Frankreich: Die Linksfront vor den Parlamentswahlen

Veröffentlicht auf von Sepp Aigner

 

Das ist der elfte "Brief aus Frankreich" von Alexandra, den ich in meinBlog stelle. Wer sich über die Linksfront in Frankreich und die Lage vor den Parlamentswahlen im Juni einen Überblick verschaffen will, sollte ihn lesen.

 

Die Front de Gauche (Linksfront, FG) in Frankreich – mehr als Wechselspiel im Wahlkampf der kapitalnahen Parteien

 

 

Ursprung der Bewegung

 

Die Bewegung hat ihren Ursprung in der Kampagne gegen die Europäische Verfassung aus dem Jahre 2005, die unter tatkräftiger Mithilfe Sarkozys nach dem Nein seiner Landsleute in die Lissabonner Verträge mündete, nunmehr jede Abstimmung ausschließend. Die französische Bevölkerung hat es ihm nicht vergessen. Wie konnte sie auch? Das konstruierte „gemeinsame" Europa wurde mit den Lissaboner Verträgen mitsamt seinem Scheinparlament und heuchlerischen Pressekommuniqués zum gemeinsamen Machtinstrument des geballten Finanz- und Industriekapitals der stärksten europäischen Länder (unabhängig, ob mit oder ohne Euro) mit enger Anbindung an den US-Imperialismus. Die Völker der europäischen Länder bezahlen die Rechnung. Manche Angeordneten wollen nichts sehen, andere, auch sogenannte Linke, spielen längst das Spiel der Herrschenden.

 

„Seitdem ist der soziale Widerstand trotz zahlreicher Streiks und Demonstrationen oft unterlegen, und die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Misere steigt ständig. Immer mehr Familien werden in die Arbeitslosigkeit geworfen, aus ihren Wohnungen und in Elendsbehausungen. Die noch Arbeit haben und die ihr Leben lang Beitrag zahlenden Rentner werden immer ärmer, die auf den Arbeitsmarkt kommenden Jungen sind ohne Zukunftsaussichten. Zahlreiche Suizide von Werktätigen, die Milliarden Euro an Profit der kapitalistischen Aktionäre, die skandalösen und in stetiger Steigerung befindlichen Einkommen der Firmenchefs sind Ausdruck der Arroganz und der gezeigten Verachtung der Klasse der Ausbeuter. Sie setzen auf die Angst, die vollständige Lähmung und Teilung der Werktätigen als Konsequenz von Jahrzehnten der Unterwerfung unter eine liberale Ideologie. Die Krise, die Schulden und die Defizite, deren Ursache die eingesteckten kolossalen Gewinne der Bankiers und des Finanzkapitals sind, werden als Vorwand genutzt, um noch das zu rauben, was aus den sozialen Errungenschaften der Volksfront und des Generalstreiks im Jahre 1936, dem Nationalrat der Resistance von 1945 und dem Generalstreik von 1968 bleibt". (zitiert aus einem Aufruf des RCC vom 24.04.12)

 

Die Front de Gauche als Bündnis linker Kräfte

 

Das Bündnis der FG basiert vor allem auf der Zusammenarbeit der Parti Communiste Français (PCF) und der 2008 gegründeten Parti de Gauche (Linke Partei, PG), selbst wenn einige regionale Organisationen der PCF dem Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon von der PG nicht oder nur teilweise gefolgt sind. Mangelndes politisches Verständnis, Angst vor Vereinnahmung durch die PG und ein Respekt vor der historischen Rolle der PCF sind Ursachen der ablehnenden Haltung. Wenig Beachtung findet dabei, dass die PCF längst ihrer wissenschaftlichen marxistisch-leninistischen Weltanschauung verlustig ging und nunmehr „ (…) die freie Organisation der Bürger des XXI. Jahrhunderts (ist), die sich nicht mit den Sackgassen abfinden will, in welche das kapitalistische System den Planeten führt." Eine Führungsrolle lehnt sie ab. Pierre Laurent (Generalsekretär der PCF), Le nouveau pari communiste, S. 114, le cherche-midi, Paris 2011]

