schlussfolgerung des Militärs: Man müsse die Erfolge mehr publizieren! Oder auch anders: Die Mittel für Information und Kommunikation steigern.
Alle progressiv und offen eingestellten Menschen mit Wurzeln in Afrika, die ich bisher getroffen habe, werfen der französischen Regierung eben ihre offene Rückkehr zum Kolonialismus vor. Das betrifft nicht nur die Elfenbeinküste, sondern auch Tschad, Algerien und Marokko u. a.
Die französische Regierung und ihre Expertenkommissionen für die Beschlussfassung zum Finanzgesetz 2012 legen den Mangel an öffentlichen Protesten gegen den Krieg in Libyen (folgerichtig) als Zustimmung der Bevölkerung und als Ermunterung für weitere Kriegsmaßnahmen aus. Mit wenigen lokalen Demonstrationen und oftmals nicht eindeutigen Protestformulierungen spricht die Situation bisher wirklich für eine mediale Korrumpierung fortschrittlicher Gruppen und Parteien. Die zur „Zivilgesellschaft" tendierenden Roten (auch die PCF) und Grünen unterstützten den militaristischen Kurs der Regierung unbesehen, auch wenn einige nach drei Monaten zaghaft einlenkten.
Die „Zustimmung" legt die Basis für den weiteren ungezügelten Ausbau des militärisch-operationellen Ausbaus der französischen Armee und der gesamten NATO-Staaten. Kriege, „erfolgreich geführte" zumal, ermuntern immer den militärisch-industriellen Komplex und den chauvinistischen und faschistischen Anhang in der Bevölkerung.
Für alle aber, die gewissen Staaten der Vereinten Nationen eine Mitschuld am Kriegseinsatz in Libyen zusprechen wollen, verweise ich auf folgende Worte ranghoher Berater und Militärs:
„Die Operation Harmattan wurde durch die NATO durchgeführt. Sie ist keine Initiative der UNO, selbst wenn diese sie autorisiert hat. Sie wird also nicht von der UNO bezahlt." An anderer Stelle wird auf erhebliche Schwierigkeiten durch „politische Tatsachen wie die Abstimmung der einen oder der anderen im Sicherheitsrat der UNO" oder die „Anwendung verschiedener Einsatzregeln einzelner Staaten" verwiesen.
Auf die „Autorisierung" haben sich alle bürgerlichen Medien berufen. Die Antwort zeigt eindeutig, dass es keine gegeben hat. Die UNO übernimmt ihrem Statut gemäß Kosten nur höchstens anteilmäßig für Friedensmissionen. Diese bedingen u. a. die Zustimmung der Konfliktparteien. Obendrein gilt das Monopol des Sicherheitsrates für den Bereich der Friedensmissionen als keineswegs sicher.
In den von mir gesehenen Berichten spielte die Zahl der Opfer der Operation Harmattan keine Rolle, ebenso wenig die immensen Beschädigungen an Infrastruktur und Wohnbauten, die nunmehr Verhandlungssache sind. „Abgesehen davon werden wir [die Armee!] eine Entschädigung erhalten über die Verträge, die unsere Industrien in Libyen mit Hilfe unserer Diplomatie erhalten werden." (Admiral Guillaud) Der Chef der Landstreitkräfte erhob daraufhin sofort seine Ansprüche in Höhe von 18 Mio Euro für 4.000 Hubschrauber-Flugstunden und die Zerstörung von 600 Zielen. Allein 45% kämen auf das Konto der französischen Armee.
Ausgehend von den Ausgaben für den Krieg in Libyen – wie hoch sind hier die Einnahmen der Monopole einzuschätzen? Zur Beantwortung dieser Frage verfolge man die Profite der am Wiederaufbau und am Raub der Bodenschätze beteiligten Monopole.
Die Ausgaben aber für die Kriegsführung trägt der Steuerzahler in Frankreich, ebenso wie die der deutschen Truppen im Ausland vom Steuerzahler in der Bundesrepublik. Die Bevölkerung wird obendrein für weitere Geschäfte der Rüstungsindustrie im engen Zusammenwirken mit dem Staat zur Kasse gebeten werden – heute für den Krieg in Afghanistan und Libyen, morgen für den in Syrien, Iran… und die sogenannten Friedenseinsätze der UNO.
„Die Wahrung, dann die inflationsbedingte Steigerung der Verteidigungsaufgaben, stellt die Nation vor ausgesprochen hohe Anstrengungen in den nächsten Jahren in Bezug auf die Ausgabenentwicklung der anderen öffentlichen Bereiche. Die Guthaben der Mission Verteidigung werden im Allgemeinen die Planfortschreibung des Staates in laufenden Euro ohne Inflationsbereinigung beeinträchtigen. [Hervorhebung original Weißbuch]
Dieses finanzielle Engagement ist notwendig, um die nationalen Sicherheitsziele zu erreichen, … um den Armeen die notwendigen Mittel für ihre Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Es wird in der Konsequenz zur Aufrechterhaltung, selbst zur Erweiterung des Anteils der Verteidigung in den öffentlichen Budgets führen. Diese Entscheidung befindet sich in Übereinstimmung mit dem ausdrücklichen Willen Frankreichs, die eigene Verteidigung der Europäer abgesichert und die Europäische Union in einen Bereich der Verteidigung und der Sicherheit versetzt zu sehen." [Weißbuch, S.290)
Für das Weiterschieben der durch den Krieg in Libyen entstandenen „Zusatzkosten" liegt bereits ein Gesetz zur Verabschiedung vor. Und für alle Fälle kann das Land, wenn schon keine Euro mehr, so doch Staatsanleihen drucken. Das verschafft ein paar Jahre Luft. Unterdessen darf ausschließlich die „Krise" in all ihren Formen für die Bemäntelung der Staatsschulden aufkommen. Die Bevölkerung zahlt immer: Für die vom Kapital verursachte Weltwirtschaftskrise UND die Profitsucht des militärisch-industriellen Komplexes ganz speziell.
Es grüßt sehr nachdenklich - Alexandra