Das französische Militärprogramm
In ihrem 5. Brief aus Frankreich berichtet Alexandra über den französischen Militärhaushalt für 2012 und die weitergehenden Planungen:
Ein praktisches Lehrstück
Wie sich die in Lissabon abgestimmten Strategien der europäischen großen Staaten doch gleichen! Die einen verteidigen Deutschland am Hindukusch, die anderen Frankreich weltweit.
Frankreichs Parlament wird in den nächsten Tagen über sein Finanzgesetz für 2012 abstimmen, ganz sicher mit den positiven Stimmen der Mehrheit im Sinne des industriell-militärischen Komplexes. Zur Wahrung der bürgerlichen Demokratie [dazu ausgezeichnet kurz und bündig die Junge Welt vom 12./13.11.2011, „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus" von Guenther Sandleben] gehen der Abstimmung über das Gesetz Aussprachen in Kommissionen und Ausschüssen in der Assemblée nationale und im Senat voraus.
Bei der Erstellung des Weißbuches wurde 2008 festgestellt, dass die geplante Erneuerung der „Sicherheits- und Verteidigungsmaßnahmen" Frankreichs finanziell nicht ausreichend gedeckt wäre. Es fehlten dafür etwa 13 Milliarden Euro. (Für dieses Jahr fordert die Regierung kraft Gesetzes von der französischen Bevölkerung noch Einsparungen in Höhe von 7 Milliarden. Ein Ende aber ist nicht abzusehen.)
Deshalb wurde der Verteidigungsetat im Jahre 2009 mit der Verabschiedung des Rahmenfinanzierungsgesetzes kräftig erhöht. Es sieht für sechs Jahre ein Budget für die nationale Verteidigung in Höhe von 183 Milliarden (Mrd.) und für die 12 Jahre bis 2020 insgesamt 377 Milliarden (ohne Pensionen) vor. Ab 2012 soll die jährliche Summe jährlich inflationsbedingt steigen. Letzteres gilt nicht automatisch für die Bereiche des öffentlichen Lebens!
Von vornherein auch eingeplant sind außergewöhnliche Finanzierungen. Um alle Entscheidungswege zu bündeln, vereint ein unter Vorsitz des Kabinettsdirektors des Premierministers geschaffener Ausschuss zur Unterstützung großer internationaler Verträge alle notwendigen Organismen. Die Ministerien übergreifende Zusammenarbeit (Budget, Wirtschaft und Verteidigung) wurde verstärkt.
In Vorbereitung des Budgetgesetzes für 2012 und zur Entlastung des vorhergehenden wurden z. B. in der Kommission der nationalen Verteidigung und der Armeestreitkräfte alle anfallenden Fragen von hochrangigen Abgeordneten, Wissenschaftlern, Militärs, Fachleuten aus der militärischen Industrie und des „internationalen demokratischen" Waffenhandels diskutiert. Es fehlen auch keine Hinweise auf die tätige Unterstützung der französischen Wirtschaft. Allerdings sind ausschließlich die Rüstungswirtschaft und deren Zulieferbetriebe gemeint.
Die Verflechtung von Staat, Banken (zur Finanzierung der einzelnen Etappen u. a. über Staatskredite) und Industrie tritt mit der direkten Beteiligung der Rüstungsindustrie an parlamentarischen Aussprachen in eine neue Stufe ein. Dabei sollte nicht vergessen werden: Parlamente als gesetzgebende Organe sind Teil des Staates und nicht einer diffusen Zivilgesellschaft. Sie, um den Begriff beizubehalten, hat die demokratische Möglichkeit der Wahl, abgesehen von (nur) europäischen Ausländern, die begrenzt auf der untersten Stufe in den Gemeinden wählen dürfen. Die Demokratie wird bei den Wahlen zur jeweils höheren Stufe stark „beeinflusst". Dafür sorgen die Gesetze des bürgerlichen Staates. Immerhin, im Vergleich mit einer faschistischen Diktatur ist sie noch vorhanden.
Die Vorbereitung des II. Weltkrieges funktionierte übrigens auf ähnliche Art und Weise. Frankreich sieht sich heute gegenüber der Bundesrepublik „wirtschaftlich" benachteiligt. Letztere steht weit vor Frankreich im weltweiten Waffenhandel an dritter Stelle. Außerdem hatte sie ihren ersten Raubzug bereits 1990 in Sack und Tüten, wenn auch die Verteilung der Beute immer noch andauert.