 

Immerhin ist es dank der sich unermüdlich für ihre PCF schlagenden Basis gelungen, die Partei als organisatorisches, solidarisches und pluralistisches Gebilde am Leben zu erhalten. Viele Kommunisten sind heimatlos geworden infolge der Auflösung von Betriebsparteigruppen, andere kehrten der PCF bewusst den Rücken, um sich in marxistisch-leninistischen Gruppen zu rekrutieren – in strikter Abgrenzung von der PCF. Der Weg führte dabei überwiegend zum linken Sektierertum. Wenige Marxisten-Leninisten sind geblieben. Die Zurückgebliebenen schotteten sich ob der Beschimpfungen als Opportunisten mehr und mehr ab.

 

Zur Präsidentschaftswahl um Jean-Luc Mélenchon schlossen sich neben PG und PCF als größte die Parti Communiste des Ouvriers de France (PCOF, die Kommunistische Partei der Arbeiter Frankreichs) an sowie antikapitalistische Vereinigungen. Gewerkschaftsgruppen und zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder erklärten demonstrativ ihre Unterstützung. Von zahlreichen Vereinigungen gingen interessierte Anfragen ein: Attac , der Nationale Verein der Arbeitslosen und Geringverdiener, die Vereinigung der Notare…

 

Die Genossen des Rassemblement des Cercles Communistes (RCC), die bereits Erfahrungen in vorhergehenden Wahlkämpfen im Norden mit den vereinigten Linken sammelten, unterstützen den Wahlkampf nach gründlicher Analyse aktiv.

 

Auch die Liste der sich weltweit mit der FG solidarisierenden Persönlichkeiten aus Antiglobalisierungsgegnern, Kunst und Kultur sowie anderen Kreisen der Intelligenz wurde im Verlaufe der Kampagne immer länger. Auch einige deutsche Linke sind dort zu finden: Diether Dehm, Oskar Lafontaine, Gesine Lötsch. (Gesamtliste: HYPERLINK http://www.humanite.fr/politique/avec-le-front-de-gauche-une-autre-europe-une-autre-mondialisation-494330 und  http://www.humanite.fr/politique/avec-le-front-de-gauche-une-autre-europe-une-autre-mondialisation-494330 ) 

 

Der ekuadorianische Präsident Rafael Correa Delgado schrieb bereits am 9. April 2012 an Jean-Luc Mélenchon:

 

„Die neue Front de Gauche, die du lenkst, ist eine Referenz für die progressiven Bewegungen ganz Europas. Wir sind sicher, dass ihr die Herausforderungen werdet zu bewältigen wissen, die sich durch diesen historischen Moment der europäischen Wirklichkeit ergeben. Diese ansteigende Unterstützung des Volkes ist ein Beweis dafür, dass auch Europa den neoliberalen Fundamentalismus überwinden kann, der dem Bürger die Kosten der Krise auferlegt und so soziale Bestrebungen zurückweist und Ungleichheiten festschreibt."

 

Es handelt sich um denselben, der im April dem 6. OAS-Gipfeltreffen der Regierungschefs Amerikas in Cartagena, Kolumbien, aus Protest gegen die Nichtteilnahme Kubas fernblieb. Mélenchon hat sich in früheren Jahren aktiv in Lateinamerika engagiert.

 

Die Front de Gauche ist keine Partei, sondern eine linke Massenbewegung. Sie ist die antiliberale Antwort auf das rechte bis extrem rechte Lager unter Sarkozy, der 2007 mit Hilfe der Front National (FN) an die Macht kam.

