Man muss schon sagen: Die deutsche Sozialdemokratie hat´s echt drauf. Die Agenda. 10 Jahre Lohnverzicht für den Exportweltmeister. Hungerlöhne und Hartz-Elend. Jetzt aber, und das ist wirklich neu, liefern die Sozen den dazu passenden rechten Demagogen gleich mit: Thilo Sarrazin. Nun weiß man seit Gustav Noske und Karl Friedrich Zörgiebel, wozu diese Partei so fähig ist. Aber die rechtsradikalen ideologischen Sturmtruppen stellte doch traditionell das entwurzelte Kleinbürgertum. Nun wird, neben den Klassikern der neoliberalen Gegenreform wie Gerhard Schröder, Peter Hartz, Walter Riester, Otto Schily, Wolfgang Clement ... auch Thilo Sarrazin in die Annalen eingehen. Sarrazin hatte seine Vollverwendungsfähigkeit schon als Wegbereiter der "deutsch-deutschen Währungsunion" und Mitarbeiter der "Treuhandanstalt" unter Beweis gestellt. Sein Meisterstück lieferte er als Berliner Finanzsenator. Hier dürfte ihm auch das politische Potential rechter Demagogie ("türkische Wärmstuben" und "kleine Kopftuchmädchen") klargeworden sein. Ein schlecht beackertes Feld. In seiner Exportorientierung hieß die PR des deutschen Imperialismus: Weltoffene Normalität. NPD und Co. gelten (noch) als gesellschaftlich inakzeptabel. Mit dem Bundesbanker Sarrazin hat sich nun die höchste Autorität der Bundesrepublik überhaupt des Themas angenommen. Die Stimme der Verzweiflung Entsprechend ist Sarrazin in einer bemerkenswert konzertierten Aktion zum absoluten Medienstar hochgeschrieben worden. Sein Buch, "Deutschland schafft sich ab", hat schon vor Erscheinen die dritte Auflage erreicht. Er ist damit aus der Schmuddelecke der antisozialen Kampf-Terrier in das Zentrum von Herrschaftslegitimation gerückt. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher adelt ihn zum nationalen Medium, zu einem "Ghostwriter der Gespenster, die uns jetzt heimsuchen". Uns, eine "verängstigte(n) Gesellschaft". Geschrieben sei sein Buch eigentlich von einer Politik, die nicht mehr in Generationen denke, sondern in Monaten. Die Bundeskanzlerin, die Sarrazins Buch als "nicht sehr hilfreich" kritisiert hat, habe es wahrscheinlich nicht sehr konzentriert gelesen. Jeder, der es gelesen habe, wisse, dass er "gut begründet, warum die Politik bislang nicht sehr hilfreich war." Es werde "erkenntnisprägend sein, ob das der Kanzlerin passt oder nicht". Sarrazin beschreibe, daran sei "im Befund nicht zu zweifeln", die "Ergebnisse einer katastrophalen Einwanderungs-, Familien- und Integrationspolitik." Dies seien "keine Meinungen, sondern Fakten, und völlig korrekt". Soweit also d´accord. Die Gespenster, die Schirrmacher zu schaffen machen, hören auf die Namen "Biologismus", Rassismus, "Eugenik" und "Degeneration". "Die Pointe seines Thrillers". Sarrazin benutze - unausgesprochen - Legitimationsmuster des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jh. So sehr Schirrmacher ihm bei seinem Demographismus auch zuzustimmen wünscht, sein Biologismus, die genetische Fundierung des Kulturbegriffs, "Kultur ist ihm der Reflex biologischer Prozesse", erscheint ihm doch als "fataler Irrweg". (Dazu ist Hitler noch nicht tot genug.) Doch Schirrmacher erteilt umgehend auch die Absolution. Sarrazin argumentiere aus einer "Position der Verzweiflung" heraus. Die demographischen Prozesse seien so träge, dass die Transformation unserer Gesellschaft nicht aufzuhalten sei. Oder anders: Die Frustration über die spärlichen Erfolge des demographisches Trommelfeuers brächten selbst den "Bildungsbürger" Sarrazin wieder auf den Biologismus. "Und er hat recht damit, dass eine verfehlte Einwanderungspolitik Deutschland gleichsam ein Mittelalter importierte, das die Stabilität des Gemeinwesens in Frage stellen kann." Die Abwehr des "Mittelalters" zur "Stabilisierung des Gemeinwesens" (sprich Kapitalismus), das ist es, was Sarrazin und Schirrmacher vereint. Nur, dass Sarrazin "so unerschrocken", wie "einst Gottfried Benn" von "Zuchtwahl und Auslese" spricht, ist dem FAZ-Mann nicht geheuer. Das "Juden-Gen" schließlich, markiert den Punkt, wo Sarrazin endgültig beginnt kontraproduktiv zu werden. Die Wende zum nationalen Konservatismus Der Sarrazin-Hype überwabert nicht nur die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Entgegen der verordneten Aufschwungbegeisterung sind die Perspektiven für das Leben im globalisierten Kapitalismus nicht sonderlich rosig. Da braucht es Totalüberwachung und zur Not Bundeswehr im Inneren. Aber entscheidend sind ideologische Muster, die eine Integration wesentlicher Bevölkerungsteile in das Herrschaftskalkül ermöglichen. Das offenkundige Scheitern des Kapitalismus, die "Position der Verzweiflung", schreit nach herrschaftsintegrativen Antworten. Die neoliberale Wirklichkeit lässt in ihrer Eigenlogik keine reale Perspektive zu, die eine Revision der fortschreitenden sozialen und kulturellen Spaltung erträumt. Große Bevölkerungsteile gelten als dauerhaft abgeschrieben. Diese Zementierung eines zunehmenden Subproletariats, einer großflächigen, unentrinnbaren Armut bei obszöner Zurschaustellung des Luxus verlangt nach Legitimation. Schirrmacher und Sarrazin bieten hier die "Abwehr des Mittelalters" an. Nicht ohne Effekt. Man braucht nur die Internetforen überfliegen. Sarrazins Buch werde "einen Wendepunkt markieren", meint der FAZ-Herausgeber. Es helfe zu verstehen, "was wirklich auf dem Spiel" stehe. Da dürfte er nicht ganz falsch liegen. Die Wende hin zu einem nationalen Konservatismus ist nicht erst seit Erika Steinbachs erfolgreicher Erpressung zu beobachten. Sie findet sich auch, und das dürfte entscheidend sein, in der zunehmend national zentrierten deutschen EU-Politik. In diesem Prozess markiert der Sozialdemokrat Sarrazin eine aggressive Wende ins vorletzte Jahrhundert. Auch wenn sein Biologismus verrissen werden wird, die demographische Botschaft ist in der Welt. Eine bessere PR ist kaum vorstellbar. |