In trauter Übereinstimmung und mit fachkundigen Kommentaren legten in o. g. Kommission die Vertreter der Rüstungsindustrie mit den höchsten Militärs Frankreichs Rechenschaft über die Planerfüllung und die Einhaltung des Budgets der diversen, für die Umformierung und Entwicklung der militärischen Bereiche notwendigen Ausgaben ab. Sie erinnerten an in Angriff zu nehmende und den Stand der Entwicklungsarbeiten, die vorgesehene kontinuierliche Produktion und Lieferung im letzten und fürs kommende Jahr, z. B. Kampfflugzeuge vom Typ Rafale (Bedauern über die begrenzte Produktion von nur 11 Stück jährlich, zumal sie verkauft werden sollen), Drohnen vom Typ MALE, aber auch aus eigener Produktion, die sich in letzten Einsätzen bewährt haben, optische, lasergestützte und kybernetische Systeme für die weltweite und himmelhohe Überwachung und vor allem Aufklärung , Hubschrauber- und Flugzeugträger, Kommandozentralen, Tankflugzeuge für das Betanken in der Luft, ein atomgetriebenes Schiff vom Typ Charles-de-Gaulle und mehr, alles hochtechnologisierte und sehr kostspielige Entwicklungen und Produktionen.
Ein winziger Aussprachenteil für das Finanzgesetz 2012 sieht dann in etwa so aus:
---Die Nutzung von Drohnen ist heute unabdingbar. 40 Länder sind mit Aufklärungsdrohnen ausgestattet, aber nur drei (USA, Großbritannien und Israel) besitzen Kampfdrohnen. Wie sehen die französischen Projekte aus? --- Ein anderer Berichterstatter erklärt daraufhin, dass dieses Problem in Fachkreisen erörtert wurde, man sich zugunsten der Ausrüstung von bewaffneten Drohnen ausgesprochen habe und alles in den Planungsheften für die nächste MALE enthalten sei. Auf HYPERLINK "http://www.assemblee-nationale.fr/commissions/" http://www.assemblee-nationale.fr/commissions/ findet sich auch ein ausführlicher Bericht (in Französisch) über die verschiedenen Drohnen, ihre Entwicklung und die industriellen Partner. Die Herrschaften nehmen ihre Arbeit in den Ausschüssen ernst.
Ein weiterer hatte wissen wollen, warum in Benghazi (Libyen) keine Drohnen eingesetzt wurden, um den Einsatz des Personals zu reduzieren. Es war nicht möglich, war die lapidare Antwort des verantwortlichen Militärs, an anderer Stelle wurden „kulturelle Unterschiede" als Grund genannt. Aber die von der Gruppe Dassault im Rahmen eines europäischen Programms entwickelten Drohnen MALE sind noch nicht einsatzbereit. Man hat sich in Libyen unterdessen mit den Aufklärungsdrohnen der USA beholfen.
Drohnen – ihr erinnert euch sicher, dass es sich dabei um die unbemannten und auf „Knopfdruck" losgeschickten Flugkörper handelt, die aufklären oder auch zielgerichtet Menschen töten. Und die Toten nebenher bezeichnet man im militärpolitischen Jargon als Kollateralschaden. Ich nenne es wie viele andere Mord. Das ist übrigens ein Supergeschäft, beginnend bereits mit dem Verkauf von Computerspielen für unsere Kleinen und Großen. Interessen müssen entwickelt werden. Noch Anfang der achtziger war in den Kinderzimmern der Bundesbürger Kriegsspielzeug verpönt! Die verschämte Ausrede heute ist das Schritthalten mit moderner Informatik.
Die öffentlich publizierten Aussprachen über das Budget erlauben dem verantwortungsbewussten Bürger und Steuerzahler erstmalig, Einblick in das komplizierte und oftmals über Jahre gehende Entwicklungskonzept des französischen Staates zu nehmen, das ihm einen vorrangigen Platz im internationalen Waffenhandel (natürlich unter international festgelegten moralischen Gesichtspunkten) sowie bei der Entwicklung der militärischen Staatsmacht zur Abwehr von Terrorismus und der internationalen Unsicherheit gsichern soll, die sich insbesondere in Afrika aufgrund der hohen Armut und daraus resultierender Aufstandsgefahren(!) ergebe. Die Rüstungs-Fachleute verweisen auf ihre Verbindungen zu befreundeten NATO-Staaten, Gespräche in New York, Waffenmarkt in Dubai (Dubai Air Show), aber auch im Dezember in Paris (Eintritt ins Ausstellungsgelände an der Porte Versailles nur mit Einladung, weiß ich vom Zeitungsbericht im Vorjahr).