 

Die Parti de Gauche (PG, Linkspartei) in der Front de Gauche

 

Treibende Kraft in der Massenbewegung ist die Parti de Gauche (PG), die sich als Teil der FG sieht. In der PG haben sich Politiker und Angehörige verschiedener Berufszweige zusammengeschlossen, deren ursprünglicher Kern jahrelang einer linken Strömung der sozialdemokratischen PS angehörte. Sie lehnen deren liberalen Kurs und das Einschwenken auf die Positionen der Rechten und des Kapitals (Parteitag von Reims) ab. Sie rückbesinnen sich auf die Ideale der bürgerlichen Revolution von 1789 und die der Pariser Kommune. Wenn sie von 1789 sprechen, stellen sie die später betrogenen Unterstützer der bürgerlichen Revolution aus den Volks- und Arbeiterkreisen in den Vordergrund, ohne deren Hilfe die Republik nie zustande gekommen wäre. Den liberalen Kräfte, die allen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit versprachen und heute von Demokratie und Menschenrechten reden, schlagen sie ihre Heuchelei um die Ohren.

  

Zur Ausrichtung der FG

 

Die FG ist zurzeit die einzige politische Kraft, die machbare politische und wirtschaftliche Lösungen im Kampf gegen das ungezügelte Finanz- und Industriekapital aufzeigen kann. Sie steht für Nationalisierung der großen Monopole, in deren Händen die Ressourcen des Landes (z. B. Energie) sind, gegen das Finanz- und verbündete Industriekapital. Dabei hebt sie die Verantwortung der Politiker und jeden Staatsbürgers im politischen Kampf hervor, einzige Möglichkeit der Schaffung eines unabhängigen und dem Gemeinwohl dienenden Staates auf der Basis der gesellschaftlichen Reichtümer und gesellschaftlich nützlicher Arbeit.

 

Vermittelt wird das Programm der PG in der Front de Gauche, wohl wissend, dass nur große Volksbewegungen eine demokratische politische Veränderung hervorbringen können. Angesprochen werden alle Schichten der Bevölkerung, aber vor allem die Klasse der Lohnabhängigen und ganz konkret der Arbeiter. Mélenchon hebt eindeutig hervor, dass eine linke Massenbewegung ohne Ideologie nicht siegen kann. Seine Ideologie ist die des Klassenkampfes.

 

Die Front de Gauche entspricht einer bürgerlich-demokratischen Bewegung, Ziel ist die (bürgerlich-) demokratische Revolution (im Frz. révolution citoyenne). Und hier geht die FG weit über die Bestrebungen einer Partei der Linken Deutschlands hinaus.

 

Die Unterstützer und Mittragenden der Bewegung teilen im Wesentlichen die von der PG bzw. Front de Gauche aufgezeigten Wege, dargelegt im Programm: L’humain d’abord (Der Mensch zuerst), oder in der Schrift: „Qu’ils s’en aillent tous!" (Mögen sie sich alle fortscheren!) Sie sind sich bewusst, dass dieses Vorhaben nicht ohne Gegenwehr erfolgen wird, denn es geht um die Abschaffung des Kapitalismus.

 

Die Bewegung ist noch in den Kinderschuhen und wird sich (auch theoretisch) an der Realität reiben. Manche Linke wollen sich nicht bewegen, solange es keine detaillierte Ablaufskizze gibt. Andere pochen auf in anderen Umständen Erlerntes und Erprobtes. Motor der politischen Bewegung ist die soziale Lage des überwiegenden Teils der Bevölkerung. Wenn die Mehrheit des Volkes heute noch nicht versteht, wer Freund und Feind ist, wird sie es morgen besser begreifen müssen. Wenn wir heute als kommunistische Partei noch nicht stark genug gerüstet sind, werden wir es morgen sein. Wir haben aber kein Recht, als Kommunisten abseits von Massenbewegungen zu stehen. Und hier zeigen erfreulicherweise viele Genossen der PCF ihr historisch wahres kommunistisches Gesicht.

 

Wahlkampf = Kampf um Demokratie, Souveränität und gegen Verarmung = Klassenkampf

 

In der französischen und erst recht ausländischen Presse wurde die über den üblichen Wahlkampf hinausgehende Bewegung weitestgehend verschwiegen. Ihre Berichterstattung galt einem „üblichen" Wechsel innerhalb der dem Kapital dienenden Hierarchie: Sarkozy rechts, Hollande links. Das „gemäßigte" Vorgehen der sozialdemokratischen Parti socialiste (PS) eines Hollande findet in großen Bevölkerungsteilen noch Unterstützung. Die Gründe sind vielfältig, sie können hier nicht behandelt werden.

 

Die sozialen Forderungen der FG lauten u. a.:

 

- Mindestlohn von 1700 Euro,

 

- Höchsteinkommen von 360.000 Euro jährlich,

 

- Abschaffung des Prekariats,

 

- volle Rente mit 60 Jahren,

 

- Gleichstellung der Lohnabhängigen,

 

- volle Bezahlung von Medikamenten durch die Sozialversicherung,

 

- Senkung von Mieten,

 

- Blockierung von Erhöhungen.

 

Anders als in den von den großen Gewerkschaften geführten Arbeitskämpfen verbinden sich die sozialen aber mit politischen Forderungen, die unumwunden eine Änderung des Systems fordern:

 

- Abschaffung der „monarchistischen" Präsidialrepublik zugunsten einer demokratischen VI. Republik (die Verfassungsänderung führt zur Umbenennung der jetzigen V.) und damit Stärkung der demokratischen Rechte des Parlaments sowie des allgemeinen Wahlrechts.

 

- Austritt aus den Lissaboner Verträgen (einschließlich ihrer Folgeverträge).

 

- Für einen auf Gleichberechtigung beruhenden Internationalismus.

 

- Abschaffung der Macht der Banken und der europäischen und internationalen Kreditinstitute.

 

Von den Massen war vielerorts deutlich zu hören: „Raus aus der EU, weg vom Euro". Die FG aber sagt: > Raus aus dieser EU. Aber: « Wenn es effektiv keine andere Alternative gibt als diese (weg vom Euro), wird sich die PG mit Sicherheit für den Euro-Austritt einsetzen und für die Rekonstruktion einer anderen Form der Währungs-Kooperation mit den Ländern Europas, die dazu bereits sind." http://www.lepartidegauche.fr/editos/arguments/3826-resolution-sur-leuro

 

- „Wir wollen die globale Emanzipation des menschlichen Wesens. Der Kapitalismus treibt uns in für die Zukunft der Menschheit gefährliche ökonomische, soziale, politische und ökologische Zerrüttungen."

Aus: Die Gesellschaft, die wir wollen (Parti Gauche, http://www.lepartidegauche.fr/quisommesnous/identite/187-la-societe-que-nous-voulons

 

- Austritt aus der Nato

 

„Wir brauchen ein friedliches, und international solidarisches, ein unabhängiges und laizistisches Europa; ein Europa, das der imperialistischen und neokolonialistischen Einmischung ein Ende setzt; ein Europa, das sich für die Respektierung der Rechte der Völker einsetzt." So heißt es in einem Brief Mélenchons im Namen der FG an den Sekretär der großen Gewerkschaft CFDT, François Chérèque.

 

Die Beschneidung der Souveränität der Staaten durch die Organe der EU ist das Mittel der großen Monopole Europas, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, im Einvernehmen mit den nationalen Regierungen, die verstärkte Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerungen durchzusetzen. Das haben heute viele Menschen begriffen.

 

Die von der FG mit Mélenchon initiierten überwältigenden Proteste des französischen Volkes wurden von manchen verglichen mit den Massenprotesten der dreißiger Jahre, andere sahen sie zuletzt Anfang der achtziger. Sie nahmen ihre Anfänge in Wahlveranstaltungen mit 3000, 4000 Personen in Rouen, Lille und weiteren Orten, um sich auf Demonstrationen in den Straßen und auf den Plätzen der Republik auszuweiten. Erinnert sei dabei an die 120.000 Demonstranten am 18. März auf der Place de la Bastille in Paris, gefolgt mit ähnlich massiven Aufgeboten in Toulouse und Marseille Anfang Mai.

 

Von Beginn des Wahlkampfes an verbanden sich soziale mit politischen Forderungen. Diese Verbindung war ausschlaggebend für den Erfolg der Front de Gauche und wird sich in der Folgezeit bemerkbar machen. Sie wird auch dem gewerkschaftlichen Kampf neue Impulse geben.