Bereits 2002 hat die NATO die Verteidigungsanstrengungen Frankreichs mit 2,6% seines BIP mit höher als die seiner großen europäischen Partner eingeschätzt, Großbritannien ausgenommen. (Quelle: http//www. vie-publique.fr/vie-defense). In den Anhörungen zum Verteidigungsbudget heißt es knapp: Frankreich entscheidet nicht über seinen NATO-Beitrag. Er sei auch nicht Teil des Verteidigungsbudgets. Frankreich ist seit 2009 wieder voll integriertes NATO-Mitglied. An anderer Stelle der Gespräche zum Finanzgesetz 2012 wird ein Betrag von 80 Millionen jährlich bei voller Integration genannt.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Rüstungsausgaben aller imperialistischen Länder steigen, wenn auch offiziell eine Senkung behauptet wird. Die Vereinigten Staaten, hieß es in der Diskussion, wollen erstmalig seit 30 Jahren ihr militärisches Budget senken. Aber: Immerhin stockten sie in Sorge um den technologischen Stand gegenüber anderen Mächten ihre Investitionsausgaben für die Forschung auf. In Europa habe das Vereinigte Königreich eine Reduzierung bis 2014 um 15% angekündigt, Deutschland 14% für den gleichen Zeitraum. Neben diesem Hinweis erfolgt natürlich als Begründung in den Budgetanhörungen der Hinweis auf gestiegene Militärausgaben der VR China.
Auch Frankreich lagert Projekte aus dem offiziellen Verteidigungsbereich aus. Die Umstrukturierung und Privatisierung der Hochschulen soll letztlich dem verstärkten Zugriff nicht nur der Armeen, sondern vor allem (Rüstungs-)industriefinanzierten Forschungsaufgaben im hochtechnologischen Bereich dienen. In den USA, wurde in genannten Berichten erwähnt, finanziere der CIA die Forschungsprogramme für die biologische und Informations-Sicherheit. Für entsprechende französische Dienste wurde das bestätigt, aber die noch eingeschränkte Form bedauert.
Die Vorgaben im Weißbuch (S. 269) waren eindeutig: „Frankreich befindet sich mit dem letzten militärischen Rahmengesetz in einer Periode, die wesentlich geprägt ist vom Abschluss der Entwicklung und einem starken Anstieg der Produktion des überwiegenden Teils der großen Programme (Rafale, Tigre[Kampfhubschrauber], NH90, A400M[Kampfflugzeug], VBCI, ASMPA, Meteor, Horizon, M51, SNLE, Helios 2, Syracuse 3, und das unter Beachtung der Verminderung von Krediten für die Verteidigungs- und Sicherheitsforschung . Diese Situation erfordert eine enorme Anstrengung in den kommenden Jahren im Bereich Forschung und Technologie (F&T), damit wichtige technologische Kapazitäten nicht verloren gehen. Der Staat wird deshalb für eine Politik der Beibehaltung kritischer Fähigkeiten sowohl in den Bereichen F&T bezüglich der technischen Planungsbüros als auch in denen der Industrialisierung sorgen. Dazu gehört die Durchführung technologischer Vorführungen." (Weißbuch, S. 269)
Auch bisher zur nationalen Verteidigung gehörende Bereiche werden mittels Gesetzgebung entfernt, was selbst hochbrisante wie den Bau von Hafenanlagen für Militärschiffe oder die Privatisierung der Nationalen Gesellschaft für Pulver und explosive Stoffe betrifft.
Es handelt sich also nur um eine Senkung von Ausgaben innerhalb des Budgets der Verteidigung und eine Verlagerung der Militärausgaben auf andere Bereiche. Die „interministeriellen Missionen" innerhalb des Staatsbudgets machen es möglich. Nach der Schuldenabzahlung und der Mission Bildung soll das Budget für den Missions-Bereich der Verteidigung sukzessive das höchste werden.
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Alle Auszüge und Zitate außer Weißbuch: HYPERLINK "http://www.assemblee-nationale.fr/13/dossiers/loi_finances_2012.asp" http://www.assemblee-nationale.fr/13/dossiers/loi_finances_2012.asp