 

Als am 1. Mai zur Demonstration aufgerufen wurde, erklärten die versteckt oder offen sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaften CFDT und CGT (Thibaut hatte sich bereits vor dem ersten Wahlkampf für Hollande ausgesprochen), dass ihre gewerkschaftlichen Aufmärsche keine politische Einmischung durch die FG dulden und ihre Ordner energisch reagieren würden. Nur - die Demonstranten der Front de Gauche störten sich nicht daran. Aussichtslos, den bunten Zug der 250.000 in Paris wieder aufzudröseln.

 

Ein weiterer nicht zu übersehender Aspekt der gemeinsamen Arbeit in der FG und der Demonstrationen ist die Vereinigung unterschiedlicher linker Strömungen Seite an Seite für ein gemeinsames Ziel. Erstmals seit Jahren trafen sich Genossen aus marxistisch-leninistischen, trotzkistischen oder maoistischen Gruppen und die der PCF zu gemeinsamen Beratungen und Vorbereitungen der großen Massenaktionen. Kommunisten inner- und außerhalb der PCF diskutieren in Nationalen Treffen seit wenigen Jahren Standpunkte (nächstes Nationale Treffen der Kommunisten im Juli in Marseille). Das sind erste wichtige Schritte zur Stärkung gemeinsamer marxistisch-leninistischer Positionen.

 

„Rechte" Details aus dem Wahlkampf

 

Für einige Wochen versprach das Auftreten Jean-Luc Mélenchons den Fernsehstationen hohe Einschaltquoten. Kämpferisch, intelligent, praxisnah und dialektisch argumentierend, brachte er nicht nur das Programm der FG seinen Zuschauern näher, sondern setzte sich vor allem gnadenlos mit der Front National auseinander.

 

Zum Kampf der Front de Gauche gegen UMP und FN siehe auch: HYPERLINK http://kritische-massen.over-blog.de/article-wahlkampf-in-frankreich---wirklich-nichts-neues-104048427.html und http://kritische-massen.over-blog.de/article-wahlkampf-in-frankreich---wirklich-nichts-neues-104048427.html

 

Als am 16. März aus dem DCRI (Inlandsgeheimdienst) bekannt wurde, dass die FG 18% erreichen könnte, änderte sich das mediale Verhalten gegenüber Mélenchon. Am 18.03. war die Großdemonstration zur Place de la Bastille. Nach dem Anschlag auf drei Kinder und einen Erwachsenen am 19. 03. wurde die Sicherheit zum überragenden Thema der Wahl. Die mediale Wahlkampagne Mélenchons wurde gestoppt. Das TV begann, ihn zu ignorieren. In Tageszeitungen erschien sein Name nur noch mit negativem Vorzeichen, die Front de Gauche verschwand dort nahezu.

 

Gleichzeitig wurde der FN und Marine Le Pen massiv hofiert. Sarkozy ist offen auf deren Positionen übergegangen. Dem Volk wurde u. a. laut Medien eine „Abkehr" von der ungeliebten EU versprochen. Genau besehen sprach Sarkozy jedoch vom Schengen-Abkommen, über dessen Anwendung bezüglich der Flüchtlinge aus dem Nicht-EU-Raum und sogar in ihren Grenzen unter den EU-Gewaltigen keine Meinungsverschiedenheiten bestehen.

 

Wenn der Kapitalismus durch die Massen in die Enge getrieben wird, greift er zu Versprechungen. Genauso sollte man das Rudern um einen sogenannten Wachstumspakt ansehen. Das Wachstum wird nicht den Volkseinkommen versprochen, sondern dem Kapital, den Banken.

 

Es ist keine neue Reaktion der Herrschenden, den progressiven Kräften rechtsradikale oder faschistische Gruppierungen dann vorzuziehen und sie dann zu stärken, wenn linke Kräfte dem Kapital gefährlich werden. Das Kapital und die Finanzoligarchie fürchten die Schmälerung ihres Reichtums und ihrer Macht, sie schreien bereits, wenn er nicht mehr ansteigt. Er aber ist das Ergebnis immer neuer sozialer, kultureller und demokratischer Einschränkungen. Die Helfershelfer des Kapitals in den Regierungen haben den Nährboden der sozialen Missstände, der Angst vor der Zukunft, Angst vor Kriminalität und allgemeiner Unsicherheit mittels Gesetzeskraft selbst bereitet. Davon muss abgelenkt und die vielen sozial arg benachteiligten Menschen in staatlicher Abhängigkeit gehalten werden (durch Hartz IV u. ä.). Die Angst soll beschäftigen und hindern, den Kopf zu heben und Forderungen zu stellen.  Mit Lügen und gezielter Desorientierung via Medien wird obendrein eine Kräfteverschiebung nach rechts unterstützt.

  

 Die Wahlen im Juni

 

Im Juni geht es in zwei Wahlgängen um die Abgeordnetenplätze in der Assemblée nationale, dem französischen Parlament. Sowohl die in der Präsidentenwahl unterlegene Rechte (UMP um Sarkozy), als auch die FN kündigen eine harsche Verteidigung ihres Besitzstandes an. Ehemalige Mitglieder der Sarkozy-Regierung des äußerst rechten Kreises der UMP haben ihre Zusammenarbeit bereits angeboten. Der „Parisien" ließ am 9. Mai Repräsentanten der FN erklären, dass sie „Schwarze Listen" mit linken und anderen zu stark gegen die FN vorgegangenen Abgeordneten-Kandidaten besäßen, gegen die sie gezielt aufrufen wollten. In der Überschrift wurde gar getitelt: „Le Pen setzt ein Kopfgeld … aus." Der voreilige Gollnisch wurde sofort von Marine Le Pen zurückgepfiffen. Die FN will ihren Namen und offen propagierte faschistische Thesen gern loswerden. Deshalb nennt sie ihr Wahlbündnis für die Legislativen „Rassemblement Bleu Marine" (Marineblaue Vereinigung, RBM), eine Reminiszenz an Marine Le Pen und den blauen Teil der Republik.

 

Erster Mai 2012

 

Der 1. Mai in Paris war ein plastisches Paradebeispiel des Klassenkampfes. Auf den Höhen des Nobelviertels um die Place du Trocadéro blieben Sarkozys Anhänger unter sich und lauschten den Reden ihres Präsidenten. Sie feierten den Tag der Arbeit und schworen auf sie, die „Frankreich" reich macht. Billigere Arbeit, die sie wollen, ist schlechter bezahlte Arbeitskraft. Vor der Kulisse des Trocadéro aber blieb es noch bei der höflichen Aufforderung, die roten Fahnen niederzulegen. Die 750.000 in ganz Frankreich demonstrierenden Arbeiter und Angestellten, Gewerkschafter und Anhänger der Front de Gauche werden einer solchen Aufforderung wohl kaum folgen.

 

Auf der Place de l‘Opéra hielt die Front National ihr übl(ich)es Spektakel mit Reden gegen Sarkozy ab, aber vor allem gegen den Kandidaten der PS Hollande. Der eine sei schuld an der französischen Misere, der andere werde sie vergrößern. Der Wahlerfolg von 17,6% machte die FN mutig. Marine Le Pen rief denn auch trutzig auf, „blanc" (ungültig) zu wählen, aber marineblau im Juni, was sich als Heuchelei der Führung herausstellte. Denn der große Teil wählte, wohin er gehört: Rechts.

 

Mit den Anhängern Jean Luc Mélenchons wurde hier nicht so freundlich umgegangen wie bei den Besitzenden und Verwaltenden am Trocadéro. Die Faschisten grölten im Sprechchor ungehindert: „Communistes – assassins" („Kommunisten – Mörder"). Der Slogan ist leicht zu wandeln in „communistes – assassinons" (Kommunisten – ermorden wir sie).

 

Das Bürgertum und sein Anhang weiß also sehr wohl, wo seine Feinde stehen. Die 250.000 Pariser Demonstranten der Gewerkschaften und der Front de Gauche bildeten den roten 1. Mai, den der Reichtum Schaffenden und darum Betrogenen. Sarkozy ließ am Vortag vorsorglich per TV verlauten, dass seine Polizei wichtigere Aufgaben habe als zu zählen (eher: zu dokumentieren).

 

Einige Zahlen und Tendenzen aus dem Wahlkampf (bis zur Präsidentenwahl 2012)

 

Die Front de Gauche hat mit einem Ergebnis von 5,5% zu den Europawahlen 2009 begonnen. Anlässlich der Regionalwahlen 2010 wurde die Zusammenarbeit innerhalb der Front de Gauche ausgeweitet. Es folgten 6% bei den Regionalwahlen, 11% im ersten Wahlgang der Senatswahlen und nun im Jahre 2012 erreichte sie 11,11% beim ersten Wahlgang zur Präsidentenwahl (Zahlen frankreichweit).

 

Wesentlich ist, dass die aufsteigende Dynamik der Linken insgesamt der FG zuzuschreiben ist, die zwei Drittel der zusätzlichen Stimmen errang. Mit nahezu 4 Mio. Stimmen hat die FG seit ihrem Auftreten bei der Europawahl 2009 drei Mio. Stimmen gewonnen. Sie erreichte in allen Departements mehr als 7% der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl. Selbst in einigen großen Städten ohne ausgeprägte kommunistische Tradition erreichte Jean-Luc Mélenchon mehr als 15%, in einigen Arbeitergebieten des Nordens gar 20%. Denn entgegen den Phantasmen der Medien, hat der Stimmenanteil der faschistischen Front National den Aufstieg Mélenchons nicht aufgehalten. In den durch harte Arbeitskämpfe gezeichneten Gebieten, z. B. Schließung der Raffinerie Petropolus in Seine Maritime, erzielte Mélenchon den höchsten Zuwachs, und das trotz medial groß aufgemachter Besuche von Sarkozy und Hollande. Der Zuwachs der Front National erfolgte hauptsächlich durch das Erringen der verlorenen Sarkozy-Stimmen. Höchste Werte für die FG gab es in den Departements Seine-Saint-Denis und Ariège. (Nach einer Analyse der PG).

 

Die konkreten Zahlen sprechen von einem kontinuierlichen Anwachsen der Bewegung. Mit zumeist bestellten Umfrage-Ergebnissen und Einschätzungen haben sie nichts zu tun.

Ergebnis des Wahlkampfes, der in Richtung Volksbewegung tendiert, ist auch der Zulauf an neuen Mitgliedern für die Parti de Gauche und die PCF. In der Tagespresse war kurz von jeweils mehreren Tausenden die Rede. Von höchster Bedeutung aber ist die Politisierung der Massen, ihre gewachsene Zuversicht in die Stärke vereinter und organisierter Bewegungen und die Erkenntnis, wie eine andere Welt möglich sein kann.

 

Viele wählten PS, um Sarkozy sicher abzuwählen. Es ist davon auszugehen, dass Mélenchon und die Front de Gauche mit ihrem energischen Auftreten gegen die FN nicht nur die Achtung von nahezu 4 Millionen Wählern errangen, sondern auch eines Großteils der PS-Wähler. Ihre Führer gaben offen zu, dass sie dieser Aufgabe aufgrund des massiven Vorgehens der FG ledig wären. Wie lange aber werden sie sich nach dem Wahlsieg von Hollande neutral gegenüber einer extremen Rechten verhalten können? Gelingt es der FG, politische und soziale Forderungen an Hollande durchzusetzen? Vieles wird vom Ergebnis der Parlamentswahlen abhängen. Aber niemand denkt an Rückzug. „Immer mit kleinen Schritten, aber stetig vorwärts", sagte ein junger Genosse. „Und immer das Herz bei den Massen."

 

12. Mai 2012





Veröffentlicht in Neu: Briefe aus Frankreich

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